25.09.2023 Interview mit Panikorchester-Gründungsmitglied

„Er hat alle Freiheiten, wir ja auch“

Von Felix Förster
Steffi Stephan hat mit seinem Bass-Spiel den Sound des Panikorchesters mitgeprägt.
Steffi Stephan hat mit seinem Bass-Spiel den Sound des Panikorchesters mitgeprägt. Fotoquelle: Birgit Kersting

Das Panikorchester feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Anlässlich des Jubiläums gibt es in der ARTE-Mediathek die Dokumentation „Udo Lindenberg und das Panikorchester – 50 Jahre Rock‘n’Roll in der Bunten Republik“ zu sehen. prisma hat mit Steffi Stephan, Bassist und Gründungsmitglied, gesprochen.

Das Jubiläum „50 Jahre Panikorchester“ wird in diesem Jahr begangen, und Udo Lindenberg ist nach wie vor angesagt, wie sein gemeinsamter Song „Komet“ mit Apache 207 zeigt. Freut Dich das?

Steffi Stephan: Grundsätzlich ist Udo ja der Motor, und wir vom Panikorchester sind die zweite Lok. Seine Fantasie ist einfach großartig. Mit „Komet“ hatten wir gar nichts zu tun, aber Udo und ich sind befreundet und ich freue mich wahnsinnig für ihn. Dass er mit 77 einen Nummer-eins-Hit hat, ist wirklich toll.

Gefällt es Dir denn, wenn Udo diese Kooperationen wie jetzt bei „Komet“ macht?

Steffi Stephan: Ich finde es grundsätzlich gut, wenn er Erfolg hat, und je öfter ich „Komet“ höre, desto besser gefällt er mir.

Es hat eine lange Tradition bei Udo Lindenberg, dass er mit anderen Künstlern zusammenarbeitet und auch mal etwas verrückte Ideen hat. In den 70ern hattet Ihr beispielsweise Schauspieler und skurrile Personen während der Konzerte auf der Bühne. Stand die Band immer hinter diesen Ideen?

Steffi Stephan: Es gibt ja zwei Dinge: Udo Lindenberg UND das Panikorchester. In der Presse hieß es hingegen zu 90 Prozent: „Udo Lindenbergs Panikorchester“. Das hat mich in meiner Bassisten-Ehre immer ein wenig geärgert. Ich habe auch manchmal gelesen: „Steffi Stephan – Udo Lindenbergs Bassist“, das musste ich dann immer korrigieren: „Udo Lindenberg ist mein Sänger“ (lacht).

Du wirst häufig quasi als „Musikalischer Direktor des Panikorchesters“ bezeichnet. Passt das?

Steffi Stephan: Ja „quasi“. Ich wurde ja auch schon gefragt: „Welche Rolle spielst du beim Panikorchester?“. Da habe ich immer gesagt: „Na, die Rolle rückwärts“ (lacht).

Wenn das Panikorchester mit Udo zusammengearbeitet hat, hattet Ihr dann das gleiche Mitspracherecht wie Udo, oder galt sein Wort doppelt?

Steffi Stephan: Es gab ja diese beiden Acts, die zunächst getrennt voneinander waren: Udo Lindenberg und das Panikorchester. Unsere Vorbilder waren immer Cliff Richard und die Shadows. Die hatten große Instrumentalhits auch ohne Cliff. Wir als Panikorchester haben erst einmal drei Instrumentalstücke aufgenommen, bevor Udo kam. Aber wir haben es allein ganz einfach nicht geschafft, so simpel ist das.

Udo hat dann die Chefrolle übernommen?

Steffi Stephan: Wir sind zusammengekommen und Udo hat von Anfang an gesagt: „Das ist mein Schallplattenvertrag, Ihr könnt ja auch selbst Schallplatten machen und einen Vertrag abschließen. Das ist mein Vertrag und das beinhaltet auch die Auswahl von Musikern und die totale Freiheit.“ Dadurch war es immer schon so, dass es bei Udo Gäste und auch andere Musiker gab. Das zieht sich bis heute durch seine Karriere, und das finde ich auch gut. Wir engen ihn nicht ein, und er will sich auch gar nicht einengen lassen. Er hat alle Freiheiten, wir ja auch. Jeder soll schließlich das machen, was er möchte.

