13.03.2023 Bairische Musikerin im Interview

Karin Rabhansl: "Ich denke und fühle bairisch"

Von Felix Förster
Karin Rabhansl bezeichnet ihre Musik als „Mundart-Riot“.
Karin Rabhansl bezeichnet ihre Musik als „Mundart-Riot“. Fotoquelle: Arne Marenda

Die Hälfte aller lebenden Sprachen weltweit ist vom Aussterben bedroht. Um dem entgegenzuwirken, hat die Unesco 2000 den „Internationalen Tag der Muttersprache“ ausgerufen. Die niederbayerische, in Nürnberg lebende Musikerin Karin Rabhansl singt seit Jahren ganz selbstverständlich in ihrer Heimatzunge und tritt mit dieser Musik auch bundesweit auf. prisma hat mit ihr anlässlich ihres neuen Albums „Rodeo“ gesprochen.

Das neue Album heißt „Rodeo“ und zeigt auf dem Cover einen riesigen Hund, der wie eine mystische Figur aus der Antike wahllos Menschen verschlingt. Was verbirgt sich hinter Titel und Motiv?

Das Covermotiv ist ein Ausschnitt des Linolschnittes „Spring oder lass es sein“ von dem Nürnberger Bildhauer Christian Rösner. Ich bin seit Jahren großer Fan von Christians Arbeiten. Er hantiert auch gerne mal mit der Motorsäge und sägt riesige Skulpturen aus Baumstämmen, meist tierische Motive. Letzten Sommer war ich auf einer Ausstellung von ihm und plötzlich war mir sonnenklar: Christian soll mein Cover gestalten. Glücklicherweise hat er zugesagt. Sein Bild spiegelt für mich perfekt die ganzen verschrobenen und verlorenen Gestalten, die sich auf „Rodeo“ versammeln. Der altersmüde Cowboy, der Schaufema, der Betrunkene umhaut. Die Friseurin, die in einer toxischen Beziehung gefangen ist, die übergriffige Anett, die eigentlich furchtbar einsam ist, die Bergsteiger-Kumpels, die zusammen gen Gipfel ziehen, aber nur einer von ihnen kehrt zurück, und so weiter.

Sie verbinden musikalisch viele verschiedene Einflüsse, die von Radiohead über Sigur Rós bis zu Led Zeppelin reichen. Auf Promo-Fotos haben Sie ein PJ Harvey-Shirt an. Wo verorten Sie sich selbst musikalisch?

John Steam Jr., ein befreundeter Musiker, hat meine Musik mal „Mundart Riot“ genannt. Das finde ich sehr passend. Da steckt viel Rock drin, bratende Gitarren, ein bisschen verspuhlte Harmonien und verschrobene Texte, aber immer auch eine Prise Pop mit glockenklaren Chören (ich liebe Chöre!). Das ist immer mein absolutes Highlight im Studio, wenn ich gegen Ende der Produktion alles mit 1000 Chören vollsingen darf.

„Rodeo“ ist ein härterer Rocker auf Bairisch, „Amor“ ein witziger Song über die Tücken der Liebe auf Hochdeutsch. Wie entscheiden Sie, welche Sprache Sie für welchen Song verwenden?

Ob‘s Bairisch oder Hochdeutsch wird, entscheide ich intuitiv. Auf Bairisch lässt sich’s besser schimpfen, ähnlich dem Englischen ist es eine sehr weiche Sprache. Wohingegen Hochdeutsch präziser, geradliniger und härter ist. Beides hat für mich einen Reiz und ich mache diese Mischform auch schon konsequent seit meinem ersten Album von 2011.

Auffällig an Ihren Texten ist die angenehme Abkehr von reiner Meinungsmache. Sie schildern eher aus verschiedenen Milieus und gehen damit subtiler vor. Ist diese Beobachtung richtig?

Oh, vielen Dank! Freut mich, dass das auffällt. Mich nervt die derzeitige reine Meinungsmache selbst extrem. Deshalb versuche ich, Geschichten zu erzählen, ohne groß Stellung zu beziehen beziehungsweise zu werten. Allgemein finde ich das Schwarz-Weiß-Denken furchtbar anstrengend. Ich vermisse immer mehr die Grautöne und hoffe, wir finden irgendwann wieder in die Mitte zurück.

Bairisch oder fränkisch? Welchen Dialekt hören Sie lieber?

