Lars Becker ist Filmregisseur und Drehbuchautor. Besonders für das Krimi-Genre ist der gebürtige Hannoveraner ein Experte. Das beweist Lars Becker erneut mit dem Film "Der Millionen Raub", zusehen am 8. April im ZDF.
prisma: Als Drehbuchautor sind Kriminalgeschichten gerade in den letzten Jahren Ihre Spezialität gewesen. Was fasziniert Sie so sehr an diesem Genre?
Es ist zwar nicht das einzige Genre, das ich drehen würde, aber für meine Zwecke sind Kriminalgeschichten oft optimal. Denn das Genre ist sehr vielfältig. Dank der vielen Subgenres kann ich viele verschiedene Arten von Geschichten erzählen, beispielsweise soziale Geschichten, Dramen oder Liebesfilme. Wie man in meiner Filmreihe „Nachtschicht“ sieht, kann ich auch komödiantische Aspekte in Krimiformate einbringen, was besonders in Deutschland unüblich ist, weil Kriminalgeschichten hier meistens konventionell und klassisch erzählt werden: Es gibt einen Fall, die Kommissare rücken an und ermitteln. Bei mir sieht das ganz anders aus. Mich interessieren zwar die Polizisten, aber eben als Figuren, und nicht unbedingt als Heilsbringer.
prisma: Wie kommen Sie auf die Ideen für Ihre Drehbücher?
Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal habe ich eine Initialzündung, wenn ich Menschen treffe. Manchmal führen Kombinationen von Nachrichten zu einer Geschichte, die mich interessiert. In anderen Fällen sind es authentische Erlebnisse, die mir während meiner Recherchen passieren. Oft greife ich auch auf Dinge zurück, die ich selbst erlebt habe. Ich hatte in St. Pauli acht Jahre lang eine Bar und profitiere nach wie vor von damaligen Erlebnissen und den Menschen, die ich während dieser Zeit kennengelernt habe. Da kommt ein großer Kosmos zusammen, und dieser Kosmos setzt das Schreiben in Bewegung.
prisma: Ihr neuer ZDF-Film „Der Millionen Raub“ erzählt die Geschichte von Omar, der mit einem Kollegen acht Millionen Euro raubt und schließlich – ohne das Geld – von der Polizei geschnappt wird. Die Ermittler, die Familien der Täter und ein Kredithai wollen nun alle wissen: Was ist aus der Beute geworden? Das klingt nach einer klassischen Kriminalgeschichte. Was macht „Der Millionen Raub“ Ihrer Meinung nach besonders?
Mir ist bei diesem Film eine Sache besonders wichtig, und ich hoffe, dass das auch so wahrgenommen wird. Denn die Perspektive der Frauen hat einen wesentlichen Anteil an der Geschichte. Die Männer spielen natürlich auch eine Rolle und entwickeln die Geschichte. Aber im Vordergrund stehen eigentlich vier Frauen, und ganz besonders die beiden Mütter der Täter. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu klassischen Kriminalgeschichten, in denen der Raub und die Fahndung der Polizei im Mittelpunkt stehen. „Der Millionen Raub“ zeigt vor allem, wie die Frauen im Kontext des Raubes handeln und welche Interessen sie haben. Auch die Besetzung des Films ist besonders. In den Hauptrollen sind zwei Frauen über 60, die einen Migrationshintergrund haben, ohne dass der im Mittelpunkt steht. Das sieht man in deutschen Filmen noch viel zu selten. Denn wenn hier ein Migrationshintergrund vorkommt, ist dieser viel zu oft gleichzeitig die Legitimation dafür, weshalb die Darsteller im Film sein dürfen.
prisma: Die Familienmitgliederinnen der Täter müssen die Konsequenzen der fragwürdigen Entscheidungen der Männer tragen und damit umgehen.
Genau. In Krimis sind Frauen oft nicht initiativ, sondern werden auf stereotypische Rollenbilder reduziert. Sie sind einfach Anhängsel der agierenden Männer. Auch viele deutsche Serien haben ein simpel gestricktes Frauenbild. Man muss natürlich nicht immer und überall emanzipatorische Frauenbilder haben, aber wenn Frauen fast immer nur schmückendes Beiwerk sind, dann stimmt etwas nicht. Genau das macht „Der Millionen Raub“ anders.
prisma: Omar wird nach zwei Monaten von der Polizei in Brasilien verhaftet – in der Zwischenzeit hatte er sich nicht bei seiner Familie gemeldet. Macht ihn das zu einem schlechten Menschen?