Du hast Udo 1963 kennengelernt und sagst: „Die Chemie zwischen uns stimmte direkt.“ Wie kann man diese Chemie beschreiben? War das musikalisch oder menschlich so passend?

Steffi Stephan: Alles hat gepasst. Zunächst haben wir ein englisches Album aufgenommen, das dann aber kein Erfolg wurde. Danach kam dann „Daumen im Wind“ mit dem ersten kleineren Hit „Hoch im Norden“. Die Scheibe war die erste mit deutschen Texten. Texte, die nicht so flach wie viele der damaligen Schlager waren. Das waren tolle Texte, wie auch beim Titelsong „Daumen im Wind“. Das ist ja kein Schlager, sondern zeugt von Lebenserfahrung.

Der Song hat den Test der Zeit bestanden.

Steffi Stephan: Ja, ein fantastisches Lied, und damals fing das dann mit den deutschen Texten an. Davor wusste man ja noch gar nicht, dass man diese Musik auch auf Deutsch machen konnte. Diese ersten Erfolge haben uns ermutigt, darauf etwas aufzubauen. Und dann kam „Alles klar auf der Andrea Doria“ und wurde sehr erfolgreich.

Der Beginn einer Serie von starken Platten. Mir ist als Kind in der Plattensammlung meiner Mutter das Album „Ball Pompös“ in Erinnerung geblieben, auch wegen des Covers mit seiner Hand im Rücken-Ausschnitt der Tanzpartnerin.

Steffi Stephan (lacht): Ja, der Humor war damals immer ganz wichtig, weniger der erhobene Zeigefinger.

Im Laufe der Zeit gab es beim Panikorchester viele Personalrochaden, Du und Udo seid die einzigen Gründungsmitglieder, die noch übrig sind. Ist das denn mittlerweile überhaupt noch das Panikorchester oder eher eine Mogelpackung?

Steffi Stephan: Das kann man so nicht sagen. Es stellt sich ja auch nicht die Frage, ob die Rolling Stones jetzt eine Mogelpackung sind, weil Brian Jones, Bill Wyman und Charlie Watts nicht mehr dabei sind.

Punkt an Dich. Es gibt zur Namensfindung für das „Panikorchester“ verschiedene Versionen, im Doku-Film, den Arte jetzt anlässlich Eures Jubiläums zeigt, hören die Zuschauer Udos. Wie ist denn Deine?

Steffi Stephan: Wie ist denn seine im Film, ich habe den noch gar nicht gesehen.

Dass es an den panischen Zuständen im Studio lag.

Steffi Stephan (lacht): Dann gibt es sogar drei, denn es gibt auch die Version wegen der Zeile „Keine Panik auf der Titanic“ aus dem Song „Hoch im Norden“. Meine Erinnerung ist da anders. Bei einem unserer frühen Konzerte sah ich im Telgter Kolpinghaus das Schild „Panikbeleuchtung“ und fand das sehr passend, dass wir uns so nennen, wenn wir schon da spielen. Aber die verschiedenen Versionen beweisen auch die Pluralität der Meinungen.

Ist das auch ein Geheimnis in einer Band, dass man das dann einfach akzeptiert, wenn die Erinnerungen und Meinungen auseinandergehen?

Steffi Stephan: Es hat da nie Streitigkeiten gegeben, lohnt sich ja auch nicht. Udo ist derjenige, der wichtig ist. Ich sage das ja auch immer bei den Konzerten, wenn wir uns verabschieden: „Was wären wir ohne Udo?“ Eine gute Band, mehr nicht.

Mitte der 80er-Jahre sind Du und Euer Schlagzeuger Bertram Engel Udo aber einmal untreu geworden, Ihr habt bei Peter Maffay angeheuert. Wie war das damals?

