25.11.2021 Musiker

Heinz Rudolf Kunze: "Die Musikindustrie ist ein sterbender Dinosaurier"

Von Felix Förster
Der Sepia-Ton trügt: Heinz Rudolf Kunze ist auch nach 40 Jahren im Geschäft kein bisschen müde.
Der Sepia-Ton trügt: Heinz Rudolf Kunze ist auch nach 40 Jahren im Geschäft kein bisschen müde. Fotoquelle: Simon Stöckl

Er gehört zu den Legenden unter den deutschen Liedermachern: Heinz Rudolf Kunze. Vor 40 Jahren begann die außergewöhnliche Karriere und anlässlich dieses runden Geburtstags hat der Musiker unter dem Titel "Werdegang" seine Autobiografie und ein neues Album veröffentlicht. prisma hat mit dem stets streitbaren Poeten des Deutschrocks gesprochen.

"Werdegang" ist der Name Ihrer nun erschienenen Autobiografie und Ihres neuen Albums. "40 Jahre Heinz Rudolf Kunze": Zeit, Bilanz zu ziehen? Wie fällt diese nach mehr als 40 Jahren im Musikgeschäft aus?

Heinz Rudolf Kunze: Ich habe noch das Ende des goldenen Zeitalters der Musikindustrie miterlebt, das sich durch die Einführung der CD bis in die beginnenden 2000er-Jahre hinzog. Seitdem ist diese Industrie ein sterbender Dinosaurier, was gravierende Konsequenzen für alle aktiven Künstler hat. Außerdem waren es natürlich musikalisch wild bewegte Zeiten! Von NDW über den Deutschrock und Techno bis hin zu Rap und Hip-Hop: Ich bin froh, das alles erlebt zu haben.

Sie haben für Ihr Best-of-Album einen ungewöhnlichen Weg gewählt und 1000 Fans abstimmen lassen, welche Songs darauf erscheinen sollen. Bisher kannte ich das nur von Peter Gabriel, der das auch für eine Tour gemacht hat. Sind Sie zufrieden mit der Auswahl der Fans?

Heinz Rudolf Kunze: Das ist durchaus nicht ganz ungewöhnlich. Ich weiß, dass einige deutsche Kollegen auch so verfahren. Die Auswahl der Fans war alles in allem aber schon voraussehbar.

Sie haben für das Album sehr gelungene Neu-Interpretationen mit neuen, zum Teil jungen Produzenten aufgenommen. Wie lief die neue Umsetzung der Songs ab, kamen die Vorschläge von den Produzenten?

Heinz Rudolf Kunze: Je jünger sie waren, und sie konnten teilweise meine Kinder oder sogar Enkel sein, desto zurückhaltender haben sie mich gefragt 'was dürfen wir denn machen'? Ich habe geantwortet: ALLES! Überrascht mich. Und das ist ihnen gelungen.

Die Songs sind gut gealtert, wie ich finde. Wie bewerten Sie Ihr Oeuvre nun im neuen Gewand?

Heinz Rudolf Kunze: Alles sind interessante Alternativen zu den Originalen geworden. Der Hardcore-Fan muss sie ja nicht unbedingt besser finden, aber ich wäre schon froh, wenn er allen Songs eine faire Chance gibt. Ich finde manche besser gelungen als die Originale, ich werde aber nicht verraten, welche.

Ihr größter Hit "Dein ist mein ganzes Herz" ist ziemlich radikal modernisiert worden. Man kennt ja Ihr ambivalentes Verhältnis zu dem Song. Hat es Ihnen Spaß gemacht, ihn sozusagen zu dekonstruieren?

Heinz Rudolf Kunze: Andere Nummern sind noch radikaler dekonstruiert worden. Aber natürlich wird mein zum Teil ironisches Verhältnis zu diesem Titel durch diese Version betont.

