19.06.2020 Sänger

Max Giesinger

Von Marcus Italiani
Max Giesinger
Max Giesinger Fotoquelle: Christoph Köstlin

Max Giesinger ist spätestens seit seinem EM-Hit "80 Millionen" (2016) der Star am deutschen Singer-Songwriter-Himmel und eilt von Erfolg zu Erfolg. Sein neues Album "Die Reise (Akustik Version)" ist auch ein Mittel, um dem reduzierten Alltag während der Corona-Zeit etwas Positives abzugewinnen.

Herr Giesinger, was bedeutet Ihnen Freiheit in dieser Zeit der begrenzten Möglichkeiten?

Ich hab meine Freiheit mein ganzes Leben lang noch nie hinterfragen müssen. Da das jetzt für einige Wochen der Fall war, hab ich gelernt, jeden Spaziergang, jedes Treffen mit einem Kumpel und jedes gespielte Autokinokonzert einfach nur in vollen Zügen auszukosten. Ich hoffe, dass ich mir davon was in die Zeit danach mitnehmen kann.

Sie konnten sich durch die monatelange Corona-Pause nicht nur entschleunigen, sondern sicherlich auch mal reflektierend sammeln. Was ging Ihnen durch den Kopf? Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?

Dass weniger manchmal mehr ist. Ich muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Es ist völlig in Ordnung, mal ein paar Tage oder auch zwei Wochen zu Hause zu verbringen. Früher hatte ich immer so einen Fluchtreflex. Sobald ich von einer Tour zurückgekehrt bin, dachte ich, ich müsse sofort wieder los. Ich finde gerade die Balance, um mal ein halbwegs normales Leben zu führen. Meine Kochkünste haben Fortschritte gemacht, ich habe eine Sport-App heruntergeladen, um mich fit zu halten. Und mir ist aufgefallen, dass ich nicht die ganze Zeit nur Action haben muss, um happy zu sein. Ich kann auch eine gute Zeit mit mir alleine haben.

Welche Möglichkeiten eröffnet Ihnen ein Akustik-Album und was macht es mit den Songs?

Es ermöglicht einem, die Songs nochmal in ihrer puren Form darzustellen. Manche Songs wurden auf diesem Weg nochmal komplett umgekrempelt, und das Ergebnis stand den Liedern manchmal sogar noch besser als in der ursprünglichen Albumversion. Wenn ich die Songs höre, kommt mir es nun wieder so vor, als hätte ich sie erst gerade geschrieben. Das ganze Album hat einfach einen völlig neuen Anstrich bekommen.

Warum sollten Nachwuchsmusiker heutzutage noch eine Band starten?

Weil es nichts Besseres gibt. Es ist einer der schönsten Berufe, die man wählen kann. Natürlich wird vielen Musikern, die noch am Anfang stehen und früher gut von vier oder fünf Gigs im Monat leben konnten, gerade jetzt während der Corona-Zeit klar, dass sie keinerlei Sicherheiten haben. Ein Kumpel von mir musste sogar Hartz IV anmelden. Das wäre vorher undenkbar gewesen. Daher empfehle ich, parallel noch ein anderes Standbein zu haben, das man ja immer noch zurückschrauben kann, sobald es mit der Musik mehr wird.

War das auch Ihre Strategie, als Sie damals in einer Punk Band Riffs geschrubbt haben?

Das war gar keine Punk Band. Wir hießen zwar "Deadly Punks", haben aber Popmusik gemacht. Dort musste ich Powerchords auf einer Akustikgitarre schrabbeln, weil ich noch keine E-Gitarre hatte. Die gab‘s dann zu Weihnachten. Allerdings wurde ich vier Wochen später aus der Band gekickt, weil ich bei einem Auftritt nicht dabei war. So was ging sehr schnell damals. Später als Sänger bin ich glücklicherweise nicht mehr in die Situation gekommen, dass es wirklich mal brenzlig wurde.