Steffi Stephan: Wir sind ihm nicht untreu geworden, das kann man so nicht sagen. Jeder hat ja seine eigene Persönlichkeit und Freiheit, ob das Udo nun gefällt oder nicht. Ich bin ja nicht beim Panikorchester ausgestiegen, weil ich bei Maffay gespielt habe. Ich habe bei beiden gespielt. Später bin ich beim Panikorchester zeitweise ausgestiegen, weil Udo zu viel gesoffen hat und weil die Qualität der Musik nicht mehr das war, was ich für mich beanspruche oder mir für das Panikorchester vorstelle. Es ist ja so, dass man nicht nur Zubringer ist, man spielt ja auch für sich selbst.

Das war die Zeit Anfang der 90er, oder?

Steffi Stephan: Ich bin 1989 ausgestiegen.

Damals hatte er dann den Riesenerfolg im Osten nach der Wiedervereinigung, spielte aber mit ganz jungen Gitarristen zusammen.

Steffi Stephan: Ja, damals habe ich mich ganz unglücklich ausgedrückt: „Udo und sein Kindergarten“. Das hat mich danach noch geärgert, dass ich das so gesagt habe.

In der Arte-Doku wird auch die Episode des Auftritts im Palast der Republik behandelt, als Ihr vor FDJ-Funktionären und Jung-Pionieren aufgetreten seid. Eigentlich war eine DDR-Tour geplant. Weißt Du mittlerweile, warum das nicht zustande gekommen ist?

Steffi Stephan: Da gibt es einen sehr guten Film von Reinhold Beckmann mit dem Titel „Die Akte Lindenberg – Udo und die DDR“. Reinhold Beckmann hat uns damals als Tonassistent eines ARD-Kamerateams nach Ost-Berlin begleitet und dann später diese interessante Doku gedreht. Im Film heißt es „Steffi war wahrscheinlich der Erste, der sich im Palast der Republik einen Joint gebaut hat“. Großes Gelächter im Kino. In dem Film wird das sehr gut aufgearbeitet: Es war ja so, dass die uns einfach benutzt haben. Wir wussten nur, wir treten im Palast der Republik auf, großes Friedensfest. Und so kommen wir da rein und was sehen wir? Blauhemden. Die Karten waren nicht im freien Verkauf, die wahren Fans standen vor der Tür und wurden niedergeknüppelt. Das ist dokumentiert. Das waren Geschichten, die wir damals so nicht mitbekommen haben. Aber es war einfach zu gefährlich für uns in der DDR.

Udo Lindenberg hatte in seiner Karriere immer mal wieder auch Tiefen. Nun erlebt er seit Mitte der 2000er-Jahre eine große Popularität nach durchwachsenen Jahren in den 80ern und 90ern. Wie bewertest Du diese Zeit der großen Stadionauftritte?

Steffi Stephan: Ich bin 1996 anlässlich von Udos 50. Geburtstag wieder eingestiegen. Das war mein Geburtstagsgeschenk an ihn. Bedingung: Er hört auf zu trinken, wir holen die alte Band wieder zusammen. Wie bei den Blues Brothers. Udo schaute mich an: „Du bekommst die Band wieder zusammen?“ Ja! Er: „Dann nennen wir das ‚Udo Lindenberg und das Original Panikorchester‘“. ´Ich: Das können wir nicht machen, weil es das nicht ist. Das waren Steffi Stephan, Gottfried Böttger, Peter „Backi“ Backhauen, Karl Allaut. Da ist mir eingefallen, wir nennen uns „Das Legendäre Panikorchester“. Da treffe ich Karl Allaut, der sagt: „Du, ich nehme mir einen Anwalt, das ist nicht das originale.“ Ich zu ihm: Das kannst du vergessen, schau richtig auf die Plakate, da steht „das legendäre“. Und später kam dann „Steffi Stephan, das legendäre Original“ dazu (lacht).

Hättest Du denn 1996 geahnt, dass Ihr noch einmal so einen Erfolg haben würdet und die größten Stadien der Republik füllt?

