12.06.2023 Interview mit Rock-Legende

„Ich beklage sehr die neue Jammerlappigkeit“

Von Felix Förster
Heinz Rudolf Kunze hat ein neues starkes Album vorgelegt.
Heinz Rudolf Kunze hat ein neues starkes Album vorgelegt. Fotoquelle: René Gaens

Deutschlands bekanntester Rock-Poet ist wieder da und hat mit „Können vor Lachen“ ein Album veröffentlicht, das ihn persönlicher und verletzlicher, aber auch gewohnt kritisch und meinungsstark zeigt. prisma hat mit Heinz Rudolf Kunze über seine Karriere, alte Deutschrock-Gefährten und den musikalischen Nachwuchs gesprochen.

Ihr neues Album „Können vor Lachen“ ist im besten Sinne eine Old-School-Deutschrockplatte.

Heinz Rudolf Kunze (lacht): Old School? Wegen der handgemachten Musik?

Sie ist textlich gesehen doppeldeutig, man kann sich als Hörer in den Texten verlieren, seine eigene Interpretation finden. Es unterscheidet sich schon sehr von den häufig sehr plakativen Songs, die momentan vor allem im Formatradio gespielt werden.

Heinz Rudolf Kunze: Ja, darüber habe ich mich auch schon geäußert. Ich beklage sehr die neue Jammerlappigkeit bei jungen Männern mit Dreitagebart.

Sie zeigen klare Kante in Ihren Songs. Etwas, das ja momentan nicht so en vogue zu sein scheint…

Heinz Rudolf Kunze: Nein, alle kneifen den Schwanz ein, keiner will was riskieren.

Woher kommt Ihre Energie?

Heinz Rudolf Kunze: Ich habe ein tolles Management, das mir den Rücken stärkt und mir immer wieder Mut macht, zu formulieren, was mich reizt. Zum anderen habe ich einen unbändigen Spieltrieb, wirklich alles anzupacken, was mir durch das Gehirn rauscht. Ich bin mein Leben lang sehr gut damit gefahren, da sehr tabulos vorzugehen. Sicher hat das zur Folge, dass man polarisiert in der Arbeit. Dass man heiße und kalte Reaktionen bekommt und wenig laue. Aber das ist auch sehr schön so, denn wenn ich zu viele laue Reaktionen bekommen hätte, dann wäre ich wahrscheinlich nicht mehr da.

Das größte Problem für Künstler momentan ist doch, dass man gar keine Reaktionen mehr bekommt.

Heinz Rudolf Kunze: Ja, dass man einfach ignoriert wird. Das ist ein schlimmes Thema. Das hat natürlich viele Gründe, aber machen wir uns nichts vor, wir bewegen uns in der Spätphase der Populärmusik. Es gibt schon so unendlich viel und die Menschen haben natürlich nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit wie bei „Led Zeppelin II“ oder „Sgt Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, das ist klar. Man hat sich auseinanderzusetzen mit so viel großartigem Zeug, was es schon gab. Das kann man nicht leugnen, doch was soll man machen? Man kann das Rad nicht neu erfinden, aber wir tun unser Bestes. Und ich gebe immer noch jede Menge Herzblut, ebenso wie meine Jungs und mein wunderbarer neuer Produzent Udo Rinklin.

Jay Stapley, der langjährige Gitarrist von Marius Müller-Westernhagen, ist jetzt in Ihrer Band. Wie kam es dazu?

Heinz Rudolf Kunze: Er ist Gast und Ehrenmitglied (lacht). In der Band? Das weiß ich nicht, das ist noch ein Luftschloss, vielleicht können wir ihn ja überreden. Ich glaube eher nicht, ich denke, der hat sich zurückgezogen in East Anglia. Er war ja auch gar nicht bei uns, sondern hat seine Beiträge für das neue Album fernmündlich und mit Technologiehilfe zu uns überspielt. Aber es war mir eine große Ehre, denn ich bin seit ewigen Zeiten sein Fan. Ich habe ihn damals bei Marius kennengelernt und mich wahnsinnig gefreut, als mein Produzent mir erzählte „Jay ist ein Kumpel von mir, den lassen wir dann einfach mal mitmachen“. Bei dem Titelstück „Können vor Lachen“ haben er und mein fantastischer Gitarrist Manuel Lopez beide zusammengespielt. Da fühlte ich mich wirklich wie von Keith und Ronnie unterstützt.

Das Albumcover zeigt eine lachende Hyäne mit der typischen Kunze-Brille. Was hat es damit auf sich?

