02.12.2025 Im Interview

Carsten Henn: „Wein ist ein bodenständiges Produkt“

Bestsellerautor Carsten Henn ist thematisch breit aufgestellt. Neben seinen Bestsellern wie „Der Buchspazierer“ und „Sonnenaufgang Nr. 5“ hat er sich einen Namen als Verfasser kulinarischer Kriminalromane gemacht. Da blitzte seine Liebe für den Wein schon hier und da auf. In seinem neuen Weinbuch schenkt der renommierte Weinjournalist und Weinbauer sein fundiertes fachliches Know-how nun einzigartig praktisch und unterhaltsam ein: Mit 66 wohldosierten und klug ausgewählten Fragen nimmt er seine Leser in „Simply Wine“, erschienen bei ZS, mit in die Welt des Weins. prisma hat mit ihm über sein neues Buch gesprochen.
Carsten Henn lehnt an einer Wand.
Carsten Henn möchte seine Leidenschaft für Wein mit den Lesern teilen. Fotoquelle: Mirko Polo

Ich habe Ihr neues Buch gelesen und muss sagen: Es hat mir richtig gut gefallen. Ich trinke selbst sehr gern Wein, würde mich aber nicht als Experten bezeichnen. Mir ist besonders aufgefallen, wie niederschwellig und verständlich es geschrieben ist – man braucht wirklich kein Vorwissen. War das bewusst so geplant?
Carsten Henn: Genau, das war von Anfang an der Ansatz. Ich wollte ein Buch schreiben, das Menschen anspricht, die gerade mit Wein anfangen oder jemanden kennen, der gerade anfängt und sagt: „Mensch, das schmeckt mir eigentlich gut, ich würde gern mehr wissen.“ Es sollte locker und flockig sein, in kurzen Abschnitten, ohne dass man sich ständig mit Fachbegriffen herumschlagen muss – aber gleichzeitig auch für diejenigen spannend bleiben, die schon ein bisschen Erfahrung haben.

Man hat fast das Gefühl, dass Sie mit diesem niedrigschwelligen Ansatz auch bewusst gegen den alten „Standesdünkel“ angehen wollten, der Wein in Deutschland lange hatte. Stimmt das?
Absolut. Ich finde diesen Dünkel schrecklich. Es gibt immer noch Leute, die Schwellen aufbauen: Man müsse erst alles über Regionen, Jahrgänge und Rebsorten wissen, sonst könne man sich blamieren. Viele trauen sich deshalb gar nicht, in eine Weinfachhandlung zu gehen oder im Restaurant etwas zu bestellen – aus Angst, der Sommelier könnte innerlich über sie lachen. Das ist Quatsch. Wein ist ein tolles Getränk, sowohl für den Alltag als auch für besondere Anlässe. Man darf ruhig sagen: „Das mag ich – und damit kenne ich mich nicht aus.“ Dann wird einem geholfen. In den Weinregionen selbst ist das ganz normal: Da wird Wein geschoppt, mit Wasser verdünnt, und keiner sagt etwas. Je weiter man sich von den Anbaugebieten entfernt, desto mehr Standesdünkel kommt hinzu – das hat mit dem eigentlichen, bodenständigen Produkt überhaupt nichts zu tun.

Mir fällt da eine Anekdote meiner Mutter ein: Sie hatte eine Freundin, die dann einen neuen Partner mitbrachte, einen selbsternannten Weinexperten. Meine Mutter brachte einen guten Wein mit, er trank ihn und sagte dann nur von oben herab: „Ja, man kann ihn trinken.“ Solche Geschichten brennen sich ein. Am Ende geht es doch darum, dass man seinem eigenen Geschmack vertrauen darf – oder?
Das ist das Allerwichtigste. Wenn Sie einem Anfänger zehn 100-Punkte-Weine hinstellen, also die Höchstbewerteten, ist es keineswegs garantiert, dass ihm die schmecken. Vielleicht mag er gerade fruchtbetonte Weine oder solche, bei denen das Holz nach Vanille schmeckt – und das ist völlig legitim. Es gibt keinen Geschmack, auf den sich alle einigen könnten. Selbst unter Profis wird heftig gestritten, was ein „idealer“ Wein ist. Deshalb: Immer dem eigenen Geschmack vertrauen. Mein Tipp im Buch: Einfach zwei Weine nebeneinanderstellen. Ab dem Moment wird klar, was einem besser gefällt – und man kann es auch benennen: „Der hat zu viel Säure“, „Der ist mir zu süß“. So kommt man Schritt für Schritt weiter und findet irgendwann genau die Weine, die einem am meisten Spaß machen. Was die anderen dann sagen – angesagte Rebsorte oder Trendregion – ist völlig egal.

Welche Typen von Weinkennern begegnen Ihnen denn so im Alltag?
Die meisten meiner Freunde und Bekannten wissen ungefähr, was sie mögen: „Ich mag gern Rotweine aus Spanien“, „Ich trinke nur Weißwein, aber keinen Riesling“, oder „Riesling ist genau meine Rebsorte“. Das ist der Stand der meisten Genuss-Trinker. Dann gibt es die Freaks: Sammler mit vollgestopften Kellern, teuren Holzkisten und gereiften Weinen – oder die Sammler alter Jahrgänge, die regelmäßig 1960er, 1970er, 1920er öffnen.

Sind solche uralten Weine überhaupt noch genießbar? Ich meine, man liest immer wieder von Flaschen aus den 1920er- oder 1930er-Jahren…
Mein ältester war ein 1811er – der sogenannte Kometenwein, genannt nach dem Komet Flaugergues, der damals am Himmel erschien. Das ist ein Jahrhundertjahrgang. Man schmeckt natürlich die Reife: nussig, Herbstlaub, getrocknete Früchte – aber er war mit großem Genuss trinkbar. Wein hält sich erstaunlich gut, sogar einfache Weine, die man eigentlich jung trinken sollte. Man muss nur die gereiften Aromen mögen, denn Frische sucht man dann vergeblich.

