Extremschauspieler im Interview

Philipp Hochmair und sein "Kunst-Krieg": "Ich mache gerne Krach und falle damit auf"

17.05.2023, 11.43 Uhr
von Marina Birner

Er ist nicht nur auf der Theaterbühne zu Hause, sondern fühlt sich auch am Filmset wohl: Philipp Hochmair kann Krimi und Komödie, Ein-Mann-Stücke und Rockkonzerte. Im Interview erzählt er von seinem "Kunst-Krieg", spricht über seine Leseschwäche, über Beziehungen und philosophiert über Nachhaltigkeit.

Er gilt als Extremschauspieler: Wenn es darum geht, sich einer Rolle "mit Haut und Haaren" zu verschreiben, ist Philipp Hochmair der richtige Mann. Der 49-Jährige liebt die große Bühne. Am Wiener Burgtheater und am Hamburger Thalia feierte er Erfolge. Seine Spezialität sind klassische Rollen im modernen "postdramatischen" Stil, darunter Hamlet, Mephisto und der junge Werther. Kann so einer Krimi oder Komödie? Seit 2018 verkörpert er den Titelhelden der ARD-Krimireihe "Blind ermittelt" und überzeugt als schwuler Politiker in der österreichischen Hit-Serie "Vorstadtweiber". Mit "Kleine Eheverbrechen" (Sonntag, 21. Mai, 20.15 Uhr, ZDF) stürzt sich der Bühnenberserker jetzt in eine düstere Liebeskomödie. Hochmair brilliert in der Rolle des ebenso egozentrischen wie erfolgreichen Romanautors Gilles, der in seiner Amnesie eine Chance sieht, seine Beziehung zu retten. Mit dem Drahtseilakt, eine Beziehung zu führen und gleichzeitig auf dem eigenen Erfolgstrip zu sein, kann sich Hochmair durchaus gut identifizieren, wie er im Interview verrät. Außerdem philosophiert er über Nachhaltigkeit, spricht von einer besonderen Text-Lernmethode und nimmt die Leserinnen und Leser mit in seine Welt der Extreme. Was er wohl mit seinem "Kunst-Krieg" meint ...?

prisma: Sie sprechen vier Sprachen, studierten auch in Frankreich, und Sie wohnen zeitgleich in Deutschland und Österreich. Würden Sie sich als eine Art Nomade bezeichnen, auf der ständigen Suche nach künstlerischer Herausforderung?

Philipp Hochmair: Schön formuliert (schmunzelt)... ja, so könnte man mich bezeichnen. Jetzt bin ich gerade in Wien, weil ich hier heute Theater spiele.

prisma: Vermittelt Ihnen Wien ein Gefühl von Heimat, weil Ihre Wurzeln in dieser Stadt liegen?

Philipp Hochmair: Zu Hause fühle ich mich ehrlich gesagt am ehesten in Hamburg an der Elbe. Dort habe ich meine ersten künstlerischen Schritte gemacht. Weg von zu Hause konnte ich mich da gut entwickeln und habe eine neue Welt entdeckt. Hamburg vermittelte mir damals als Anfänger ein Gefühl von Frische und Aufbruch, der große Hafen, das Tor zur Welt.

prisma: Wo liegen für Sie die größten Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland, zwischen Wien und Hamburg?

Philipp Hochmair: Es gibt wirklich viele Unterschiede! Das denkt man vielleicht erstmal gar nicht. Aber für mich wirken Hamburg und Wien, durch das jahrelange Hin und Her, oft wie eine Stadt. Vielleicht ist der Humor ein auffälliger Unterschied? Das, was mit der Satire "Die Vorstadtweiber" in Österreich aufgrund des doch eher speziellen regionalen und bösen Humors gelungen ist, könnte in Deutschland vielleicht nicht so entstehen, feierte dort aber einen enormen Erfolg. Der Film "Die Wannseekonferenz" hingegen wäre in seiner Brillanz und Präzision in Österreich wahrscheinlich so nicht entstanden. Die Verbindung aus beiden Ländern ist sehr reizvoll. Wien ist für Deutsche eine Art Sehnsuchtsort, das merke ich bei vielen Zuschauerreaktionen bei unserer Krimireihe "Blind ermittelt". Und Hamburg wiederum ist ein Sehnsuchtsort für Österreicher. Dass ich in beiden Ländern gleichzeitig arbeiten und leben kann, ist für mich eine große Freude. Ich darf also das Beste aus beiden Ländern gleichzeitig genießen.

"Wie kann es gelingen, sich im Alltag nicht aus den Augen zu verlieren?"

prisma: Auch das ZDF weckt mit Ihrem neuen Film "Kleine Eheverbrechen" vielleicht in dem einen oder anderen gewisse Sehnsüchte, Emotionen. Immerhin rückt ein düsteres Drama auf den sonst recht romantischen Herzkino-Sendeplatz ...

