18.03.2024 Horst Klemmers Manager im Interview

„Heinz Erhardts Humor war frei von Politik und Zoten“

Von Felix Förster
Horst Klemmer denkt auch heute noch sehr häufig an Heinz Erhardt.
Horst Klemmer denkt auch heute noch sehr häufig an Heinz Erhardt. Fotoquelle: Stephan Meyer-Bergfeld

Horst Klemmer lernte Heinz Erhardt als Fan kennen. Von 1962 bis 1971 war er Erhardts einziger und exklusiver Manager, ging mit ihm auf Tour, verhandelte seine Verträge und organisierte seine TV-Auftritte. Klemmer hatte viele Jahre eine enge Bindung zu der Komiker-Legende, war bis zu Heinz Erhardts Tod 1979 in regem Kontakt mit ihm. Seine Erinnerungen hat er nun in dem Buch „Heinz Erhardt – Hinter den Kulissen“, das im Lappan Verlag erschienen ist, aufgeschrieben. prisma hat mit dem mittlerweile 87-Jährigen über Heinz Erhardt gesprochen.

Heinz Erhardt ist ein Phänomen, selbst 45 Jahre nach seinem Tod ist er immer noch sehr beliebt. Ich glaube, das hört auch gar nicht auf. Oder wie würden Sie das einschätzen?

Horst Klemmer: Er hatte einen einzigartigen Humor. Otto Waalkes hat das in seinem Vorwort zu meinem Buch auch erwähnt, er hat das richtig erkannt. Erhardt war damals eben der absolute Künstler überhaupt, auf den alle schauten. Zudem gab es bei ihm auch nie Schimpfwörter, das Wort „Scheiße“ hätten sie bei ihm niemals auf der Bühne gehört. Sein Humor war frei von Politik und Zoten. Es war alles sauber, da konnten Sie auch mit ihren Kindern hingehen. Die Leute haben das behalten, dass da so ein ruhiger Dicke auf der Bühne stand, der witzig war, erzählte und – wenn er Lust dazu hatte – eben auch tanzte. Zudem war Heinz Erhardt hintersinnig, er hat nicht einfach nur irgendwelche Kalauer von sich gegeben. Nein, da musste das Publikum schon ab und zu mitdenken.

Sie waren sein Manager, was gibt Ihnen Heinz Erhardt heute noch?

Horst Klemmer: Ich bin mittlerweile 87, mir geht es bis auf ein paar Zipperlein gut, auch wenn ich einen Schlaganfall hatte, Herzprobleme. Vor 15 Jahren war ich mit meiner Frau zur Kur. Der Professor dort war sehr nett, sodass ich ihm ein Heinz-Erhardt-Buch geschenkt habe, da er so viel Sinn für Humor hatte. Da stellt sich dieser Professor da unten in Berchtesgaden hin und rezitiert mir wortgetreu „Hinter eines Baumes Rinde, saß die Made mit ihrem Kinde“. Ich hatte Tränen in den Augen, das muss ich wirklich sagen. Diese freudigen Augenblicke gibt mir Heinz Erhardt heute noch.

Viele seiner Bonmots sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen.

Horst Klemmer: Ja, Erhardt war einmalig, sein Humor war einmalig. Den können Sie auch nicht nachspielen oder nachmachen. Er hat ja viel improvisiert oder so getan als täte er dies, dabei waren diese Gags alle geplant, um sie dann einzubauen. Das Publikum hat es nicht gemerkt, dachte das wäre Improvisation. Das ist der ganze Gag von ihm. Und dadurch, dass er eben ein bisschen beleibt war, seine dicke Brille trug, haben die Leute ihn etwas unterschätzt oder sagen wir besser, liebgewonnen. Gerade dieses Gemütliche mochten sie an ihm.

Seine Wortspiele sind unvergessen, die Gedichte und Auftritte ebenfalls. War Heinz Erhardt auf der Bühne denn auch ab und zu mal ganz spontan?

Horst Klemmer: Doch, doch, doch. Da gab es mal eine Szene in Berlin, wenn ich mich recht erinnere, das habe ich auch im Buch beschrieben. Die Leute waren dermaßen begeistert, dass ich gesagt habe: Herr Erhardt, Sie müssen noch mal rausgehen. Da hat er ihnen ein Gedicht vorgetragen, absichtlich falsch. Er hat mit dem zweiten Vers begonnen. Und da schreit das gesamte Publikum: Das stimmt ja gar nicht, das ist ja der zweite Vers. Da wollte er die Leute testen. „Ich wollte ja nur mal gucken, ob Sie aufpassen.“ Das war wirklich spontan. Das konnte er.

