09.01.2023 Musiker im Interview

Leslie Mandoki: Zu jung, um Vergangenes zu reflektieren

Von Marcus Italiani
Leslie Mandoki
Leslie Mandoki Fotoquelle: IMAGO/Frederic Kern

Leslie Mandoki ist am 7. Januar 70 Jahre alt geworden. Die Älteren von uns kennen ihn als Mitglied von Dschinghis Khan, allen anderen dürfte er nicht nur durch seine Produzententätigkeit für Sido, Jennifer Rush oder Engelbert ein Begriff sein, sondern auch als Initiator der Mandoki Soulmates, für deren Besetzung den Begriff All-Star-Band eine echte Untertreibung ist.

Herr Mandoki, was bewegt Sie am meisten, wenn Sie zurück auf Ihre Karriere schauen?

Im Grunde habe ich gar keine Zeit, um zurückzuschauen, weil ich eher jemand bin, der immer nach vorne blickt. Zudem habe ich mit der Vorbereitung des neuen Albums und der Tour im Herbst dermaßen viel um die Ohren, dass ich eigentlich gar keine Zeit habe, um Reflektion von Vergangenem zu betreiben. Dafür bin ich auch viel zu jung (lacht).

Was war ursprünglich die Idee hinter den Mandoki Soulmates?

Das ist eine uralte Idee, die mir kam, als ich mit 16 oder 17 Jahren mit meiner Band JAM in unserem Club an der Donau in Budapest spielte, in dem die intellektuelle studentische Opposition zu Hause war. Wir machten so eine Art britischer Prog Rock, aber mit dem Anspruch, das Ganze mit amerikanischem Fusion-Jazz und Funk zu verschmelzen. Die Zeit schritt voran, die Sehnsucht nach Freiheit wurde stärker, die politischen Drangsalierungen durch die Kommunisten in Ungarn immer schlimmer. Einen Reisepass hätte ich, als oppositioneller Künstler nie bekommen können, und irgendwann war klar, dass für uns die Flucht ansteht. Wir sind also 1975 durch den Karawankentunnel geflohen und schließlich über Österreich nach Deutschland gekommen. Bei unserer Ankunft hat mich ein netter Beamter gefragt, was ich hier in Deutschland machen möchte. Ich habe ihm geschildert, dass ich die oben erwähnte musikalische Richtung realisieren möchte, und das mit Ian Anderson von Jethro Tull, Jack Bruce von Cream und Al Di Meola. Das hat er alles brav in den Asylantrag eingetragen.

Hat sich das Projekt mittlerweile durch die Hinzunahme so vieler profilierter Musiker verändert?

Die Grundidee ist nach wie vor dieselbe. Und musikalisch identifizieren sich auch die Superstars, als Teil der Soulmates, mit dem Konzept. Ich würde sogar so weit gehen, dass sie den gesellschaftlichen Aspekt des Ganzen noch weiter in den Vordergrund rücken. Musik, die verbindet. Musik für die Menschlichkeit. Die Frage zur Generationsgerechtigkeit zu beantworten, ob wir unsere Segel oder den Wind drehen. Deshalb heißt auch unser Album: „Utopia for Realists“

Apropos: Was kann Musik gesellschaftlich bewegen?

Schaut man sich die großen Prog-Bands der 70er an – Jethro Tull, Yes oder Pink Floyd – und deren Erfolg, dann beantwortet sich die Frage von selbst. Denn all diese Künstler hatten gesellschaftliche Aussagen in ihrer Musik und haben gleichzeitig Fußballstadien ausverkauft. Nach wie vor ist es so, dass Musik eine soziokulturelle Relevanz besitzt und dementsprechend auch Dinge zum besseren bewegen kann – davon bin ich überzeugt.

Auch anspruchsvolle Musik in unserer schnelllebigen Zeit?

Die Aufmerksamkeitsspanne ist mit Sicherheit kürzer geworden. Vor allem wegen der Überlastung unseres Aufmerksamkeitsfensters durch Social Media. Aber ich stelle Ihnen mal eine Frage: Wenn man jemandem heute seine Liebe gestehen will: Macht man das dann besser per SMS oder mit einem handgeschriebenen Brief? Ich glaube, die Antwort ist klar. So ist auch unsere Musik ein handgeschriebener Liebesbrief an unser Publikum.

Wie bekommt man Namen wie Ian Anderson, Chaka Khan, Nick Kershaw, Al Di Meola und die vielen anderen Künstlerinnen und Künstler unter einen Hut, ohne dass die einzelnen Egos dem Resultat im Weg stehen?

Indem sich die Künstler hier bei mir im Studio so in die Musik einbringen, dass es gar nicht zur Entwicklung eines Egos kommt. Musik verträgt ohnehin kein Ego, sondern nur Demut. Achtsamer Umgang mit Musikern und Respekt für alle Mitmusiker, eine echte künstlerische Wertegemeinschaft.

Ist das auch das Geheimnis ihres Erfolges als Produzent solch unterschiedlicher Künstler wie Phil Collins, Lionel Richie oder Jennifer Rush?

Ich versuche eine Balance von Form und Inhalt zu entwickeln. Man kann eine Produktion so angehen, dass man den Produzenten sofort heraushört. Dieter Bohlen hat zum Beispiel eine klare Handschrift – und das ist keineswegs abwertend gemeint. So etwas habe ich aber nicht. Ich versuche, einen künstlerischen Mehrwert für den Künstler zu schaffen, indem ich völlig in seine Welt eintauche – das ist mein Ansatz.

So etwas hat es bei Ihrem ersten Welterfolg als Mitglied der Gruppe Dschinghis Khan nicht gegeben. Alles war mehr oder weniger am Reißbrett entworfen worden. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit?

In der Retrospektive kann man darüber schmunzeln. Ich habe diese Lieder seit 40 Jahren nicht gesungen. Lass es uns etwas ironisch beschreiben: das war damals mein Asylbewerber-Job. Andere arbeiteten in der Großküche – ich hatte Glück, ich war Popstar (lacht). Ich habe zwar nicht viel Geld damit verdient, aber tolle Reisen gemacht, interessante Menschen kennengelernt und viel gelernt. Das war musikalisch allerdings nicht meine Welt und hat mir auch dort nicht geholfen, Fuß zu fassen, wo ich mich verortet habe. Deshalb bin ich anschließend in die USA gegangen, wo man Dschinghis Khan nicht kannte, und habe mich darauf fokussiert, wieder das zu tun, was meiner Bestimmung als Künstler entspricht.

Was legt Leslie Mandoki privat auf?

Ich habe gerade das erste Sting-Album gehört. In erster Linie, wie weil ich mich gerade mit Darryl Jones beschäftige, der dort Bass gespielt hat. Ein fulminantes Album eines grandiosen Musikers.

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