Philipp Hochmair: Das mag sein. Aber in erster Linie bin es nicht unbedingt ich, als Schauspieler, der hier beim Publikum große Emotionen hervorruft, sondern am ehesten die Geschichte. "Kleine Eheverbrechen" ist ein Rätsel: Was ist hier Lüge, was ist Wahrheit? Es mischen sich auch mehrere Genres. Den meisten Zuschauern dürfte die große Frage im Film sehr vertraut sein: Wie bringt man wieder frischen Wind in eine eingerostete Beziehung? Wie findet man wieder zueinander? Die beiden Protagonisten haben wirklich ein Problem und machen sich, in einem mutigen Spiel, auf die Suche nach einer Lösung.

prisma: Ist es das, was Sie an dem Drehbuch fasziniert hat?

Philipp Hochmair: Unter anderem. Das Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Eric-Emmanuel Schmitt und zeigt einen Mann, der es schafft, in seiner Amnesie eine Chance zu sehen. Er bietet aus absoluter Not heraus ein Spiel an, das die krisengebeutelte Ehe vielleicht noch retten kann.

prisma: Inwiefern konnten Sie sich mit der Rolle des erfolgreichen Romanautors Gilles Sobiri identifizieren? Immerhin gelten Sie als Schauspieler, der sich seinen Rollen mit Haut und Haaren verschreibt ...

Philipp Hochmair: Ich konnte mich gut mit ihm identifizieren. Ich verstehe das Problem, dass es schwierig sein kann, eine ernsthafte Beziehung zu führen, wenn man gleichzeitig zu sehr auf seinem eigenen Erfolgstrip dahingleitet. Da stellen sich die Fragen: "Wie kann man das mit einem Partner oder einer Partnerin teilen?" oder "Wie kann es gelingen, sich im Alltag nicht aus den Augen zu verlieren?"

prisma: Ist in Ihrem Leben Platz für große Gefühle, oder verschreiben Sie sich ganz der Kunst?

Philipp Hochmair: Die Kunst hat ja viel mit großen Gefühlen zu tun. Die Frage ist nur, ob man in so einer intensiven Arbeitswelt, in der ich bin, überhaupt fähig ist, eine Beziehung in all ihren Facetten zu leben. Ich denke, das ist für Schauspieler immer eine essenzielle Frage, weil einem der Beruf viel Konzentration abverlangt.

prisma: Und schaffen Sie es?

Philipp Hochmair: Man ist und bleibt doch ein Leben lang Lernender (schmunzelt).

prisma: Sie scheinen gerne in exzentrische Rollen zu schlüpfen, spielen Menschen, die es aufgrund besonderer Umstände nicht immer leicht in der Gesellschaft haben, wie beispielsweise der Kommissar in der ARD-Reihe "Blind ermittelt". Worin besteht für Sie der Reiz, einen Blinden zu spielen?

Philipp Hochmair: In unserer Krimi-Landschaft sind der blinde Ermittler und sein Assistent schon irgendwie einzigartig. Und wir haben seit 2017 bereits neun Filme gemacht ... das ist eine große Freude. Ich hatte immer schon die Sehnsucht, einen ungewöhnlichen Kommissar spielen zu dürfen. Und hier ist das geglückt.

"Ja, ich habe diese Schwäche und musste eben lernen, damit umzugehen"

prisma: Ist diese Sehnsucht Teil Ihres Kunst-Krieges, wie Sie Ihre Passion einst beschrieben haben?

Philipp Hochmair: Es ist eher ein innerer Kampf, zu sagen: Okay, ich widersetze mich gesellschaftlichen Konventionen und suche Projekte, die in mein Leben eingreifen. Ein Beispiel dafür ist der Film "Der Glanz des Tages" (2012), der größtenteils in meinem persönlichen Alltag stattfand. Immerhin spiele ich mich darin selbst. Auch in der Dokumentation "Jedermann und ich" (2023) ist mein Alltag der Schauplatz der Erzählung. Das sind Setzungen, worin sich Kunst und Leben nahtlos vermischen. Das ist das, was mich anzieht und was ich humorvoll als Kunst-Krieg bezeichnet habe. Ich werfe alles in solche Projekte hinein und verschreibe mich mit Haut und Haaren der Sache.

prisma: Sie verschreiben sich auch in spezieller Weise neuen Drehbüchern, da Sie mit einer Leseschwäche auf die Welt kamen. Sie haben eine ganz besondere Methode, sich Texte einzuprägen ...

