"Verbotenes Begehren": Das Aufblühen des queeren Lebens in den 20er-Jahren







Angst, Verfolgung und Hoffnung: Vor 100 Jahren waren homosexuelle Menschen hierzulande überaus gefährdet; zugleich entstand in Wien und Berlin erstmals ein lesbisch-schwules Selbstverständnis. ARTE blickt in zwei Dokus auf das queere Leben in den 20er-Jahren – und dessen Zerstörung durch die Nazis.
Schaut man sich heutzutage in unseren Großstädten um, erscheint queeres Leben als selbstverständlich. Und doch sollte die vielerorts gelebte Toleranz und Sichtbarkeit nicht darüber hinwegtäuschen, dass die LGBTQ-Community viele Jahrzehnte um Anerkennung kämpfen musste – und das in einigen Orten und Gemeinschaften auch heute noch tun muss. Wer verstehen will, wie mühsam dieser Kampf homosexueller und trans Personen um Freiheit und Selbstbestimmung bisweilen sein kann, findet – wie so oft – Antworten in der Geschichte. Erkenntnisse verspricht insbesondere der Blick auf das Berlin und Wien der 20er-Jahre: Hier entfaltete sich vor 100 Jahren erstmals ein queeres Selbstbewusstsein, während zugleich Diskriminierung und Verfolgung ihren Höhepunkt erreichten. Zwei Dokumentationen auf ARTE beleuchten nun das Aufblühen dieses Lebens abseits der Norm – und dessen Zerstörung durch die Nationalsozialisten.
Im ersten Film der Doppel-Dokumentation, die unter dem etwas groschenromanhaften Titel "Verbotenes Begehren" die Geschehnisse mit Spielfilmszenen illustriert, geht es zunächst um keinen Geringeren als Sigmund Freud. Im Wien des Jahres 1919 behandelt der berühmte Vater der Psychoanalyse die junge Margarethe Csonka, die er wegen ihrer Schwärmerei für eine andere Frau "heilen" soll.
Doch die Liebe zu einer preußischen Baronin (gespielt von Elena Wolff), um die sich zur damaligen Zeit viele Skandale ranken, hält allen sogenannten Therapieversuchen Stand. Freud scheitert an der von Christina Cervenka gespielten Frau, die sich von der Gesellschaft nichts vorschreiben lässt. Und er erkennt: Homosexualität kann und muss nicht geheilt werden. Es ist die Grundlage für das, was heute (fast) überall Normalität ist. Denn trotz dauerpräsenter Stigmatisierung kann sich lesbisches und anderes zuvor unerwünschtes Leben und Lieben ab 1920 in der Großstadt immerhin zaghaft entfalten.
Blüte und jähes Ende
Das zeigt sich auch in der Hauptstadt der Weimarer Republik: Gegen das Verbot der gleichgeschlechtlichen Liebe kämpft im Berlin der 20er-Jahre etwa der Sexualforscher Magnus Hirschfeld, der zudem die ersten geschlechtsangleichenden Operationen überhaupt arrangiert. "Insofern ist er ein Vorläufer für die heutige Diskussion um die vielen verschiedenen Geschlechter", erklärt Experte Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft im Film. Zugleich jedoch werden in Berlin wie in Wien jene mutigen Vorkämpfer für queere Selbstbehauptung aufs Härteste bedroht: "Die queere Kultur ist genau hier erfunden worden, aber hier gab es auch die bis heute schlimmsten Verfolgungen", fasst der Historiker Robert Beachy prägnant zusammen.
Ein jähes Ende findet die Hoffnung auf ein besseres Leben schließlich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Während der Filmprotagonistin Margarethe Csonka die Flucht über Paris und Moskau gelingt, haben andere weniger Glück. Das NS-Regime verfolgt und vernichtet insbesondere schwule Männer, doch auch lesbische Frauen werden kastriert, in Konzentrationslagern inhaftiert und umgebracht. Jenes selten betrachtete Schicksal queerer Frauen unter den Nazis wird in der Doku umfassend beleuchtet – ebenso wie die Stigmatisierung homosexueller NS-Verfolgter auch in der Nachkriegszeit. Davon berichtet eindrücklich der zweite Teil, den ARTE im Anschluss ab 20.55 Uhr unter dem Titel "Der Mann mit dem rosa Winkel" ausstrahlt.
Er dreht sich vor allem um den Wiener Josef Kohout (gespielt von Stefan Gorski), der während der NS-Zeit in zwei KZs fünf Jahre lang ums Überleben kämpfte – und im Österreich der Nachkriegszeit um die Entschädigung als Opfer der Nazis. Wie tausenden Leidensgenossen wird ihm diese Anerkennung verwehrt, weil Homosexualität auch nach 1945 als illegal verfolgt wird. Zeit seines Lebens wird Kohout nicht entschädigt werden – doch er will seine grausame Geschichte nicht unerzählt lassen. Als Erster berichtet er Ende der 60er-Jahre im Buch "Die Männer mit dem rosa Winkel" vom Martyrium homosexueller Männer während des Nationalsozialismus; von den Demütigungen und Qualen, auch vom System sexueller Ausbeutung, in das er gedrängt wurde, um zu überleben.
Das erschütternde Zeugnis gerät zum Schlüsselwerk der zweiten schwul-lesbischen Bewegung – und der titelgebende rosa Winkel, mit dem die schwulen KZ-Insassen markiert wurden, zum frühen Pride-Symbol. Bis heute ist der rosa Winkel, den Kohout im KZ tragen musste, der einzige erhaltene, der mit einer konkreten Person verbunden werden kann.
Verbotenes Begehren – Do. 18.07. – ARTE: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH