Der ARTE-Themenabend zum Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar zeigt erstmals Filme von Claude Lanzmann, die im Zuge seiner "Shoah"-Recherchen entstanden sind.
Elf Jahre lang – von 1974 bis 1985 – reiste der französische Regisseur Claude Lanzmann durch Europa, um Zeitzeugen des Holocaust zu befragen. Im neuneinhalbstündigen Film "Shoah" sprachen die Zeugen des Holocaust ohne Einbeziehung von Fremd- oder Archivmaterial frontal in die Kamera, sie antworteten auf die insistierenden Fragen des Interviewers. Wer geglaubt hatte, alles über den Holocaust (im hebräischen: "Shoah") zu wissen, wurde eines Besseren belehrt. Die Wahrheitsfindung suchte in ihrer Unerbittlichkeit ihresgleichen. Nun legt Lanzmann überraschend noch einmal nach: Vier Frauen, "vier Schwestern" genannt und allesamt Überlebende von Auschwitz, berichten in verschiedenen Filmen des ARTE-Themenabends "Gegen das Vergessen" zum Gedenktag der Opfer des Holocaust am 27. Januar über ihr Schicksal.
Bei der Montage von "Shoah" stellte Lanzmann aber fest, dass er einige der langen Gespräche, die er geführt hatte, nicht im Film verwenden konnte. Aus diesem Material entstanden in den letzten Jahren mehrere Dokumentarfilme – unter anderem vier bewegende Interviews mit Frauen, die den Gräueln der Nazis entkommen konnten, mit Ruth Elias, Ada Lichtman, Paula Biren und Hanna Marton. Sie wurden unter dem Titel "Vier Schwestern" zusammengefasst.
So erzählt Paula Biren im Film "Baluty – Paula Biren" (Erstausstrahlung, 20.15 Uhr) vom Überfall der Deutschen auf Polen, als sie 17 Jahre alt war, und von der Errichtung des Ghettos in Lodz, wo sie unter dem Leiter des Judenrats Mordechai Chaim Rumkowski als Ghetto-Polizistin diente. Chaim war davon überzeugt, dass er einen Teil der internierten Juden retten könnte, indem er sie zu unverzichtbaren Helfern der Deutschen machte. Lanzmann versucht mit dem Zuschauer, den Druck der Verhältnisse zu begreifen. Ironisch droht er damit, Paula Biren womöglich aus der Fassung zu bringen.
Beim Interview unter einem strahlend blauen Himmel am Meer gesteht ihm später die Interviewte, sie hätte vor noch nicht allzu langer Zeit nicht über das damals Erlebte reden können. Beim Abtransport von Verwandten habe sie in ihrer Hilflosigkeit vor der Wahl gestanden, sich anzupassen oder sich konsequenterweise das Leben zu nehmen. Keiner habe damals geholfen, auch nicht die mit Polen verbündeten Engländer und Franzosen. Der Titel "Baluty" bezieht sich auf den Stadtteil im damaligen Lodz, in dem das Ghetto mit all seinen Grausamkeiten eingerichtet wurde.
Der Film "Die Arche Noah – Hanna Marton" (21.20 Uhr) ist ein Interview mit Hanna Marton, die 1944 bei der Deportation ungarischer Juden durch ein mit Adolf Eichmann ausgehandeltes Lösegeld mit einem Spezialtransport von Budapest über Bergen-Belsen in die Schweiz entkam. Hanna Marton gehörte zu den 1.684 Juden des Konvois, die so dem sicheren Tod entgingen. Zeitgleich wurden im Gegenzug 450.000 ungarische Juden in den Gaskammern von Birkenau ermordet.
In "Auschwitz. Das Projekt" (Erstausstrahlung, 22.30 Uhr) analysiert der Pariser Filmemacher Emil Weiss schließlich das System des riesigen Konzentrationslagers von Auschwitz-Birkenau mit seinen verschiedenen Lagerbereichen, verteilt über eine Fläche von rund 40 Quadratkilometern. Der Komplex Auschwitz spiegle alle Strategien des NS-Staates wider – die nationalsozialistische Territorialpolitik, die Bevölkerungs- und Vernichtungspolitik, aber auch die Industrie-, Landwirtschafts- und Forschungspolitik.
Nach dem Film "Tödliche Rache – Vom Holocaust-Opfer zum Mörder" über den 85-jährigen Mosche Knebel, der sich für die Ermordung seiner Familie an den Nazis rächte (Schweiz, 2015, 23.30 Uhr), erzählt Lanzmann in "Claude Lanzmann – Stimme der Shoah" noch einmal die Entstehungsgeschichte von "Shoah", seiner elfjährigen Konfrontation mit dem größten Verbrechen an der Menschlichheit, aber auch aus seinem eigenen Leben (2015, 0.20 Uhr).