Beide. Oft werde ich gefragt, meist von Bayern: „Wie hältst du diesen schrecklichen fränkischen Dialekt aus?“. Ich empfinde den fränkischen Dialekt allerdings gar nicht als schrecklich. Ich höre wahnsinnig gerne verschiedenen Dialekte, die überall rum schwirren. Neulich habe ich ein Konzert mit meinem Duo Fischer&Rabe in Blaubeuren (Baden-Württemberg) gespielt, da hatten wir eine rege Diskussion mit dem Publikum, wie das gemeine Fieberbläschen (Niederbayrisch: Fiabablaserl, Fränkisch: Bebbm) bei ihnen heißt. Das war schon sehr witzig. Final haben wir dann festgestellt, dass es das in Blaubeuren gar nicht gibt, weil die alle immer heimlich aus ihrem weltberühmten Blautopf trinken und somit nie krank werden. Ich finde Vielfalt total schön und wichtig. Wenn alle gleich reden würden, wär’s doch furchtbar langweilig.

Ich frage, weil die Franken und die Bayern ja sehr viel Wert auf die regionalen Unterschiede legen und Sie als Niederbayerin aus dem Bayerischen Wald in Nürnberg leben …

Ach, ich fand solche Diskussionen schon immer ziemlich dämlich. Wir sind alle Menschen. Punkt. Jeder hat seine Eigenheiten, aber auch besondere Merkmale, die einen liebenswert machen. Ich fühle mich nach zwölf Jahren Franken in Nürnberg genauso heimisch wie in meiner „niederbayerischen Heimat Niederbayern“ (Zitat Fredl Fesl). Es kommt doch immer auf die Menschen an, mit den man sich umgibt. Deppen gibt’s überall, aber auch ganz arg großartige Menschen. Im meinem Leben überwiegen glücklicherweise letztere. Dafür bin ich unglaublich dankbar. Frei nach Lemmy von Motörhead: Man muss sich von den Arschlöchern fernhalten. Eine lebenslange Aufgabe.

Was lieben Sie an Ihrem Dialekt?

Wir Niederbayern haben so schöne Worte für allerhand Sachen. Ein Beispiel: gallig. Das ist wahnsinnig schwer ins Hochdeutsche zu übersetzten, aber ich probier’s mal mit einem Beispiel: Man ist auf einer Hochzeit eingeladen. Die Hochzeitstorte sieht unfassbar lecker aus, das Wasser läuft einem im Mund zusammen. Sahne in Hülle und Fülle, Marzipanüberzug, Zucker, Fett – alles. Dann holt man sich ein Stück, nimmt den ersten Bissen und eigentlich ist man dann schon bedient, weil’s einem zu viel ist und einem bereits leicht schlecht wird. Die Torte ist einfach zu gallig.

In meiner rheinischen Heimat gibt es einen Duktus, dass man „richtig“ oder „falsch“ Dialekt sprechen kann. Wie ist das in Bayern, haben Sie eine Art Leitfaden oder kann jeder „redn“ wie er möchte?

Zum Teil sprechen im Nachbardorf die Leute schon wieder ganz anders als die Leute im eigenen Dorf. Ich habe das Gefühl, in Bayern geht’s da vogelwild zu. Da stört sich aber auch niemand dran. Ich finde es nur manchmal ziemlich affig, wenn Dialektrollen im Fernsehen mit Leuten besetzten werden, die versucht haben, sich den Dialekt drauf zu schaffen. Ich erinnere mich lebhaft an den ersten Nürnberger Tatort, das war echt ein Graus. Sogar für mich als Niederbayerin. Inzwischen haben sie’s aber glücklicherweise geändert. Ich versuche ja auch nicht, fränkisch zu sprechen, das kann ich einfach nicht. Ich finde es auch immer wahnsinnig albern, wenn jemand versucht, meinen Dialekt nachzuahmen. Das ist meistens einfach nur peinlich, bis auf eine Handvoll Ausnahmen, die wirklich sprachlich begabt sind.

In vielen Regionen in Deutschland wird den Kindern vermittelt, „Hochdeutsch“ zu sprechen, wodurch die regionalen Dialekte leider aussterben. Was kann dagegen gemacht werden?

Lautstark sagen: „Hört auf mit dem Schmarrn!“ Zu meiner Grundschulzeit in Niederbayern hatten wir auch eine überambitionierte Religionslehrerin, die wollte, dass wir alle Hochdeutsch sprechen. Im tiefsten Niederbayern – was für ein Blödsinn! Meine Eltern haben bloß zu mir gesagt: „Karin, du redest wie du redest und das ist auch gut so.“ Thema erledigt. Wenn ich den Mund aufmache, hört man immer sofort, wo ich herkomme, trotzdem kann ich so gepflegtes Bairisch sprechen, dass mich auch in Kiel und Bremerhaven jeder versteht. Ist das denn in Bayern wirklich komplett anders als in anderen Regionen in Deutschland?