Aber es gab auch viel Routine, oder?

Horst Klemmer: Das Theaterstück „Das hat man nun davon“ haben wir über 612-mal gespielt. Da bekommt er Sekt serviert, was natürlich Wasser war. Das nannte er dann „Henkel nass“, denn er wollte keine Werbung machen. Und das hat er dann jeden Abend auf der Bühne gemacht. Diese kleinen Gags waren auch so typisch für ihn.

Viele dieser Anekdoten schildern Sie auch in Ihrem Buch. Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Buch?

Horst Klemmer: Ich habe die Anekdoten in Heften gesammelt und da kamen wir gemeinsam mit dem Verlag auf die Idee, das zu veröffentlichen. Die Geschichten sind zwar chronologisch angelegt, man kann das Buch aber auch wunderbar querlesen. Man sucht sich einfach eine kleine Geschichte aus.

Was mir bei der Lektüre aufgefallen ist: Diese ganze Zeit des Wirtschaftswunders wirkt aus heutiger Sicht wie eine heile Welt. Also eine ganz besondere Welt, auch gerade was diese Komödianten anbelangt. Wie bewerten Sie das?

Horst Klemmer: Es gab damals eine Dichte an zum Teil albernen Klamotten, aber auch wirklich ernstzunehmenden Künstlern wie eben Heinz Erhardt. Die Frage ist, wie schreibt jemand? Es gibt Leute, die schreiben Klamotten, was Heinz Erhardt nicht gemacht hat. Erhardt hat auf der Bühne nie Klamotten gespielt.

Auf der Bühne nicht, aber es gab ja schon Filme, in denen er mitgespielt hat, die waren zum Teil auch albern. Schöne Filme, aber eben auch ein wenig albern. Was mir aber immer aufgefallen ist, die Heinz-Erhardt-Auftritte haben diese Filme stets aufgewertet.

Horst Klemmer: Erhardt hat aber den anderen Schauspielern auch immer ihren Auftritt gegönnt, nicht alles an sich gerissen. Denken Sie nur an seine Dialoge mit Trude Herr beispielsweise.

Bekannt ist aber auch, dass er schon ein spezieller Typ war, der seinen eigenen Kopf hatte. Wie würden Sie jetzt die Figur Heinz Erhardt, der Privatmann, mit dem Menschen auf der Bühne oder vor der Kamera vergleichen?

Horst Klemmer: Er war keiner, der daheim ständig irgendwelche Albernheiten von sich gegeben hat. Er war zu Hause ein völlig normaler Mensch. Er sprang also nicht ständig albern herum. Man darf ja auch nicht vergessen, dass er vier Kinder hatte, ein gewissenhafter Familienvater war.

Nach seinem Schlaganfall Ende 1971 änderte sich alles. Heinz Erhardt, der Mann, der von seiner Stimme lebte, konnte auf einmal nicht mehr sprechen.

Horst Klemmer: Es war an einem Dezember-Tag. Ich war gerade zu Hause, wir hatten eine Party hier in Oldenburg gefeiert, um neun klingelt das Telefon. „Hier ist Frau Erhardt“ – sie sprach ja so ein bisschen mit Akzent, kam ja wie er aus Riga – „Klemmerchen, stellen Sie sich vor“ – sie nannte mich immer Klemmerchen – „Stellen Sie sich vor, Heinz hatte einen Schlaganfall, ein bisschen wie Blitz und Donner in seinem Kopf, ich weiß gar nicht, was da war. Können Sie helfen?“ Ich fragte: Was soll ich machen? „Ja, er liegt mit sechs Leuten in einem Zimmer, mein Sohn kann das nicht ändern. Rufen Sie doch bitte da an. Ich gebe Ihnen die Telefonnummer.“ Und ich habe es geschafft, dass er in ein anderes Zimmer kam.

Nach der Diagnose soll er sein Haus kaum noch verlassen haben. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?

Horst Klemmer: Er hatte in seinem Haus in Hamburg-Wellingsbüttel ein kleines angebautes Zimmer zum Garten. Das war sein Büro, da saß er dann auch später sehr oft und dort ist er dann auch gestorben. Er konnte ja nicht mehr die Treppe steigen und dann hatten wir ein Bett dort hingestellt, anstatt des Schreibtisches. Dort habe ich mich dann von ihm verabschiedet. Er konnte nur noch die linke Hand verwenden. Bei unserem letzten Gespräch habe ich ihm versprochen, dass wir noch eine Schallplatte machen. Die Teldec wollte das erst nicht, weil wir ein Theaterstück veröffentlichen wollten. Und dann habe ich denen erzählt, wie ich das mache. Wenn er nicht auf der Bühne ist, habe ich reingesprochen und habe gesagt, was passiert. Und dann habe ich ihn reden lassen, denn die Leute wollten ja ihn hören. Daraufhin gab er mir die linke Hand und hat gesagt, alles, alles Gute. Ich habe ihm versprochen, nächste Woche ins Studio zu gehen, um die Platte einzusprechen. Er hat meine Hand gedrückt, hat mich angelächelt und das war's dann. Das war's.

