„Warum soll ich denn mit jeder Wunde gleich zum Arzt? Darum kann ich mich doch selbst kümmern.“ Das sagte kürzlich eine Patientin mit Typ-2-Diabetes zu mir, bei der sich eine Wunde am Fuß entzündet hatte. Getreu der Alltagsweisheit, dass „Luft an die Wunde muss“, hatte sie diese nicht weiter versorgt. Aber ohne Verband kommen neben der Luft auch Bakterien in die Wunde, die dann Infektionen verursachen können. Gerade für Menschen mit Diabetes kann das schwerwiegende Folgen haben. Denn Wunde ist nicht gleich Wunde. Bei gesunden Menschen heilen kleine Verletzungen oder Schürfwunden meist problemlos, wenn sie zuvor gereinigt wurden. Bei Menschen mit Diabetes mellitus jedoch können selbst augenscheinlich ungefährliche Wunden zum Gesundheitsrisiko werden – insbesondere bei Verletzungen an den Füßen. Der bei Diabetes-Erkrankten erhöhte Blutzuckerspiegel hat maßgeblichen Einfluss auf den Wundheilungsprozess, deshalb ist besondere Vorsicht geboten. Ist der Blutzucker dauerhaft erhöht, werden Zellen schlechter mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Das Immunsystem reagiert langsamer, Körperzellen neigen zu mehr Entzündungen. Die Wundheilung verzögert sich, das Risiko für Infektionen steigt.
Deshalb ist es bei Menschen mit Diabetes so wichtig, bei Wunden frühzeitig einen Arzt aufzusuchen. Einige unterschätzen die Gefahr trotz aller Warnungen und verarzten sich zu lange selbst. Andere bemerken Verletzungen, etwa an den Füßen, erst sehr spät. Denn ein dauerhaft erhöhter Blutzucker kann zudem das Nervensystem beeinträchtigen und das Schmerzempfinden als natürliches Warnsignal stören. Unbemerkte Wunden können sich entzünden, tief ins Weichgewebe eindringen und im schlimmsten Fall eine Sepsis auslösen, die auf der Intensivstation behandelt werden muss und sogar tödlich enden kann.
Mit frühzeitiger ärztlicher Hilfe stehen die Chancen gut, solche Komplikationen zu vermeiden. Im Krankenhaus oder in der Praxis werden Wunden mit sterilen und gewebeschonenden Lösungen gereinigt. Moderne Mittel verzichten dabei auf aggressive, alkoholhaltige Desinfektion, die zwar Bakterien abtötet, aber auch das umliegende Gewebe schädigen kann. Anschließend wird die Wunde verbunden: Moderne Verbände sind luftdurchlässig und schützen vor Schmutz und Bakterien. Generell gilt: Dass Wunden an der Luft besser heilen, ist ein Mythos. Gesunde Menschen können oberflächliche, saubere Wunden meist gut selbst versorgen und sollten sie mit einem Pflaster oder Verband vor Schmutz und Keimen schützen. Der Wundverband hält die Wunde feucht und fördert die Heilung. Treten aber Rötungen von mehr als fünf Zentimetern um die Wunden auf, wäre das auch hier ein Warnsignal für beginnende Infektionen. Menschen mit Diabetes sollten bei der Wundversorgung daher frühzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. So hätte sich meine Patientin die schwere Entzündung und die Behandlung im Krankenhaus ersparen können.