Heinz Rudolf Kunze: Die Hyäne ist meinem Manager Matthias Winkler eingefallen. Er sagte, die Hyäne sei doch berühmt für ihr keckerndes Lachen und da das Album „Können vor Lachen“ heißt, meinte er, wir sollten doch mit so einem grotesken, bunten Bild, einem Eyecatcher, den Leuten zeigen, dass es bei diesem Album nicht nur finster zugeht, sondern dass man auch was zu lachen und zu grinsen findet und spöttisch ein Auge zukneifen kann.

Wie Sie es schon erwähnen, hat das Album mitunter dunkle, auch zynische Texte, ist teilweise eher pessimistisch. Trotzdem habe ich das Gefühl, die Fans können daraus auch Kraft ziehen. Können Sie sich mit dieser Sichtweise anfreunden, auch ein wenig Optimismus zu sehen?

Heinz Rudolf Kunze: Darüber würde ich mich sehr freuen, Optimismus ist aber eher schwierig bei der Platte. Ich bin ja ein Mensch, der auch aus melancholischen Liedern durchaus Kraft schöpfen kann. Für mich müssen das ja nicht immer Parolen der Zuversicht sein. Natürlich freue ich mich aber sehr, dass ein Lied wie „Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort“ von meiner letzten Platte bei manchen Menschen schon fast zur Hymne geworden ist. Ich habe neulich eine Geschichte gehört, die mich sehr berührt hat: Eine Frau mit einer sehr schlimmen Diagnose sagte ihrem Arzt im Krankenhaus: „Aber Herr Doktor, die Dunkelheit hat doch nicht das letzte Wort“. Natürlich ist so ein Lied wie ein Pfeifen im Dunkeln, ein Privatgospel, mit dem ich mich selbst überzeugen will, dass die Dunkelheit nicht das letzte Wort hat. Was ich manchmal nicht ganz glauben kann. Da singt man sich selbst Mut zu, wie im Kirchenchoral.

Ein Album muss mit einem starken Titel anfangen, „Halt mich fest“ ist so ein Song. Darin singen Sie von „fehlender Freiheit“. Was meinen Sie damit?

Heinz Rudolf Kunze: Das ist natürlich ein Lied über diese diffuse Kriegsangst in Europa, die wir alle haben. Diese Sorge, dass es eskalieren kann und uns alle wieder mit reinziehen könnte, nachdem ein Überfallkrieg wieder möglich geworden ist. Das bewegt alle, wenn ich mich in meinem Umfeld so umhöre, in meiner Nachbarschaft. Dann muss das auch zur Sprache kommen, ich finde schon, dass es meine Aufgabe ist, alles abzudecken, was um mich herum so passiert. Soweit ich es wahrnehmen und formulieren kann. Manchmal geht das wie im Song „Igor“ sehr schnell, da sehe ich zwei Fotos in der Zeitung und muss dann darüberschreiben. Manchmal bin ich nicht ganz so schlagfertig und es dauert Jahre bis ich einen Song fertigschreibe. Ich kann es nicht erzwingen, entweder es kickt mich direkt an oder ich muss warten. Es gibt da keine Regeln.

„Igor“ ist ein bemerkenswerter Song, der den Ukraine-Krieg aus der Sicht eines russischen Soldaten schildert. Erzählen Sie bitte einmal, wie es dazu kam.

Heinz Rudolf Kunze: Ich sah das Foto eines russischen Soldaten, der in Kiew zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, weil er auf Befehl einen Zivilisten erschossen hatte. Das Gesicht von dem jungen Mann, der vielleicht 20 ist, schrie einfach nur nach Mama. Das bekam ich nicht aus dem Kopf und das, verbunden mit dem anderen Bild von den ukrainischen Kindern, die im russischen Bus aus Mariupol verschleppt wurden, hat dieses Lied ausgelöst. Und da kann man mir auch nicht vorwerfen, ich sähe nur eine Seite. Ich sehe vor allem die kleinen Leute auf beiden Seiten, die das ausbaden beziehungsweise ausbluten müssen, während die Diktatoren schön um die Welt reisen, von Konferenz zu Konferenz und sich die Hände reiben. Es sind immer die kleinen Leute, die dafür bluten müssen.

Wie kommt es, dass das so wenig thematisiert wird? Die einfachen Menschen auf beiden Seiten geraten irgendwie aus dem Fokus.

