Eine neue Krimireihe aus Thüringen soll den ARD-Donnerstagabend "bereichern" – und das könnte tatsächlich etwas werden. "Tod am Rennsteig – Auge um Auge" startet zwar etwas zu "groß" mit Ritual- und Serienmorden, baut jedoch auf ein interessantes Team und durchaus starke Zwischentöne.
Kein noch so kleiner Ort, nicht die entlegendste Region Deutschlands kann sich verstecken, wenn die Krimi-Konzeptionierer des hiesigen Fernsehens nach neuen Schauplätzen suchen. Neulich wurde im ZDF sogar ein Wendlandkrimi (mit Ulrich Noethen) aus der Taufe gehoben, einer der bevölkerungs- und wahrscheinlich "mordärmsten" Landstriche Norddeutschlands. Und nun muss der Rennsteig dran glauben, eine bislang eher für Wanderrouten denn Ritualmorde bekannte Destination. Doch was soll der Provinz-Vorwurf? In der schönen Landeshauptstadt Erfurt, immerhin gut 200.000 Einwohner stark, gibt es tatsächlich die LKA-Einheit der Operativen Fallanalyse (OFA), von der im ersten Film einer geplanten MDR-Krimireihe "Tod am Rennsteig" erzählt wird.
Im Prinzip handelt es sich dabei um ein Team von "Profilern", das bei schwierigen Fällen in der Region übernimmt oder berät. In "Auge um Auge" betreten die Zuschauerinnen und Zuschauer die durchaus spezielle Welt der OFA durch die Augen der neu hinzukommenden Psychologin Annett Schuster (Kristin Suckow).
An deren erstem Arbeitstag – wie es das Krimiklischee eben so haben will – steht ein großer Kühlschrank auf dem Rennsteig mit Blick Richtung Wartburg, in dem ein als "Richter Gnadenlos" bekanntes Opfer tot und in Gebetspose gefesselt auf seinen Fund wartet. OFA-Leiterin Marion Dörner (Anne-Kathrin Gummich, die Mutter von "Alice"-Darstellerin Nina Gummich), Jan Kawig (Bernhard Conrad), Sabine Limmer (Berit Künnecke) und Gerichtsmedizinerin Vanessa Sun (Jing Xiang) untersuchen den bizarren Mord. Allerdings nicht, ohne zwischen den Zeilen schon mal ein paar Beziehungsfährten zu streuen.
"Wow, du bist so schön", wirft die Medizinerin der neuen Psychologin als erste Worte auf einem Waldpfad an den Kopf – und in diesem Ton geht es immer wieder mal zwischen dem "reinen" Krimiplot weiter. Im stark weiblich und mitunter divers bis fluide gebauten OFA-Team gibt es durchaus spritzig kluge Dialoge und moderne Selbstreflexionen zu hören, die zudem gut gespielt sind. Diese Momente kontrastieren die, was den Krimi betrifft, eher konventionellen Abläufe.
Zu den starken Frauen des Teams gesellt sich der etwas schratige Jan Kawig (Bernhard Conrad), gelernter Schreiner und alleine auf dem Land lebend, der zum Nachdenken mit seinen Mittagspausen-Stullen in die Kirche geht und ein heimatverbundener Thüringer durch und durch ist. Mit dem Schauspieler Bernhard Conrad, der selbst aus Weimar stammt, der derzeit schwer angesagten Berlinerin Kristin Suckow ("Ottilie von Faber-Castell – Eine mutige Frau") und Schauspiel-Professorin Anne-Kathrin Gummich, in deren "wurschtigen" Authentizität man lustigerweise auch ihre Tochter wiedererkennt, hat die Produktion einen tollen Cast zusammen, zudem komplett mit Ost-Wurzeln ausgestattet, der diesem Krimi bei einer angedachten Fortsetzung noch sehr guttun könnte.
Aufrund dieser Stärken sollte man sich nicht von den ersten 30 bis 45 Minuten "Tod am Rennsteig" abschrecken lassen, deren Jagd auf einen Serienmörder (nach dem Kühlschranktoten folgen weitere religiös kontextuierte Opfer!) ein bisschen zu groß gedacht ist. Eine weniger große Krimiwelt mit fett beschrifteten Profiler-Westen, CSI-Anklängen und David Fincher-Momenten hätte wahrscheinlich besser zum beschaulich-hübschen Thüringer Ambiente gepasst. Nachdem sich die Teamvorstellung und Atemlosigkeit des Falles in der Mitte des Films ein wenig legen, bietet der Krimi nämlich für den eher leicht gedachten Donnerstagssendeplatz überdurchschnittlich komplexe Figuren und angenehm kluge Dialoge. Verantwortlich dafür ist der erfahrene Drehbuchautor Jens Köster, der zuletzt an der Miniserie "ZERV – Zeit der Abrechnung" und mit Langzeitpartner und Regisseur Eoin Moore am Rostocker "Polizeiruf" zu Charly Hübners Zeiten arbeitete. Ein Mann, der weiß, wie es geht.
Unterm Strich lässt einen die erste Folge von "Tod am Rennsteig" (Regie: Maris Pfeiffer) mit einem etwas zwiespältigen Eindruck zurück. Man erkennt Ambition und Potenzial der geplanten Reihe – Jens Köster hat laut eigener Webseite schon das Drehbuch für einen zweiten Film geschrieben -, aber die Angst vorm Sprengen von Erwartungen, was den konventionell "atemlosen" Kriminalfall betrifft, ist hier doch noch ein wenig zu groß – was den neuen ARD-Donnerstagkrimi zu einem Zwitterwesen zwischen "überraschend inspiriert" und "arg konventionell" macht. Trotzdem würde man dieses Team gerne wiedersehen. Vor allem wegen des zwischenmenschlichen Potenzials, das hier in einzelnen Szenen wunderbar präsent ist.
Bestes Beispiel hierfür: Der Vater des erratischen Land-Singles um die 40, Ermittler Jan Kawig, wird vom famosen Uwe Preuss gespielt. Wenn der Sohn den Vater, einen verwitweten Religionslehrer, zu Hause besucht, entsteht in den kurzen Vater-Sohn-Szenen eine so starke Chemie, dass echte (Ost)biografien und Beziehungen fast schon greifbar präsent sind. Die Szenen zwischen Conrad und Preuss sind schon atemberaubend gut. Mehr davon und "Tod am Rennsteig" wird ein Krimi, über dessen Titel niemand mehr lachen wird.
Tod am Rennsteig – Auge um Auge – Do. 09.03. – ARD: 20.15 Uhr