Steffi Stephan: Wir waren auch vorher schon erfolgreich, die Riesenhallen hatten wir ja schon gefüllt. Aber richtig, die Dimensionen wurden dann schon noch einmal größer. Aber man darf ja nicht vergessen, dass das nicht direkt 1996 so abging, das dauerte ja noch bis in die 2000er.

Mit „Stark wie Zwei“ 2008 ging es dann so richtig los.

Steffi Stephan: 2006 im Mozartjahr war ich sehr beschäftigt, da schickte Udo mir neues Material. „Steffi, hör mal rein, mach ein bisschen Panik daraus.“ Ich war aber mit Mozart beschäftigt, und Udo wurde ein wenig unruhig. Da musste ich ihm sagen, bleib mal ganz cool. Wer schreit jetzt nach der neuen Platte? Der 30. oder 31.? Die Platten liefen zu dem Zeitpunkt nicht mehr so gut. Live war immer noch angesagt, aber die Platten nicht. Da sagte ich zu ihm: Udo, mal ganz ehrlich, hast du noch was zu erzählen? Wenn man über 600 Stücke gemacht hat, dann kommt da eine gewisse Routine rein. Und die Routine ist der größte Gegner der Kreativität. Frag dich doch mal selbst, ob du noch was zu erzählen hast, habe ich ihn gefragt. Und dann stirbt 14 Tage später sein Bruder Erich. Danach kam „Stark wie Zwei“. Ein Meisterwerk.

„Ich mach mein Ding“ etwa, auch ein großer Hit. Woher kam diese neue Kraft?

Steffi Stephan: Wichtig war auch der hervorragende Produzent Andreas Herbig. Er hat dazu vieles beigetragen, auch wenn er sich richtig mit Udo in die Wolle gekriegt hat. „Ich will das so haben und wenn nicht, schmeiß ich die Klamotten hin“ (lacht). So muss ein Produzent sein.

Steffi Stephan: So sollte ein Produzent sein.

Was ist denn in Zukunft geplant? Gibt es ein neues Album, eine neue Tour?

Steffi Stephan: Es kommt allein auf Udo an. Was für ein Material er zusammenbekommt und wie er sich entscheidet. Ich meine, er kann jederzeit auch ohne uns total erfolgreich sein. Wie „Komet“ beweist. Dafür ist aber auch jeder total frei, er auch. Das ist so wichtig, auch für mich als Freund, dass man nicht in so einer Klammer lebt mit einer Erwartungshaltung.

Das funktioniert bei Udo Lindenberg auch nicht, oder?

Steffi Stephan: Ich glaube nicht, er kommt seinen sozialen Verpflichtungen total nach, ist ganz sensibel dafür. Es ist auch seine Kreativphase, die er gerne mit anderen zusammen nutzt. Er lässt sich nicht unter Druck setzen.

Du hast heute eine „Münster-Jacke“ an und bist bekannt für Deine Liebe zu Deiner Heimatstadt. Udo kommt ja auch aus der Ecke, aus Gronau. Aber komischerweise denken alle bei ihm und dem Panikorchester immer zuerst an Hamburg, an die Waterkant. Ist das etwas, was Du mit einem Augenzwinkern betrachtest oder hat Dich das auch mal gestört?

Steffi Stephan: Mich hat das insofern nie gestört, weil das Verbindende, was wir haben, die B54 ist. Das ist Steffi Stephan aus Münster, Karl Allaut aus Borghorst, Bertram Engel aus Burgsteinfurt, Udo Lindenberg aus Gronau. Das ist die Rock‘n‘Roll-Straße Deutschlands. Ich mag Hamburg, und wenn ich nicht in Münster leben würde, wäre Hamburg meine Stadt geworden. Aber ich liebe Münster, das ist eine ganz besondere Stadt. Es ist auch eine Universitätsstadt und hat eine unheimliche Fluktuation und das hält eine Stadt jung. Ich lebe sehr gerne hier.

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