Wer klassische Gruselfilme liebt, dürfte auch nach dem neuen Sachsen-"Tatort" zufrieden fröstelnd ins Bett gehen. Die Genrefilm-Liebhaber Erol Yesilkaya (Buch) und Sebastian Marka (Regie) erzählen von einem in Schlafvisionen gequälten Mädchen, das Tote "sieht".
Mittlerweile könnte man für die Filmemacher Erol Yesilkaya (Buch) und Sebastian Marka (Regie) fast schon ein eigenes "Tatort"-Genre aufmachen, denn die beiden Kreativköpfe bespielen das deutsche Fernsehkrimi-Flaggschiff mit zwei, drei Arbeiten pro Jahr auf ganz spezielle Weise. "Parasomnia" ist bereits der dritte Sachsen-"Tatort" der beiden Mittvierziger. Außerdem haben sie in den letzten Jahren beachtliche Arbeiten für andere Ermittler-Teams wie die mit dem Grimmepreis ausgezeichnete Berliner Folge "Meta", den Frankenkrimi "Ein Tag wie jeder andere" oder die großartige Murot-Folge "Es lebe der Tod" mit Jens Harzer als philanthropem Massenmörder erschaffen. Doch was ist das Besondere an den Werken des Duos? "Wir beginnen unsere Filme oft in einem Genre, und dann kommt ungefähr in der Mitte eine Zäsur, woraufhin wir das Genre ändern – manchmal sogar den Protagonisten des Films."
Nun, ganz so Achterbahn-mäßig überraschend ist "Parasomnia" nicht. Stattdessen bewegt sich die Erzählung weitgehend in den Grenzen des klassischen Haus-Horrorfilms: Illustrator Ben (Wanja Mues, "Ein Fall für zwei") bezieht mit seiner 14-jährigen Tochter Talia (Hannah Schiller) ein großes, DDR-gruselgraues Haus, welches – wie kann es anders sein – etwas abgelegen in einem Waldstück liegt. Seit dem frühen Tod der Mutter leidet Talia unter Schlafstörungen. Oft sieht sie nachts Dinge und Menschen, die andere nicht wahrnehmen.
Dann jedoch geschieht in besagtem Gruselhaus tatsächlich ein Mord – vielleicht dachte der Täter, es wäre immer noch unbewohnt. Talia wird Zeugin des Verbrechens, kann sich aber in der Befragung durch Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) nur an Farbdosen statt eine Leiche und ausgelaufenes Rot statt Blut erinnern. Ein Muster ihrer Parasomnie, in der das Mädchen allzu Schreckliches in Dinge verwandelt, mit denen ihr geängstigtes Bewusstsein im Wachzustand leben kann. Während Gorniak und ihr Chef Schnabel (Martin Brambach) mit der ungewöhnlichen Jugendlichen nicht weiterkommen, "verliebt" sich Talia auf den ersten Blick in die Ermittlerin Leo Winkler (Cornelia Gröschel). Die erinnert sie mit ihren Prachtlocken wohl an die verstorbene Mutter. Ein guter Start für eine Reise ins finstere Unbewusste?
Und wieder dürfte sich bei diesem "Tatort" die Frage stellen – samt scheidender Geister – ob selbige auch in einem "Tatort" zu manifesten Bildern werden dürfen. Natürlich gibt es da den klassischen Ausweg: Nur das Mädchen sieht Gespenster, von denen die Kommissarinnen bald ahnen, dass es sich um ermordete Frauen handeln könnte. Da es die Toten – nach Recherchen in alten Stasi-Archiven – wohl aber tatsächlich gibt, stellt sich doch wieder die Frage nach dem Paranormalen, denn Talia konnte unmöglich von ihnen wissen. Es waren Opfer eines Serientäters – und die durfte es in der DDR laut politischer Doktrin nicht geben.
Gespenster im Fernsehen haben oft etwas ungewollt Drolliges, auch wenn sie außerhalb des eher fürs KiKa-Publikum gedachten Hui Buh-Kosmos auftauchen. Sebastian Marka muss man lassen, dass seine Schlafvisionen der jungen Talia tatsächlich Gänsehaut erzeugen, weswegen zarte Gemüter und jüngere Zuschauer diesen "Tatort" unbedingt meiden sollten. Im Vergleich zur gerade beim Abosender Sky laufenden ersten deutschen Horror-Serie "Hausen" mit Charly Hübner, deren Bilder maximal verstören sollen, möchte man fast behaupten: "Parasomnia" ist aufgrund seiner festen erzählerischen Verankerung an einer jungen, gequälten Seele fast unangenehmer zu schauen.
Die 14-jährige Talia wird von der fast 21-jährigen Hannah Schiller gespielt, von der man in Zukunft wohl mehr hören und sehen dürfte. Die junge Bonnerin machte bereits mit der WDR-Serie "Phoenixsee" auf sich aufmerksam. Zudem spielt sie eine Hauptrolle in "Die fremde Tochter", dem neuen Film von Daniel Nocke (Drehbuch) und Stefan Krohmer (Regie). Das Drama feierte im Frühherbst 2020 beim Filmfest Hamburg Premiere. Von Erol Yesilkaya und Sebastian Marka hingegen lief am 28. Oktober der Science-Fiction-Film "Exit" im Ersten. Dabei konnten die beiden Filmemacher ihre Visionen rund um eine künftig "drohende" Unsterblichkeit des Menschen durch digitales Persönlichkeits-Klonen ganz ohne spukende Gespenster ausleben – was aufgrund des bespielten Genres tatsächlich niemanden ärgern dürfte.
Tatort: Parasomnia – So. 15.11. – ARD: 20.15 Uhr