25.05.2021 Sänger/Gitarrist von Alter Bridge

Myles Kennedy

Von Felix Förster
"Winter is over?" – Myles Kennedys neues Album weckt Hoffnung.
"Winter is over?" – Myles Kennedys neues Album weckt Hoffnung. Fotoquelle: Chuck Brueckmann

Myles Kennedy ist ein Phänomen: Ob als Teil der Hard-Rocker von Alter Bridge, als Sänger für Gitarren-Legende und Ex-Guns n' Roses-Mastermind Slash oder unterwegs auf Solopfaden, der US-Amerikaner bringt mit seinen verschiedenen Projekten fast im Jahrestakt ein neues Album auf den Markt. Nachdem die Tour mit seiner Combo Alter Bridge 2020 aufgrund von Corona unterbrochen werden musste, begab er sich ins Heimstudio und nahm Demos für ein Soloalbum auf. Ein Jahr später liegt nun mit "The Ides of March" eine vielschichtige und hörenswerte neue Scheibe vor. prisma hat mit ihm gesprochen.

Vor einem Jahr waren Sie mit Alter Bridge auf Tour, als Covid in unser aller Leben trat. War dies der Grund für das Soloalbum oder gab es vorher schon Pläne?

Myles Kennedy: Ja, es gab Pläne, ein Soloalbum zu machen. Zwei Wochen bevor sich dann alles änderte und die Welt heruntergefahren wurde, sprach ich noch mit meinem Manager, und er sagte: Ich werde versuchen, dich im August oder September ins Studio zu bringen, damit du dein neues Album machen kannst. Da sagte ich noch: Mann, wir werden doch für den Rest des Jahres noch mit Alter Bridge touren in Asien und Europa. Das wird aber knifflig, das alles zu planen und während der Tour an einem Soloalbum zu schreiben. Doch was wusste ich da schon? Zwei Wochen später hatte ich dann alle Zeit der Welt. Interessant ist, dass die Welt herunterfuhr und ich gar nicht wusste, wie lange das so sein wird. Ich dachte nur, ich nutze das zu meinem Vorteil, ich soll ja schließlich ein Album schreiben und gehe besser direkt an die Arbeit. Ich habe also keine Zeit vertan, als wir die Tour unterbrochen haben, und direkt angefangen. Ich habe sechs Monate durchgeschrieben, bin dann ins Studio gegangen und hier sind wir jetzt.

Kann man es so einfach ausdrücken, dass sich die Alter-Bridge-Schublade geschlossen hat und die nächste geöffnet? Waren die Songs also irgendwie schon da?

Myles Kennedy: Ja, es war so einfach, weil ich die Zeit hatte und sie in das neue Album investieren konnte. Ich hatte nichts anderes, auf das ich mich fokussieren konnte. Es gab keine anderweitige Ablenkung für mich. Wir konnten das Haus kaum verlassen, nicht auf Tour gehen. Da dachte ich mir, ich versuche einfach, produktiv zu sein und etwas zu schaffen. Ich entschied mich dazu, zu schreiben, Demos aufzunehmen, sie meinen Mitmusikern zu geben und das Album zu machen.

Der Titel des Albums ist sehr interessant, besonders für uns hier in Europa. "The Ides of March", "Die Iden des März" gehen auf die römische Geschichte zurück und sind eine Metapher für bevorstehendes Unheil. Warum haben Sie diesen Titel gewählt? Hat das etwas mit der aktuellen Situation zu tun?

Myles Kennedy: Ich fragte mich, welcher Titel wäre angemessen und würde das Album gut zusammenfassen? Anfänglich war da viel Unsicherheit, es gab viele unbeantwortete Fragen, dunkle Vorahnungen, wohin uns Covid führen würde. Diese Phrase ist für mich wie eine prophetische Warnung und fasst zusammen, was viele Leute fühlen. Zudem sollte der Titel Gewicht haben. "The Ides of March" klingt einfach gewaltig, und ich dachte, das passt.

Trotz dieses Titels und eher düsterer Songs wie "Wake me when it‘s over" empfinde ich das Album als sehr optimistisch. Sehen Sie Hoffnung in diesen dunklen Zeiten?

Myles Kennedy: Ja, die sehe ich. Ich versuche, einen gewissen Grad an Optimismus zu behalten. Nehmen Sie den Titeltrack, der beginnt mit einer ominösen Warnung „Some say the end is nigh, that no one will get out alive, some say it's written in the stars, beware the Ides of March“ und am Ende in der Coda ist da dann dieser Grad an Optimismus. Ein anderer Song ist "Wake me when it's over". Er beschreibt die Situation von uns allen im Lockdown: Wir behandeln uns irgendwie selbst, sind gelangweilt. Es geht darin um den Gedanken, wenn das das Ende ist, dann gehen wir wenigstens als eine Art Heilsbringer. Der Song fasst unsere emotionale Reise in den Lockdown zusammen. Es sind außergewöhnliche Zeiten.

Der Song "In Stride" fasst die Situation sehr gut zusammen, die ganze Panik, Angst. Was war der Grund für Sie, diesen Song zu schreiben?