Momentan scheint Weißwein wieder im Trend zu liegen. Stimmt das?
Ja, das hat sich komplett gedreht. Wir hatten jahrelang einen Rotwein-Boom, der ist weg, jetzt boomt Weißwein. Das hängt auch damit zusammen, dass viele heute leichtere, frischere Weine wollen – Rotwein hat oft das Image, schwerer zu sein. Ein weiterer großer Trend ist alkoholfreier Wein und Sekt.

Sind die genießbar?
Genießbar ja, aber beim Wein zieht man zwölf bis 13 Prozent Alkohol heraus – das ist viel mehr als bei Bier. Da fehlen dann die Struktur und letztlich auch der Geschmack. Viele kompensieren mit Zucker, dadurch werden sie süßer und dünner. Am besten funktionieren alkoholfreie Schaumweine – das Prickeln überdeckt einiges. Ich persönlich trinke bei Nichtalkoholischem lieber Wasser oder die neuen spannenden Getränke mit Tee, Kräutern und Kombucha, die manche Winzer entwickeln. In zehn Jahren wird es da sicher richtig gute Produkte geben.

Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee zu den 66 Fragen in „Simply Wine“? Warum genau diese Zahl?
Ich habe schon mehrere Weinbücher geschrieben und wollte diesmal genau die Anfänger abholen und sie ganz locker nicht gleich mit Fachbegriffen überfrachten. 100 Fragen wären zu viel gewesen, da denkt man gleich: „Oh Gott, Arbeit.“ 66 klingt überschaubar – das kann man mal eben lesen oder querlesen.

Sie waren ja selbst Winzer an der Mosel.
Ja, über zehn Jahre hatte ich mit Freunden drei alte Riesling-Parzellen in Steillagen (St. Aldegunder Himmelreich). Alles per Hand, Trockenmauern, 50 bis 60 Jahre alte Reben – wunderschön. Leider mussten wir Anfang dieses Jahres die letzte Parzelle roden: Trockenstress durch den Klimawandel. Die Lagen hatten nicht mehr genug Wasser, Bewässerung wäre ökologisch und wirtschaftlich unsinnig gewesen. Meine Winzer-Karriere ist damit vorbei, aber ich mache weiterhin jedes Jahr ein eigenes Wein-Projekt mit verschiedenen Winzern für die Deutsche Weinentdeckungsgesellschaft – immer etwas, das es so noch nicht gab: ungewöhnliche Cuvées, vergessene Rebsorten, spezielle Fassarten. Ich will einfach wissen: Wie schmeckt das?

Meine Frau lässt übrigens schön grüßen – sie liebt Ihre Kulinarik-Krimis rund um den Sternekoch Julius Eichendorff, besonders wenn Jürgen von der Lippe sie liest.
Der macht das wirklich super. Ich weiß das auch deshalb, weil ich einen mal selbst einlesen musste, weil Jürgen keine Zeit hatte. Ich habe noch nie so viele böse Mails bekommen. Die Fans waren richtig sauer: „Jetzt meint der Autor, er kann es besser als von der Lippe!“ Ich habe Jürgen danach einen Riesenkorb geschickt und ihn angefleht, wieder einzulesen (lacht).

Apropos Erfolg: Mit dem „Buchspazierer“ hatten Sie einen Riesenhit – und dann war da ja auch noch die Verfilmung mit Christoph Maria Herbst. Hätten Sie damit gerechnet, dass das so gut ankommt?
Nein, überhaupt nicht. Der Verlag hatte das Buch gar nicht als großen Spitzentitel geplant. Der lief erst völlig unter dem Radar, bis er einfach von allein abging. Dann war er zwei Jahre in den Bestsellerlisten. Und Christoph ist ein absoluter Glücksfall, auch wenn er und ich anfangs dachten: „Er ist einfach zu jung für die Rolle.“ Aber er hat es grandios gemacht.

Haben Sie aktuell Wein-Tipps?
Die Loire ist gerade spannend – tolle frische Weine, auch die roten machen Spaß, faire Preise, super Crémants. Und in Deutschland sollte man Franken wiederentdecken, dort gibt es hervorragende Winzer und spannende Rebsorten. Und natürlich meine Heimregionen Ahr und Mittelrhein – die liegen mir besonders am Herzen. Auch die Mosel ist sehr schön.

Wie sieht es an der Ahr aus nach der Flut?
Die Schäden sieht man noch, aber es ist schon viel wieder aufgebaut. Die Winzer freuen sich riesig über jeden Besucher – man wurde und wird dort nicht als „Katastrophentourist“ gesehen. Die Hotels sind wieder offen, die Weine sind großartig, es gibt wieder eine tolle Dynamik. Kommen Sie ruhig und besuchen Sie die Region.

Last but not least: Ihr neuer Roman „Sonnenaufgang Nummer 5“ ist gerade erschienen. Worum geht es da?
Er spielt im selben Universum wie „Der Buchspazierer“. Dort gibt es nur eine halbe Zeile, dass sich der Buchspazierer einmal verliebt hat. Ich wollte wissen: Wer ist diese Frau? Es ist eine alte deutsche Filmdiva, die ihre Memoiren von einem 19-jährigen Ghostwriter schreiben lässt. Es geht um Erinnerungen, falsche Erinnerungen, Schutzmechanismen – und zwei Menschen, die mit schweren Erlebnissen ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Trotzdem warmherzig, augenzwinkernd und hoffnungsvoll.