Heinz Rudolf Kunze: Das ist eine Frage, die gebe ich direkt von Ihnen weiter an die Weltöffentlichkeit. Ich weiß es auch nicht und ich wundere mich auch, dass das politische Lied ziemlich ins Abseits geraten ist. Ich frage mich, warum? Natürlich gibt es eine große Enttäuschung über sogenannte Protestlieder, ganz einfach, weil viele einfach so schlechtgemacht sind. Wenn man da einfach blöde herumpredigt, Krieg böse, böse, Frieden gut, gut, dann ist das dumm. Das nützt niemandem, und das will auch niemand hören. Doch wenn man eine konkrete Geschichte erzählt, wenn man bei den Einzelheiten bleibt, bei den konkreten Menschen, dann kann man das einfach so machen, finde ich.

Damit kommen wir zum nächsten aussagekräftigen Song „Der Irrsinn hat System“. Das ist eine Abrechnung mit Deutschland im Jahre 2023.

Heinz Rudolf Kunze (lacht): Das kann man so sagen.

Welche Reaktionen erwarten Sie auf den Song beziehungsweise gab es schon welche?

Heinz Rudolf Kunze: Auf den gab es komischerweise noch gar keine, das sind Sie der Erste. Ich hatte auch gedacht, das Lied würde jedem wegen der Krassheit mancher Absurdistan-Zeilen sofort ins Auge springen. Sie sind der Erste, der mich darauf anspricht. Ich finde das in dem Song beschriebene Gefühl kann man haben, wenn man wie besengt durch die Fernsehkanäle zappt, von einem zum anderen. Dann kann man solch ein absurdes Bild von diesem Land bekommen, wo im Moment eine mittelalterliche Vielfalt an Sektenmeinungen herrscht. Kein Diskurs, sondern nur Sekten, die sich gegenseitig anbrüllen und hauen. Jeder hat die Wahrheit gepachtet.

Und jeder erwartet den Shitstorm, wenn etwas Falsches gesagt wird.

Heinz Rudolf Kunze: Sie hatten vorhin nach der Freiheit gefragt, die sehe ich hier auch bedroht. Weil sich die Leute überall in ihren Meinungen einigeln und sich nicht mehr austauschen wollen, sondern nur noch ihre eigene durchpeitschen. Und das ist natürlich das Gegenteil von Demokratie.

Wenn Sie in dem Song von „Wir“ singen, schließen Sie den Hörer auch mit ein. Ich unterhalte mich mit „normalen Menschen“ und irgendwie denken viele Menschen so, wie Sie das in dem Song ausdrücken. Es fehlt aber der Aufbruch, das zu ändern.

Heinz Rudolf Kunze: Deswegen „Wir“, denn ich wundere mich über das hartnäckige Schweigen der Mehrheit.

Textlich ist das Album großes Kino: Da gibt es Reime, die noch wie Reime klingen, es gibt doppeldeutige Botschaften, manchmal sind die Texte aber auch sehr direkt.

Heinz Rudolf Kunze: Dass Reime wie Reime klingen, finde ich jetzt eine Grundvoraussetzung (lacht).

Das sagen Sie jetzt so…

Heinz Rudolf Kunze: Ich kann dieses schlechte Handwerk nicht ertragen, wenn da Dinge nur ähnlich klingen, aber keine Reime sind. Das werden Sie bei mir nicht finden.

Wie fühlen Sie sich denn momentan als Liebhaber der deutschen Sprache in diesem Land? Ich weiß, Sie werden in jedem Interview nach dem Gendern gefragt und können das bestimmt nicht mehr hören.

Heinz Rudolf Kunze: Ich versuche, die Sprache so gut zu pflegen und so gut zu behandeln, wie ich das nur kann. Sie ist mein kostbares Handwerkszeug. Ich bin ja sozusagen wie ein Fisch im Wasser: Ich lebe in diesem Wasser, aber ich arbeite auch mit diesem Wasser. Insofern sind die Sprache und Töne für mich ein hohes Gut und ich versuche, sehr sorgfältig damit umzugehen. Und unsere deutsche Sprache ist eine tolle Sprache, wenn man sie gut behandelt. Man kann sehr poetische Sachen mit ihr machen. Ich habe nie verstehen können, wie man sagen kann, dass man in der deutschen Sprache nicht singen kann und sie zu hart wäre. Das ist Quatsch. Die deutsche Sprache hat tolle Lyrik hervorgebracht, und da muss sie sich nicht hinter den mediterranen Sprachen und dem Englischen verstecken. Sie ist eben ein bisschen anders. Zum Gender-Thema habe ich nur einen Satz: Ich habe mir mein Leben lang nie vorschreiben lassen, mit welchen Worten ich Menschen respektiere.

Als Kind der 80er-Jahre kenne und schätze ich die Riege und die Tradition der Deutschrocker wie Sie, Maffay, Grönemeyer oder Westernhagen. Wenn Sie beobachten, was da jetzt an jungen Talenten nachkommt, sind das Leute, die in Ihre Fußstapfen treten können?

