Im Dortmunder "Tatort: Zorn" ermittelt ein zerstrittenes Team im tristen Milieu des Pott-Prekariats. Zwischen ehemaligen Bergbau-Kumpels und Reichsbürgern geht es grob zur Sache.
Im Pott rumort es noch. Nicht mehr unter Tage, sondern in den Köpfen und Leben jener, die dort einst ihr Auskommen fanden. Seit Jahrzehnten kämpft die Gegend mit den Folgen ihres wirtschaftlichen Niedergangs. Die Zechen schlossen, wurden zu Industriedenkmälern und Brachen. Übrig blieben die Kumpel – gerade noch Vollstrecker des Wirtschaftswunders, bald schon sozial abgehängt und abgestellt. Welche Wut und Ohnmacht sich in Menschen breitmachen kann, die sich fallengelassen fühlen, illustriert der Dortmunder "Tatort: Zorn" eindrücklich. Inmitten der grauen Tristesse des Pott-Prekariats ermitteln Faber und sein Team im Falle eines Mordes an einem ehemaligen Bergmann. Abseits des ansonsten soliden Krimis bewegt sich der zweite Fall mit Neuling Rick Okon zwischen Milieustudie und traurigem Abgesang auf eine stolze Region.
Oft triefen "Tatort"-Kulissen nur so vor gesellschaftlichen Klischees. Im vor trüber Ruhrpott-Szenerie inszenierten Beitrag des Krimispezialisten Andreas Herzog scheint das nicht anders zu sein. Allein: Die verlassenen Zechen, die trostlosen Landschaften, die farblosen Häuser – sie existieren in dieser Weise tatsächlich. Im schnörkellosen Unfeinen lag ohnehin immer der grobe Charme des Dortmunder "Tatorts" um Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt) und Nora Dalay (Aylin Tezel), die sich nun mit Neuling Jan Pawlak (Rick Okon) ins emotionale Herz, in die schmerzende Seele des Ruhrpotts begeben.
Hier, nahe Dortmund, am Rande des bergbauverschmutzten Flusses, wird die Leiche des ehemalige Bergmanns Andreas Sobitsch gefunden. Der Erschossene lebte in einer der gleichförmigen Zechensiedlungen, in denen die Übriggebliebenen hausen. Bei den Ermittlungen wird schnell klar: Der Tote engagierte sich unter dem Motto "Schicht im Schacht" zwar für die arbeitslosen Kumpel. Zoff gab es dank des Strukturwandels unter den einst Eingeschworenen dennoch. Die Zeche vor Ort wurde geschlossen, bald soll ein Bergwerk-Erlebnispark dort entstehen. Als Entschädigung für die Bergleute sollten billige Geisterbahn-Jobs dienen. Während Sobitsch und sein Kollege Klaus Radowski (Peter Kremer) die Kumpels von dem Angebot zu überzeugen suchten, brodelt in anderen nur noch Wut. Möglicherweise ein Mordmotiv?
Einer dieser Zornigen ist Ralf Tremmel (Thomas Lawinky), der wegen seines einsturzgefährdeten Hauses im Wohnwagen lebt; ebenso wie sein mit der eigenen Frau zerstrittener Kumpel Stefan Kropp (Andreas Döhler). Bald wird klar, dass der Tote eine Affäre mit Kropps Ehefrau hatte – ebenfalls ein mögliches Motiv. Derlei dicke Luft herrscht nicht nur unter den Kumpels, sondern auch in der vierköpfigen Ermittlergruppe, in der Teamarbeit, gelinde gesagt, eher geringschätzt wird. Alle gegen alle, einer gegen einen – so scheint das Motto der Kommissare zu lauten.
"Wenn man so ein Team hat, braucht man keine Feinde", weiß richtigerweise auch Ermittlerin Bönisch, die sich nicht nur mit höllischen Rückenschmerzen herumschlagen muss, sondern auch mit einem wie immer mies gelaunten Faber. Der rülpst seine Kollegin nach einer durchzechten Nacht ("Nächte im eigenen Bett werden überbewertet") nicht nur an, sondern kommentiert auch ihre Schmerzen ("Besser keine Pillen nehmen, reicht wenn ich das mache").
Während Bönisch in einer amüsanten Nebenhandlung ihr Glück beim Chakren-Wunderheiler versucht, suhlt sich Faber bei den Ermittlungen standesgemäß im Lokalkolorit, sagt zu jedem Bierchen ja und solidarisiert sich mit den Kumpels, unter deren grobem Umgangston er sich geborgen fühlt ("Uns fickt schon jeden Tag das Leben, reicht dann am Abend"). Nebenher sinnt er nach Rache für seine ermordete Familie – LKA-Beamtin Dr. Klarissa Gallwitz (Bibiana Beglau) hilft ihm mit einem Deal.
Sozialer geht es auch bei den jüngeren Kollegen nicht zu: Nora Dalay ermittelt ohne Absprache auf eigene Faust und kann den neuen Kollegen Jan Pawlak nicht ausstehen: "Seid ihr alle blind oder was? Der Typ kommt und geht, wie er will!". Pawlak versteht sich zu wehren und geht seine Kollegin brutal an. Rick Okon, derzeit für "Das Boot" gefeiert, bringt eine neue Dynamik ins Dortmunder Viererteam; als cooler Polizeistreber, der sich nicht reinreden lässt. So liefert er auch entscheidende Hinweise darauf, dass der Mord mit dem derzeitigen Lieblingsmilieu der "Tatort"-Autoren zusammenzuhängen scheint – den Reichsbürgern.
Damit öffnet der "Tatort: Zorn" ein weiteres von vielen Fässern. Die Ermittler stoßen auf Reichsbürger Friedemann Keller (Götz Schubert), der in seinem "Freien Reich Frieden" lebt und Dinge sagt wie: "Ich hasse diesen Pseudostaat" und "Ich werde mein Reich immer verteidigen". Hat er den Kumpels Sprengstoff geliefert? Wie hängt alles zusammen? Gewohnt lebensmüde infiltriert Faber den Waffennarr. Das ist zwar gut erzählt, für den "Tatort" allerdings nicht unbedingt vorteilhaft. Vom überaus interessanten Pott-Milieu der Abgehängten wechselt der Fokus plötzlich auf die zur Genüge beleuchteten extremistischen Sonderlinge.
Einerseits droht ein ansonsten herausragend gespielter, sozial relevanter und angenehm widerspenstig wirkender "Tatort" dadurch überfrachtet zu werden. Andererseits: Vielleicht braucht es bei vier jeweils auf ihre Weise kaputten Ermittlern auch mehr kaputte Kriminelle pro Folge. Der Dortmunder "Tatort", so scheint es, legt gerade erst richtig los.