Wird dort die Mundart eher gepflegt?

Ich finde schon. Wir Bayern sind ein stolzes, eigensinniges Volk, das sehr viel Wert auf Brauchtum und somit auch auf Mundart legt. Als Jugendliche war das für mich schon ein enges Korsett an Tradition und Konservativität, aber je älter ich werde, umso mehr verstehe ich manche Denkweisen und muss nicht mehr zwingend dagegen rebellieren. Wobei mich dieses „Mia san mia“ der Münchner schon immer noch schwer ankäst.

Warum können Sie sich als Musikerin im Dialekt teilweise besser ausdrücken?

Ich bin so aufgewachsen, das ist meine Muttersprache. Ich denke und fühle bairisch, also ist es für mich das Naheliegendste und Natürlichste.

Sie singen in Ihrer Mundart und treten damit – neben häufigen Auftritten in Bayern – auch bundesweit auf. Wie laufen diese Konzerte ab?

Sehr gut. Ich habe das Gefühl, die Leute finden das ganz spannend, wenn sie ganz genau hinhören müssen, was die Frau mit den lustigen Socken da singt. Ich erzähle vor den bairischen Liedern auch immer ein bisschen, um was es geht. Dann weiß das Publikum schon ungefähr, wo die Reise hingeht. Es funktioniert am besten, wenn man sich einfach auf die Sprache der Musik einlässt. Und Hand aufs Herz: Hören Sie wirklich immer ganz genau auf den Text, wenn jemand Englisch singt?

Guter Hinweis, Danke! Deutschrock ist seit Jahrzehnten schwer angesagt, doch so richtig bekannt geworden als „Mundart-Band“ sind eigentlich nur die Kölschrocker von BAP. Stimmt diese Beobachtung? Und wenn ja, warum ist das so?

Das sehe ich nicht so. Ich wurde mit der Spider Murphy Gang sozialisiert. Das war schon ziemlicher Rock‘n’Roll für mich als Kind. Da ich nahe der österreichischen Grenze aufgewachsen bin, habe ich auch viel Falco, Wolfgang Ambros und Hubert von Goisern gehört. Ich habe schon das Gefühl, dass die zu ihrer Hoch-Zeit alle auch außerhalb von Bayern und Österreich bekannt waren.

Das sind gute Beispiele, aber doch eher Ausnahmen. Woran liegt es, dass Mundart-Musik eher regional funktioniert?

Natürlich muss man sich vollkommen im Klaren sein: Sobald man Mundart-Musik macht, ist man automatisch in einer ziemlichen Nische. Die auch leider sehr klischeebehaftet ist. Also bayerische Mundart – grübel, grübel: Ah ok, Oktoberfest, Bier, Dirndl, Gaudi, lustig, Schlager, volksdümmlich. Und schon hat man seinen Ruf weg. Ich kämpfe seit Jahren dagegen an, dass ich nicht in dies Ecke gesteckt werde. Mundart-Musik kann tiefgründig, ernst, leise und schön sein. Die Österreicher haben das besser gecheckt, dank Leuten wie Ludwig Hirsch oder Ernst Molden. Da ist das Morbide, Melancholische viel salonfähiger als in Bayern. Auch die jüngere Generation der österreichischen Musiker wie Voodoo Jürgens oder mein Labe-Kollege Jo Strauß haben da gesellschaftlich eine viel akzeptiertere Stellung und Coolness, die in Bayern meiner Meinung nach noch fehlt.

Können Sie denn erklären, wie Mundart-Musik funktioniert?

GUTE Mundart-Musik funktioniert, weil sie einfach sau-authentisch ist. Ja, das ist ein schlimmes Wort, aber es ist so. Wenn ich in meinem Dialekt singe, kommt das ganz tief aus mir raus und da ist nichts geschauspielert oder aufgesetzt. Es ist wahrscheinlich meine ehrlichste und am tiefsten empfunden Ausdrucksform. Wenn ich auf Hochdeutsch singe, gehe ich eher immer in eine nüchternere, etwas kühlere und distanziertere Betrachterinnen-Rolle. Der Dirigent Howard Shore hat mir mal erzählt, dass er seine Musik in Farben sieht, das fand ich völlig einleuchtend. Mundart hat für mich erdige, warme Rottöne, Hochdeutsch kühle Blautöne. Beides möchte ich nicht missen, weil das Leben einfach bunt und definitv nie eindimensional ist.

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