06.06.2023 „Komm, lieb dich“

Interview mit Gisa Flake: Darum ist Selbstliebe so wichtig

Von Sarah Hegemann
Gisa Flake hat mit uns über Selbstliebe gesprochen.
Gisa Flake hat mit uns über Selbstliebe gesprochen. Fotoquelle: Ralf Keith

Schauspielerin Gisa Flake ist im Musical „Juli tanzt“ als Mutter einer pubertierenden, mit ihrem Aussehen hadernden Tochter zu sehen. prisma hat mit ihr über Selbstliebe und -akzeptanz gesprochen.

Wieso wollten Sie gerne bei dem Projekt mitmachen?

Das hatte sehr viele Gründe. Als ich das erste Mal davon gehört habe, war ich zunächst skeptisch: „Oh, Deutsche machen ein Musical…“ Ich bin aber ein großer Musical-Fan und war auch schon öfter am Broadway. Ich finde es total schade, dass es diese Kunstform so gar nicht in Deutschland gibt, weil alle immer glauben, Musical sei nur „Tanz der Vampire“ oder „König der Löwen“. Aber dass wirklich komplexe Sachverhalte verhandelt werden – das gibt es hier kaum. Am Broadway habe ich ein Musical gesehen, da ging es genau um Jugendliche, die Selbstmordgedanken haben und sich ausgeschlossen fühlen. Und dann bekam ich diese Anfrage und habe eine Gänsehaut bekommen – ich bekomme sie auch jetzt wieder. Denn das ist genau das, worum es bei „Juli tanzt“ geht: um Jugendliche, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen. So was hätte ich auch gerne gesehen, als ich in dem Alter war.

Woran liegt es, dass man die Sorge hat, deutsche Musicals könnten peinlich werden?

Ich glaube, man kann es clever machen, aber uns fehlt in Deutschland die Kultur dieses gesamten Metiers. Wir sind daran nicht gewöhnt. In den 1920er- und 1930er-Jahren war das anders, es gibt wahnsinnig tolle Revuen aus der Zeit. Als dann die Nazis an die Macht kamen, wurden die großen Köpfe dieses Metiers entweder rausgeschmissen oder umgebracht, und es ist in die USA gewandert und hat sich durch die ganze musikalische Entwicklung dort in eine andere Richtung bewegt. Deswegen sind wir es einfach nicht gewöhnt. Wir scheuen uns manchmal davor, komplexe Themen in ein Musical zu packen. Aber „Juli tanzt“ macht das auf eine ganz moderne und rührende Art.

Inwiefern kann man so einem komplexen Thema wie Selbstakzeptanz in einem Musical gerecht werden?

Das geht eigentlich sogar noch besser als in einem klassischen Schauspiel. Du hast die Musik als nächste Ebene, die Emotionen transportiert und dir vom Innenleben der Charaktere erzählt, ohne dass man als Charakter platt spielen und über seine Gefühle sprechen muss. Durch ein Lied kannst du auch Beziehungen zwischen einzelnen Figuren noch einmal besser klarmachen. Eine Ballade schafft so etwas viel schneller, als es ein Text könnte.

Vielleicht ist das auch greifbarer für die Zielgruppe.

Total. Die Berührungsangst ist da noch einmal viel geringer, zumal Jugendliche auch die schnellen Schnitte gewöhnt sind. Mich hat es aber überrascht, dass es mich doch auch packt. Ich dachte erst, dass liefe in so einem „TikTok“-Tempo ab. Das ist aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, die Produktion spricht die Leute von jung bis alt an und nimmt sie mit.

Wie sieht es mit der Thematik aus? War das auch ein Argument für die Rolle?

Ja, komplett. Als Plus Size-Schauspielerin ist man bei 99 Prozent der Rollen darauf zurückgeworfen, wie man aussieht. Man beschäftigt sich per se nicht damit, wer man ist, sondern wie man aussieht. In den Anfangsjahren äußerte sich das bei mir dadurch, dass ich nahezu immer vor der Kamera essen musste. Warum auch immer… Wenn ich eine Treppe hochgehen sollte, musste ich schwer schnaufen. Wo ich immer gedacht habe: Warum? Ich bin Mitte 20… Ich spiele auch heute noch oft zehn bis 20 Jahre ältere Frauen. Das heißt, man muss Klischees erfüllen. Natürlich kommt es dann auch bei mir zu einer Auseinandersetzung damit. Wenn ich nach zehn solchen Rollen nach Hause komme, fühle ich mich nicht total sexy (lacht). Ich muss mich dann erst einmal wieder geraderücken. Zum Glück habe ich einen tollen Freund und weiß auch selbst, was in mir steckt. Und es kommen auch wieder andere Rollen.

Das Thema „Bodypositivity“ steht im Mittelpunkt des Films. Auch in den Medien und der Werbung ist es stark präsent. Ist das mehr Schein als Sein?

Ganz oft ist es ein Feigenblatt, um zu sagen „Wir sind modern“. Die Struktur dahinter ist es aber nicht und verändert sich gar nicht. Ich glaube aber, dass es wertvoll ist, dass es das gibt. Man muss sich nur die Kommentarspalten zu solchen Themen ansehen, wie entrüstet meist alte, weiße Männer sind – nach dem Motto „Das will doch keiner sehen“. Das ist Schwachsinn. Menschen sind Gewohnheitstiere. Je mehr unterschiedliche Körper man sieht, desto mehr passiert ein Wandel. Ich habe immer das Gefühl, dass Fatshaming so das Letzte ist, was noch politisch korrekt ist.