Heinz Rudolf Kunze: Die treten nicht in unsere Fußstapfen, die machen irgendwas Anderes. Damit meine ich gar nicht diese ganz jungen Kollegen, die sich ja fast schon im Schlager aufhalten. Sondern die andere Generation dazwischen: Bosse, Clueso, Oerding. Die empfinde ich nicht richtig als unsere Nachfolger und ich möchte sie gar nicht abwerten. Die machen irgendwas Anderes. Obwohl eine kritische Bemerkung erlaube ich mir dann doch: Ich finde sie nicht sehr mutig. Ich finde sie sehr vorsichtig, sehr taktisch. Natürlich sind die auch in einer Zeit angetreten, in der Mut vielleicht auch mehr kostet, weil die Plattenfirmen vielleicht nicht mehr so tolerant sind wie früher. Die haben nicht mehr so viel Geld wie früher und dann ist vielleicht auch der Spielraum geringer und wenn du dann nicht mehr so erfolgreich bist, wirst du schneller weggeworfen. Unsere Generation und dazu zähle ich mich, Niedecken, Lage, Herwig Mitteregger, Wolf Maahn, wie sie alle heißen, sind in einer Zeit angetreten, als der Horizont weit offen war, als die Plattenfirmen vor Geld kaum gehen konnten. Ich bekam damals als Nobody, als Anfänger einen Fünf-Jahres-Vertrag, das kann man einem jungen Kollegen gar nicht erklären. Das glaubt einem kein Mensch.

Der Grönemeyer wurde von Interscope vor „Bochum“ rausgeschmissen.

Heinz Rudolf Kunze: Der hatte da aber schon mehrere Platten machen können. Wir konnten uns damals in großer Ruhe und in jahrelanger Arbeit ausprobieren. Das ist ja heute nicht mehr so möglich. Deswegen will ich das auch nur kritisch anmerken, dass mir bei den jungen Kollegen ein wenig der Mut fehlt, ich aber ahne, woran es liegt.

Gibt es denn noch eine Verbindung zu den alten Kollegen? Ich möchte das jetzt nicht „Stammtisch“ nennen…

Heinz Rudolf Kunze (lacht): Eine lustige Vorstellung.

Hat man denn untereinander Kontakt und tauscht sich da aus?

Heinz Rudolf Kunze: Kontakt ja, befreundet bin ich mit wenigen Musikern, aber wir kennen uns im Grunde alle, und ich würde sagen, da gibt es genau die gleichen Sympathien und Antipathien wie in jeder anderen Berufsgruppe auch. Da gibt Leute, die kann man besser leiden und andere weniger. Ich habe jetzt 42 Jahre in der Musik auf dem Buckel, der Einzige, der mir einfällt, den ich leider nie kennengelernt habe, ist der große Franz Josef Degenhardt. Der ist gestorben, bevor ich ihn als Liedermacher kennenlernen konnte. Ich denke, alle anderen von Rang und Namen kenne ich. Und befreundet bin ich auch mit ein paar. Herausragend natürlich mit Herman van Veen und Reinhard Mey.

Sie sind bald wieder live zu sehen, allerdings steht da jetzt „solo“. Sind Sie da komplett alleine auf der Bühne?

Heinz Rudolf Kunze: Das hat sich anders nicht machen lassen. Eine Band-Tour zu dem Album bekommen wir erst im nächsten Frühjahr hin. Wir haben zwar noch vier Open-Airs mit der Band in diesem Jahr, aber das ist leider alles. Nach Corona war der Run auf die Hallen und Clubs so groß, dass wir keine vernünftige Tour zustande bekamen mit sinnvollem logistischen Hin und Her. Das klappt erst im nächsten Jahr. Meine Solo-Auftritte mache ich ja das ganze Jahr, das sprenkelt sich ja über den kompletten Kalender. Das ist eine Never-Ending-Tour…

Wie bei Ihrem großen Vorbild Bob Dylan…

Heinz Rudolf Kunze: Ja und dazwischen fährt man dann wieder nach Hause, das würde ich jetzt nicht Tour nennen. Das mache ich einfach das ganze Jahr. Bei den Auftritten werde ich natürlich ein, zwei oder drei neue Songs einstreuen, weil die Leute nach dem Erscheinen des neuen Albums natürlich auch darauf warten. Andererseits möchte ich der Band auch nicht zu viel wegnehmen, denn ich möchte, dass es beim ersten Spielen so richtig knallt.

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