Diese Abschiedsszene beschreiben Sie auch sehr bewegend in dem Buch. Sie hatten ein ganz besonderes Verhältnis zu ihm.

Horst Klemmer: Das war ein tolles Verhältnis. Er hat mich auf der einen Seite als seinen Manager betrachtet, und auf der anderen als seinen Freund, obwohl er ja 27 Jahre älter war. Wir haben uns auch nie geduzt. Er hat gesagt, Sie sind mein Impresario. Wahnsinn, das war solch eine Ehre.

Nach seinem Schlaganfall hat sich auch für Sie geschäftlich einiges geändert, schließlich war er Ihr Hauptklient. Das beschreiben Sie sehr spannend in Ihrem Buch. Sie mussten sich erst einmal auf neue Füße stellen.

Horst Klemmer: Für zwei weitere Jahre hatte ich alles fertig: Plakate, Programme, Besetzung. Wir waren aber auch abgesichert, denn bei den anderen stand im Vertrag, wenn der Hauptdarsteller krank wird oder stirbt, verfällt der Vertrag. Aber das war schon eine harte Zeit, natürlich auch geschäftlich. Aber persönlich natürlich noch viel mehr. Ich habe ihn dann jeden Monat mindestens einmal besucht als er so krank war. Jeden Monat. Da sagte mir die Schwester immer: Herr Klemmer, Sie glauben nicht, wenn sie anrufen, da ist er immer wie umgewandelt, da freut er sich den ganzen Tag.

Wie haben sie den mit ihm kommuniziert? Sie haben gesprochen, er hat genickt?

Horst Klemmer: So ist es, er konnte nur noch fünf Worte sagen: ja, nein, danke, Sonne und Scheiße. Das Wort Scheiße, wirklich, was er vorher nie über die Lippen gebracht hat. Auf einmal konnte er es dann. Und wenn ich Geburtstag hatte, am 5. Dezember, klingelte um Punkt 9 Uhr mein Telefon und Frau Erhardt war dran: „Klemmerchen, einen Moment.“ Und dann kam er: „Gratuliere, gratuliere“. Das hat sie zwei Stunden mit ihrem Mann geübt. Zwei Stunden, das ist rührend. Zu Weihnachten hat er mir mit der linken Hand ein Weihnachtsgedicht geschrieben. Es begann mit den Worten „Meinem lieben, treuen Herrn Klemmer.“ Dafür hat er zwei Tage gebraucht.

Wann haben Sie ihn eigentlich zum ersten Mal getroffen?

Horst Klemmer: Da war ich 18 Jahre, das war in Oldenburg. Ich habe ihn getroffen und wollte ein Autogramm von ihm haben und ich hatte ein Buch mit Gedichten von ihm dabei. Später habe ich ihn dann noch einmal per Zufall getroffen als ich im Schwarzwald war. Ich war 19 und wir waren im Urlaub in Freudenstadt. Da spielte er mit den Leuten Federball und letztlich habe ich dann auch mit ihm gespielt. Da habe ich dann später wieder ein Buch gekauft, in das er mir mit seiner grünen Tinte wieder ein Autogramm gegeben hat. Immer in grün, das war so ein Tick von ihm.

Ich meine, da war der Weg ja vorprogrammiert, dass Sie sich dann irgendwann noch mal begegnen mussten.

Horst Klemmer: Später als ich dann in der Unterhaltungsbranche tätig war, fehlte mir bei einer Veranstaltung in Oldenburg urplötzlich ein Künstler und mir kam Heinz Erhardt wieder in den Sinn. Da habe ich mir seine Nummer besorgt und mich bei ihm vorgestellt. Er konnte, und daraus ist eine geschäftliche und freundschaftliche Beziehung geworden. Ich habe ihn auch immer fair behandelt, wollte dass er zufrieden ist.

Im Nachhinein waren diese Theater-Touren ein Riesenprogramm. Er war ja bekannt dafür, ein Lebemann zu sein: jeden Tag Kuchen, ab und zu mal ein Doornkaat. Ist das alles nicht auch an seine Substanz gegangen? Oder hat ihm da seine Disziplin geholfen?