Können wir uns denn überhaupt von idealisierten Körperbildern freimachen?

Nein (lacht). Wir können aber selbst an unserer Einstellung arbeiten, gnädiger mit uns selbst zu sein. Das ist dieses alte Beispiel: Wenn man glatte Haare hat, möchte man Locken haben, und andersherum. Man ist nie wirklich zufrieden mit sich selbst. Aber man kann an der Selbstakzeptanz arbeiten, und natürlich spielt das Umfeld dabei auch eine Rolle. Wenn man morgens ein Kompliment bekommt, trägt man das den ganzen Tag mit sich herum, das macht was mit dir. Wir sollten daran arbeiten, als Gesellschaft wieder netter zueinander und aufmerksamer zu sein. Das ist auch die Botschaft von „Juli tanzt“: Wir sind alle anders und müssen das auch gar nicht negieren. Aber wir haben alle unsere Qualitäten, und die können wir einsetzen.

Durch das Projekt haben Sie noch einmal einen Einblick in die Welt der Jugendlichen bekommen. Würden Sie sagen, dass auf der Jugend durch soziale Medien heutzutage ein größerer Druck lastet als früher noch?

Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, was für ein Druck auf ihnen lastet. Ich weiß nur, dass ich total froh war, dass das in meiner Schulzeit gerade erst mit den Handys losging. Als labile 13-Jährige hätte ich wahrscheinlich auch durch irgendwelche TikTok-Videos gescrollt und mich verglichen. Aber was ich immer wieder erlebe, wenn ich mit Kindern am Set und auch in meinem Umfeld spreche – die haben eine Coolness entwickelt, weil sie mit dem ganzen Medien-Zeug aufgewachsen sind. Sie können viel besser filtern als ich zum Beispiel. Ein böser Kommentar online beschäftigt mich total, und sie sagen „Ach komm, das kriegt man doch dreimal täglich“.

Im Film spielen Sie die Mutter von Mara, die sich gerne einer Schönheits-OP unterziehen würde. Wie würden Sie dazu stehen, wenn es Ihre eigene Tochter wäre, die derartige Selbstzweifel hat?

Im allerbesten Fall genauso wie im Film (lacht). Dass ich nicht krampfhaft werde, sondern den Kontakt aufrechterhalte. Ich würde ihr nicht sagen, dass sie bescheuert ist. Obwohl ich es ihr auf eine sehr liebevolle Art doch sagen würde (lacht). Es ist wichtig, den Wunsch und den Schmerz des Kindes ernst zu nehmen und ihm gleichzeitig zu sagen, dass 13/14 für die meisten ein mieses Alter ist. Da muss man durch. Wenn der Wunsch nach der Schönheitsoperation jahrelang da ist, kann man ihn immer noch umsetzen.

Das Musical ist Teil des Projekts „Komm, lieb dich!" zum Thema Selbstakzeptanz. Eine einfache Aufforderung, die doch schwer umzusetzen ist.

Je klarer dieses Schlagwort ist, desto klarer ist auch der Arbeitsauftrag. Das kann bedeuten, sich manchmal selbst Blumen zu kaufen oder morgens Früh eine Stunde Yoga zu machen. Das betrifft alle Altersklassen. Ein gesunder Weg dahin ist, sich für sich selbst Zeit zu nehmen und einzufordern, was man braucht. Alle sind unterschiedlich und brauchen nicht dasselbe, auch wenn soziale Medien das vielleicht vermitteln. Schau auf deine Bedürfnisse und schaffe dir ein entsprechendes Umfeld.

Sie vermitteln im Gespräch den Eindruck, Sie haben sich sehr gefunden. Gibt es auch mal Tage, wo Sie mich sich selbst hadern?

Das ist total tagesformabhängig. In meinem Job hat das auch damit zu tun, wie viel ich gerade machen muss. Das ist ja meistens von 0 auf 1000. Ich habe aber das unfassbare Glück, dass ich einen tollen Mann an meiner Seite habe, der sehr genau wahrnimmt, was ich brauche. Man braucht ein gutes Umfeld und natürlich auch die Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Ich mache das allein schon durch meinen Job, aber andere können das gar nicht. Ich würde momentan behaupten, ich bin recht zufrieden mit mir und weiß, wo ich hinwill. Das kann sich aber jederzeit ändern.

Haben Sie mit der Zeit auch mehr gelernt, nein zu sagen? Zum Beispiel bei sehr klischeehaften Rollen…

Total, ja. Aber man muss auch als Schauspielerin irgendwie seine Miete zahlen und sagt dadurch auch mal zu Sachen ja, die man nicht so super findet. Ich versuche dann aber, etwas einzubauen, damit es vielleicht nicht ganz so platt ist, wie es gefordert wird. Mittlerweile bin ich in der luxuriösen Position, dass ich auch mal Rollen ablehnen kann. Das ist ein wirklich tolles Selbstermächtigungsgefühl. Denn leider haben sich die Rollen in den vergangenen zehn Jahren nicht so stark geändert, und es kommen immer noch dieselben Anfragen …

„Juli tanzt“ – Ab Mittwoch, 7. Juni, ZDF Mediathek – Sonntag, 11. Juni, 20 Uhr im KiKA

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