20.08.2019 Digitals Leben

Weniger ist mehr

Von Iris Quirin

Unsere Digitalserie wird heute einmal analog: Das Smart­phone ist für viele Menschen ein nützlicher Begleiter. Doch der Griff zum Handy artet schnell in Stress aus. Hier hilft eine digita­le Entgiftungskur.

Vorm Schlafengehen fiel Carole Marelus letzter Blick auf das Smartphone. Auch als das Licht schon ausgeschaltet war und ein Ping den Eingang einer Nachricht signalisierte, schaute die Boutique-Besitzerin aus Baden-Baden noch mal nach. Am Morgen ging der erste Griff zum Handy, schließlich nutzte sie es ja auch als Wecker. Klar, dass sie sofort die SMS, WhatsApp und E-Mails checkte.

So langsam beschlich Carole Marelus das Gefühl, dass das Gerät, das ihr den Alltag erleichtern sollte, sie ständig auf Trab hielt. Der Punkt, an dem sie endgültig beschloss, etwas gegen den digitalen Dauerstress zu unternehmen, war bei einem Ausritt mit ihrem Pferd im Wald. "Irgendwann fing ich an, während des Reitens auf dem Handy zu tippen und Nachrichten zu beantworten!" Das geht gar nicht, fand sie, und suchte Rat bei der Digital-Therapeutin Ulrike Stöckle.

Lernen, ohne Internet zu leben

Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin Stöckle war selbst eine digitale Burn-out-Kandidatin. Heute hilft sie anderen beim digitalen Entgiften. 2014 veranstaltete sie das erste "The Digital Detox Camp" in Deutschland. Bei ihrer Methode müssen sich die Betroffenen mehrere Tage offline in der Natur behaupten und dort wieder lernen, ganz ohne Smartphone und Internet zurechtzukommen. Neben Privatpersonen wie Carole Marelus nutzen viele Unternehmen das Angebot, um ihren Mitarbeitern zu einem vernünftigen Umgang mit den digitalen Medien zu verhelfen, denn mit den smarten Geräten verschwimmt auch die Grenze zwischen Privatleben und Beruf zunehmend.

Dem Dauerstress entkommen

Eine solche Vermischung kann Anitra Eggler nicht mehr passieren. "Nur Sklaven sind ständig erreichbar", sagt die ehemalige Internet-Unternehmerin. Wie Carole Marelus und Ulrike Stöckle war auch sie in die digitale Falle getappt. "Ich hatte meine Mitarbeiter rund um die Uhr mit E-Mails bombardiert und auch erwartet, dass sie sofort darauf reagieren", erklärt sie. Das ging so lange gut, bis die ersten Kollegen Burnout-Symptome zeigten. Da dämmerte es ihr: "Wir Heavy User lassen uns von den Medienmöglichkeiten durch den Tag treiben und nicht mehr von unserem gesunden Menschenverstand!", sagt sie. Das wollte sie ändern.

Zuerst entrümpelte sie die eingesetzten Medien und führte Offline-Zeiten ein. Aus ihren Erkenntnissen entstand ihre Geschäftsidee der "Digital-Therapeutin". Heute schreibt sie Ratgeber mit provozierenden Titeln wie "E-Mail macht dumm, krank und arm" oder "Mail halten!". Ihre Vorträge sind gut gebucht, denn immer mehr Unternehmen erkennen die Gefahren der digitalen Überflutung und holen sich Rat von Experten.

Carole Marelus ist dank digitalem Detox übrigens dem digitalen Dauerstress entkommen. Manchmal ertappt sie sich sogar dabei, dass sie nicht weiß, wo sie ihr Smartphone hingelegt hat.

Was ist Digital Payment? Wie sicher ist es? Mehr dazu in der nächsten Folge unserer Digitalserie.

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