Myles Kennedy: Das ist interessant, ich schrieb den Song letztes Jahr im Juni, er war einer der letzten. Mir fehlte noch eine Uptempo-Nummer, ich brauchte einen Song, der ein spezielles Gefühl transportiert. Also experimentierte ich etwas. Der Text kam relativ schnell, ich erinnerte mich an den Moment, als das alles mit Covid anfing und meine Frau und ich von unseren Vorräten lebten, die Sache mit dem Toilettenpapier (lacht). Es war, als würden wir uns auf den Weltuntergang vorbereiten. Ich fand es interessant, das zu thematisieren. Viele Leute haben ja ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Song hätte es fast nicht auf das Album geschafft, ich wusste nicht, ob er passt. Ich schickte das Demo an meine Band und meinen Produzenten und fragte sie, ob der Song funktioniert. Ich war mir nicht sicher.

Wie ist die Situation momentan in den USA? Sie leben in Washington State. Hat alles geöffnet?

Myles Kennedy: Es kommt darauf an, wo man ist. Es ist interessant, denn es kommt auch darauf an, woran man glaubt. Manche Leute folgen komplett dem Protokoll, andere nicht. Komische Zeiten.

Genauso wie bei uns in Deutschland, es geht ein Spalt durch das Land. "Worried Mind" ist der letzte Song auf dem Album und ein Höhepunkt. Er startet wie eine Grunge-Nummer und geht dann in eine Art Blues-Powerballade über mit coolem Gitarrensolo, großartigem Bass, gated reverb Drumsound. Es sind so viele Stile zu hören. Ihre Musik zu kategorisieren ist nicht einfach, können Sie uns dabei helfen?

Myles Kennedy: Es ist ein musikalisches Potpourri (lacht). Es ist wie ein musikalischer Eintopf, ich mag es einfach, verschiedene musikalische Zutaten zu mischen und hoffentlich etwas zu kreieren, das dynamisch ist. Damit komme ich zu meinen Helden von Led Zeppelin. Das ist etwas, was ich beim Hören ihrer Platten gelernt habe: da gibt es diese Rocksongs und die gehen dann mehr in den Blues über. Das habe ich immer schon sehr an ihnen geschätzt und wollte so etwas auch für meine eigenen Alben. Irgendwie schizophren zu sein, verschiedene Einflüsse und Geschmacksrichtungen einzubringen und die Musik interessant zu halten. Gleichzeitig aber den roten Faden, das Leitmotiv nicht vergessen, sodass es nicht zu etwas wird, bei dem man sich fragt „Was ist das?“ Etwa, wenn man einen Polka-Song hat und danach einen Death-Metal-Song. Es muss ein musikalisches Statement bleiben.

Ihr Output ist schier unglaublich: Alter Bridge, Slash, nun die Solo-Alben. Sind Sie ein Workaholic?

Myles Kennedy: In gewisser Weise bin ich ein Workaholic. Aber mehr als alles andere liebe ich es, zu schreiben. Ich genieße das, und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, was ich sonst mit mir anstellen sollte. Nehmen Sie diesen Morgen: Bevor ich die Interviews gestartet habe, saß ich herum, und wusste nicht, was ich mit meinen Händen machen soll. Ich habe mir die Hand letztens bei irgendetwas verletzt, und deshalb konnte ich keine Gitarre spielen wie sonst immer. Ich fühlte mich total verloren und versuchte etwas zu finden und schaute herum, was ich sonst tun konnte. Doch dann dachte ich, ach nee, lass mal. (lacht).

Gibt es Pläne für Alter Bridge? Haben Sie mit Ihrem Bandkollegen Mark Tremonti gesprochen?

Myles Kennedy: Ja, das habe ich und ich werde ihn auch heute Nachmittag noch anrufen, um 'Hallo' zu sagen. Das machen wir ständig. Er ist ein großartiger Kerl. Wir werden versuchen, nächstes Jahr ins Studio zu gehen. Das ist das Ziel. Wir warten einfach darauf, dass die Welt wieder öffnet. Bands auf diesem Level – das ist auch bei Slash and the Conspirators der Fall – spielen diese großen Hallen. Man bringt Alben heraus und promotet die Tour. Wenn man dann nicht touren kann, wenn man ein Alben veröffentlicht hat, muss man warten.

Was halten Sie von diesen virtuellen Konzerten? Haben Sie da etwas geplant?

Myles Kennedy: Momentan nicht, aber vielleicht muss es so ablaufen, denn ich möchte für das neue Album sehr gerne Konzerte geben. Vielleicht ist das virtuelle Konzert da eine Lösung.

Wir erleben momentan einen Wendepunkt in der Musikindustrie. Wie wird sich das weiter entwickeln?

Myles Kennedy: Wir werden die Teile wieder zusammensetzen. Es wird allerdings Zeit benötigen. Ich gehe von ein paar Jahren aus bis es wieder so sein wird, wie es vorher war. Man wird wieder Schulter an Schulter im Stadion stehen, es dauert nur noch ein wenig. Aber ich vermisse die Live-Auftritte sehr. Ich vermisse es, die Zuschauer zu sehen, ich vermisse es, auf der Bühne zu stehen. Zu hören, wie die Songs vom Publikum gesungen werden. Es ist ein Ritual für mich, diese Momente gemeinsam zu erleben. Das ist für mich, der viel schreibt, die wahre Erfüllung. Man schreibt einen Song, man sucht, ist allein, versucht etwas zu kreieren, und das alles zahlt sich aus, wenn man auf der Bühne steht, und diese Energie spürt.

Gibt es einen Weg wie die Fans die Musiker unterstützen können?

Myles Kennedy: Hört weiterhin Musik, vergesst uns nicht. Ich weiß, es gibt so viele Möglichkeiten der Unterhaltung, so viel, was man sich anschauen kann. Kauft eine Platte, streamt sie hier und da und helft uns, über Wasser zu bleiben.

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