2021 ist Ihr großes Jubiläumsjahr, Ihr Debüt erschien 1981. Eigentlich wollten Sie in diesem Jahr auf große Jubiläums-Tour gehen, dann kam Corona. Nach einigen Lockerungen wird nun wieder ein alarmierender Ton angeschlagen. Wie sehen Sie als Künstler, der Auftritte benötigt, die Situation?

Heinz Rudolf Kunze: Ich kann nur hoffen, dass die große Deutschlandtour "Der Wahrheit die Ehre" nach ihrer dritten Verschiebung wie geplant im April und Mai 2022 stattfinden kann. Weil ich einfach meine wunderbare Band wiedersehen möchte. Solokonzerte sind etwas Wunderbares und mein täglich Brot, aber Bandkonzerte sind wie Klassenfahrt. Damit ich das endlich wieder machen darf, hoffe ich, dass sich die Impfunwilligen in diesem Land endlich eines besseren besinnen und damit der Solidargemeinschaft einen großen Gefallen tun.

Sie sind momentan mit Ihrem Solo-Programm unterwegs, wie ist die Resonanz der Fans?

Heinz Rudolf Kunze: Ich kann es nicht anders ausdrücken – fantastisch. Als ich 2015 damit begann, hatte ich eine Riesenangst, dass das keinen Menschen interessiert. Mittlerweile interessiert es viele Tausende.

Was können die Fans für 2022 live erwarten?

Heinz Rudolf Kunze: Die beste, weil freundschaftlichste Band meines Lebens. Wir sind besser denn je und wir passen so gut zusammen wie noch nie. Es wird ein Fest! Und natürlich feiern wir auch noch das große Jubiläum nach – es wird eine Rückschau auf 40 Bühnenjahre und natürlich gibt es auch einige Songs vom letzten Album "Der Wahrheit die Ehre".

Im Zuge der Streaming-Dienste sprechen Sie von einer Enteignung der Künstler, da nur Cent-Beträge fließen würden. Wie sähe ein Gegenentwurf zu dieser Art des "Musikkonsums" aus?

Heinz Rudolf Kunze: Ich bin kein Politiker. Ich wünsche mir nur eine Form von fairer Bezahlung. Meinetwegen können sie meine Musik auch als Duftspray verkaufen, wenn man angemessen dafür entlohnt wird. Enteignung von geistigem Eigentum ist ein Sargnagel für eine freie Gesellschaft.

Vor vielen Jahren kritisierten Sie, dass deutsche Musik zu wenig Beachtung erhalten würde. Nun gibt es rund 20 Jahre später eine große Anzahl junger, deutschsprachiger Liedermacher wie Tim Bendzko, Joris, Clueso, Max Giesinger, Johannes Oerding, Mark Forster und viele mehr. Freut Sie diese Entwicklung?

Heinz Rudolf Kunze: Nicht ich kritisierte das, sondern 600 Kollegen. Und es stimmt, jetzt haben wir mehr Quantität, über Qualität ist damit allerdings noch nichts gesagt.

Sie sind berühmt für Ihre hoch anspruchsvollen und künstlerischen Texte. Macht es Sie nicht wahnsinnig, wenn Sie sehen, wie die Sprache gerade momentan dauerhaft und – wie viele sagen zu ihrem Nachteil – verändert wird?

Heinz Rudolf Kunze: Ja, das tut es.

Sie beziehen klar Stellung gegen das Gendern in der Sprache, bezeichnen das als "Irrsinn". Der "Irrsinn" greift aber immer weiter um sich. Glauben Sie, dass diese Entwicklung aufgehalten werden kann?

Heinz Rudolf Kunze: Immerhin denkt der größte lebende Philosoph der Welt, Peter Sloterdijk, genauso wie ich in dieser Frage, abgesehen von schätzungsweise 90 Prozent der Bevölkerung.

Gibt es schon einen Song zu dem Thema?

Heinz Rudolf Kunze: Mindestens 50 sind in der Pipeline.

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