Omar ist einfach ein Knallkopf, der nicht immer weit genug denkt. Es macht ihn nicht per se zum schlechten Menschen, sondern zu einer ambivalenten Figur. Charaktere sind interessanter, wenn sie eine Grauzone darstellen und nicht einfach nach dem ‚good guy, bad guy‘-Prinzip funktionieren. Vielleicht bereut Omar nach der Verhaftung, dass er keinen Kontakt zu seiner Familie aufgenommen hat. Vielleicht wäre er auch ganz in Brasilien abgetaucht. Das glaube ich aber nicht, weil er ja immerhin Kontakt zu seiner Affäre hatte. Aber der Umstand, dass diese Frage nicht so einfach zu beantworten ist, macht Omar zu einer spannenderen Figur.
prisma: Zu Beginn des Films gibt es auch eine Szene, in der der Mittäter mit dem Geld verschwinden will, ohne die Schulden beim Kredithai zu begleichen. Omar weigert sich aber, weil er seine Familie schützen will.
Genau, auch da sieht man wieder die Ambivalenz.
prisma: Sowohl Omar als auch einer der BKA-Ermittler, die ihm auf der Spur sind, sind Muslime. Hat das eine tiefere Bedeutung?
Ich versuche generell, durch ein höheres Maß an Austauschbarkeit der Charaktere bezüglich der Konfessionen und Herkunft den Normalzustand unserer Gesellschaft abzubilden. Das ist der Grund, warum Murathan Muslu hier den muslimischen Ermittler spielt.
prisma: Genau dieser Ermittler ist mir besonders gut in Erinnerung geblieben. Er vermittelt den Eindruck, dass er einerseits gewissenhaft seinen Job macht, es aber gleichzeitig gut mit Omar meint und verhindern will, dass dieser immer weiter abrutscht.
Das freut mich. Murathan Muslu ist wirklich ein großartiger Schauspieler. Abgesehen davon repräsentiert er in diesem Film das Verständnis eines Polizisten, der nicht über die Stränge schlägt, wie wir das aus Filmen eigentlich gewohnt sind. Er repräsentiert den Staat in einem ruhigen, positiven Sinn.
prisma: Welche Eigenschaften sind Ihnen bei Schauspielerinnen und Schauspielern im Allgemeinen wichtig?
Mir ist immer wichtig, dass die Darsteller, die ich für einen Film caste, zueinanderpassen. Ich achte auch darauf, dass die Leute nicht einfach nur etwas abliefern wollen, sondern sich wirklich für den Stoff interessieren und daran arbeiten möchten. Es ist auch immer wichtig, dass sich alle Beteiligten mit dem Drehbuch auseinandersetzen und ihre Rollen verstehen. Deshalb ist es ein wichtiges Kriterium, dass die Darsteller dafür ein gutes Gefühl haben.
prisma: Deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern wird oft vorgeworfen, nicht so gut wie die internationale Konkurrenz zu sein. Ist da etwas dran?
Das sehe ich überhaupt nicht so! Ich finde, dass Deutschland extrem viele gute Schauspieler hat. Meiner Meinung nach wird da einiges verwechselt. Da werden die Schauspieler gleichgesetzt mit dem sogenannten deutschen Film, der zum Beispiel international wesentlich weniger erfolgreich ist als französische Filme. Aber in Deutschland gibt es wahnsinnig viele tolle Schauspieler und auch Filme. Deutschland ist in der Hinsicht viel besser als sein Image.
prisma: Da brechen Sie jetzt eine Lanze für Ihre Kolleginnen und Kollegen vor der Kamera.
Auf jeden Fall. Ich persönlich denke, dass das Problem an anderer Stelle liegt. Die deutschen Filmemacher hat über einen langen Zeitraum das sogenannte Erzählkino als eine wichtige Quelle einer Filmindustrie verkannt. Stattdessen haben wir viele kleine Filme produziert, die gefördert wurden. Ich möchte diesen Werken überhaupt nicht das Existenzrecht absprechen, sondern darauf hinweisen, dass es sich häufig um sehr selbstreferenzielle Filme handelt, die kein großes Publikum erreichen und das auch gar nicht können. Denn hier wird der Fokus oft auf spezielle Themen gelegt, sodass die Story des Films nicht im Vordergrund steht. Manchmal haben wir dann auch extrem kommerzielle Filme, die wirklich richtig Power und viel Geld haben. Aber der Mittelweg dazwischen, der in Frankreich, Japan, Spanien und so weiter ein großes Gewicht hat, der fehlt uns. Das ist leider nicht richtig unterstützt worden und das fällt der deutschen Filmindustrie jetzt auf die Füße.
prisma: Welche Ihrer Kriminalfilme werden Fans von „Der Millionen Raub“ gut gefallen?
Da gibt es einige. Ich denke da zum Beispiel an den Film „Unter Feinden“. Auch die Filmreihe „Nachtschicht“ dürfte vielen Zuschauern gefallen.
Am Montag, 8. April 2024, um 20.15 Uhr zeigt das ZDF den neuen Lars Becker-Krimi.