Philipp Hochmair: Jeder Mensch hat Schwächen – nobody is perfect. Ja, ich habe diese Schwäche und musste eben lernen, damit umzugehen. Meine Methode, mir Texte einzuprägen, sieht folgendermaßen aus: Ich lerne gemeinsam mit einem Gegenüber. Man liest mir alles vor, und ich höre zu. Es ist zwar aufregend und spannend, aber auch für alle Beteiligten immer wieder harte Arbeit. "Die Wannseekonferenz" musste ich mir beispielsweise über drei Monate lang mühevoll einprägen. Große Rollen wie "Der Dorfrichter Adam" im "Zerbrochenen Krug" oder "Mephisto" im "Faust" waren wirklich eine lange Reise, ich habe mir diese Texte erkämpft. Wie einen hohen Berg, den man mühevoll erklimmt, um anschließend glücklich und verschwitzt ins wolkenverhangene Tal hinunterzuschauen.

prisma: Ist es auch für Profis, wie Sie einer sind, eine besondere Herausforderung, in Rollen wie Reinhard Heydrich in "Die Wannseekonferenz" zu schlüpfen?

Philipp Hochmair: In so einem Fall kommt mir eine historische Verantwortung zu. Ich stelle mir dann die Fragen: Sind das alles Monster? Stelle ich sie als Monster dar? Sind das Menschen? Stelle ich sie als Menschen dar? Wie frei bin ich in der Gestaltung einer einerseits historischen Persönlichkeit und andererseits eines gefühlskalten, grausamen und mächtigen Menschen. Heydrich als "guten Chef" dazustellen, war schon ein ganz schönes Wagnis. Bei einer Liebes-Komödie wie "Kleine Eheverbrechen" ist das wesentlich einfacher. Schließlich gibt es da keine politische Dimension.

prisma: Es heißt, dass Ihre Kollegen Sie schon mal als Bühnentriebtäter, Theaterpopstar oder Körperterroristen bezeichnen ...

Philipp Hochmair: Das sind Ausdrücke, die meine lieben Kollegen wählen, um meinen Zustand zu beschreiben (schmunzelt).

prisma: Ihren Zustand?

Philipp Hochmair: Als ich noch sehr viel Theater gespielt habe, trafen die Begriffe zu, weil ich eben nicht den konventionellen Weg gegangen bin. Mit der Probe war die Suche danach noch nicht vorbei. Ich wollte noch tiefer eintauchen.

prisma: Aber wieso?

Philipp Hochmair: Ich liebe das Extreme. Ich liebe es, bei starken Rollen wie beispielsweise "Mephisto", diese extremen Charaktere auch wirklich nach außen zu drehen. Am Theater haben wir einen freieren, direkteren und körperlicheren Umgang mit den Texten und dem Raum.

"Wie können wir die Welt retten?"

prisma: Hängt das vielleicht mit dem Happening-Charakter zusammen, nach dem Sie nach eigener Aussage süchtig sind?

Philipp Hochmair: Auf jeden Fall. Nehmen wir als Beispiel "Jedermann reloaded". Das Stück "Jedermann" von Hofmannsthal wird im Rahmen meiner Inszenierung ein großes Happening. Immerhin geht es darum, auf einer großen Bühne, wie sie das Burgtheater bietet, 1.500 Leute zu bespaßen. Ich für meinen Teil wähle die Form des Rock-Konzerts. Ich gebe da also Konzerte und Theaterstücke gleichzeitig. Das ist das, was ich als Happening bezeichnen würde. Danach bin ich natürlich irgendwie süchtig. Ich spiele einfach gerne, mache gerne Krach und falle damit auf.

prisma: Sind Sie als Frontmann und Mitgründer der Elektro-Rock Band "Die Elektro Hand Gottes" eigentlich gläubig?

Philipp Hochmair: Ich habe zwar keinen klassischen christlichen Glauben, sondern eher einen allumfassenden. Ich glaube an das Gute und an die Natur – und daran, dass die Natur unter der Spezies Mensch gerade wirklich sehr zu leiden hat. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Ich versuche, mich immer wieder an wichtige Fragen im Leben zu erinnern: Wie können wir die Welt retten? Wie können wir die Umwelt schützen? Wie können wir unsere Bedürfnisse zurückschrauben? Darin spiegelt sich mein Glaube wider.

prisma: Inwiefern sind Sie selbst aktiv, wenn es darum geht, die Natur zu schützen und nachhaltig zu denken und zu leben?

Philipp Hochmair: Ich bin natürlich kein Anführer mit einer Ideologie, aber ich versuche, es für mich selbst durchzuziehen so gut es geht. Ich versuche, meine alltäglichen Lebensgewohnheiten anzupassen, auf Plastik zu verzichten oder auf Flohmärkten einzukaufen. Ich versuche allgemein einfach, etwas kleiner zu denken – im materiellen Sinn.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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