Horst Klemmer: Er kam mit der Idee, Theater zu spielen. Das war ganz am Anfang unserer gemeinsamen Zeit. Da saß er bei mir, hat gesagt: Wollen wir nicht mal Theater spielen? Ich sagte ihm, dass ich davon keine Ahnung hätte, Theater kannte ich da noch überhaupt nicht. Er hat das dann genau geplant: Kulissen kaufen, die wir aus Kostengründen selbst mit auf Tour nehmen, Schauspieler engagieren, Transporter besorgen, und los geht es. Er reiste dann immer mit seiner Frau hinterher. Er fuhr dann immer so, dass er zum Mittagessen, bis zwölf in der nächsten Stadt war. Wir haben dann natürlich dafür gesorgt, dass die Orte, wo wir auftraten, immer nah beieinander waren. Und wenn dann mal Not am Mann war, etwa wenn die Kulissen im Regen nass wurden, haben wir die selbst ausgebessert. So pragmatisch war das damals, von allen. Die Disziplin hatte er ja schon in jungen Jahren: Da ist er für Auftritte zu einer Gage von 15 Mark in Mannheim oder Köln jeweils 24 Stunden von Riga in der vierten Klasse auf Holzbänken für die Auftritte hin- und wieder zurückgefahren. Wer würde das heute machen? Das ist eine Disziplin, da muss man wirklich den Hut ziehen.

Es heißt ja auch, Heinz Erhardt war sich nicht zu schade, selbst die Werbetrommel zu rühren, wenn die Vorstellungen mal nicht ausverkauft waren.

Horst Klemmer: Vor leerem Haus zu spielen, das wäre nichts für ihn gewesen. Nein, er hat gesagt, wenn Herr Klemmer kein Geld mehr verdient, verdienen wir alle nichts mehr. Das war sein Satz. Und selbst wenn nur drei Plätze frei waren im Vorverkauf – ich wusste das ja immer schon vorher – dann sagte er: Wir gehen jetzt in die Stadt und machen Reklame. Er hat dann wirklich persönlich die Leute angesprochen. Vor der Aufführung hat er dann auch immer schon einmal in den Zuschauerraum geguckt, ob denn auch alle da sind. Und wenn da noch Lücken in den ersten Reihen waren, wusste ich schon, was kommt. „Herr Klemmer, wir sind doch nicht ausverkauft, da sind doch noch zwei Plätze frei.“ Ich sagte dann: Herr Erhardt, natürlich sind wir ausverkauft, die Leute sind vielleicht krank oder sonst irgendwie verhindert. Vielleicht kommen sie auch ein bisschen später. Das war immer seine Sorge.

Aber es spricht auch für die Bodenständigkeit der Künstler damals. Man merkt, das waren irgendwie noch normale Menschen, die ihre Kunst nicht nur der Kunst Willen betrieben, sondern auch das Monetäre im Kopf hatten. Also sie wussten auch schon, dass sie irgendwie Geld verdienen mussten.

Horst Klemmer: Absolut, Erhardt war daran auch immer interessiert. Aber auf ihm lastete auch viel, er war ja der Star der Tournee. Er war der Star, ohne es zu wissen, es war einfach in ihm. Schauen Sie sich zum Beispiel den berühmten Auftritt Erhardts bei Robert Lembkes „Was bin ich“ an. Das ist ein TV-Klassiker, der läuft heute noch bei YouTube rauf und runter. Da war er relativ schnell durch mit seinen Antworten auf die Fragen und Lembke sagt zu ihm: Wenn wir Sie privat schon einmal hier haben, Sie können sechs Minuten länger machen. Das hat er dann richtig genossen. Andere Künstler, die würden Angst bekommen, was mache ich jetzt in diesen sechs Minuten? Und er genießt das. Dann hat er sein Buch in die Hand genommen, hat in die Kamera geschaut und gesagt, er wolle ja keine Reklame machen: „Es kostet 15 Mark“. Laute Lacher im Studio. Und dann war dieses Buch danach in den Buchhandlungen ausverkauft. Wir haben nach der Sendung eine Buchverkäuferin bei einem Auftritt getroffen, die erzählte von diesem riesigen Erfolg: Herr Erhardt, ich war heute hier bei Ihrem Auftritt, das war wunderschön, und ich bin Verkäuferin in einer Buchhandlung in Kassel. In der Woche, nachdem Sie bei Lembke waren, wollten alle Ihr Buch kaufen. Da hat er geduldig zugehört, fand das ganz toll. Das war die Zeit damals, die Menschen haben sich aufeinander eingelassen und miteinander gesprochen, es gab keine Star-Allüren.

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