Erst laufen gelernt, dann gerannt, letztlich gereist und zuhause angekommen. Das klingt danach dass es demnächst ein ganz neues Kapitel geben wird. Ist das so?

Gute Frage. Da ist tatsächlich alles noch offen. Ich war neulich eine Woche in der Eifel und habe dort ein bisschen geschrieben, einfach um mal zu schauen, wo die Reise hingehen wird. Aber ich verspüre keinen Druck. Es gibt keinen Release-Termin. Jetzt ist erst mal das Akustik-Album erschienen. Ursprünglich wollte ich nächstes Jahr eine Live-Pause einlegen. Doch dank der Pandemie werde ich die Gigs nächstes Jahr nachholen. Das Schöne an der aktuellen Zeit ist ja einfach: Wenn du mal einen guten Song hast, bei dem alles passt, kannst du ihn einfach raushauen, ohne dir Gedanken über ein ganzes Album zu machen. Aber davon ab: Faulenzen werde ich auch nicht. Ich gehe auf ein Hausboot mit ein paar Kumpels, mache mit einem Camper einen Trip nach Skandinavien und versuche, Tennisstunden zu nehmen und mich da endlich mal zu verbessern.

Schließen Sie sich während des Songwritingprozesses ein, um sich nicht von anderen beeinflussen zu lassen?

Nein. Ich habe immer einen kleinen Sprachrekorder dabei, den ich in dieser Phase abhöre. Und wenn dann etwas Gutes dabei ist, wird es ausgearbeitet. Währenddessen höre ich mich auch durch das aktuelle Pop-Programm. Sobald ich aber merke, dass sich irgendetwas von dem, was ich mache, geklaut anhört, lasse ich sofort die Finger davon. Das ist natürlich sehr schwer, da jede Melodie irgendwann schon mal geschrieben wurde.

Sie haben mal gesagt, dass Ihre Castingshow-Vergangenheit in "The Voice of Germany" die Plattenfirmen vergrault hat. Wie war das gemeint?

Der Glaube, dass jemand, der diesen Casting-Stempel hat, nicht durch die Radiotür gelassen wird, herrschte damals bei vielen Firmen vor. Es war lange Zeit unsexy, in so einer Show gewesen zu sein. Die Labels wollten ihre Musik im Radio platzieren. Daher gab es reihenweise Absagen. Mittlerweile hat sich das aber auch gebessert.

Xavier Naidoo war damals Ihr Coach. Was denken Sie, wenn Sie seine aktuellen Äußerungen hören?

Ehrlich gesagt ist das, was er sich da gerade zusammenspinnt, durchaus überraschend und schockierend. Er hatte natürlich auch damals eine politische Meinung, aber das war alles nicht so absurd wie das, was gerade von ihm durch die Welt geistert. Er hat sich seinerzeit ganz gut um uns als Team gekümmert und uns ins Studio eingeladen, um gemeinsam eine Platte zu machen. Das war damals musikalisch nicht so meine Welt, weshalb ich mich da auch relativ schnell abgeseilt habe. Aber er hat sich schon um uns bemüht, und ich glaube auch, dass er ein gutes Herz hat und kein schlechter Mensch ist. Aber jetzt hat er sich halt in etwas hineingesteigert – ich weiß auch nicht, für mich ist das höchst verwirrend.

Bislang gab es nach jeder Studioscheibe ein Live-Album. Warum eigentlich?

Das ist für mich immer ein elementarer Bestandteil gewesen, da ich ja auch aus dem Live-Bereich komme und von Beginn an richtig viele Konzerte gespielt habe. Gigs sind mein Steckenpferd Numero eins und Live-Alben sind etwas für Liebhaber. Leider ist die Zeit der großen Live-DVDs ja vorbei. Aber zum nächsten Studio-Album kann ich mir das durchaus wieder vorstellen.

Was haben Sie aus dem Tauschkonzert mitgenommen?

Eigentlich nur positive Vibes. Wir haben uns alle blendend verstanden. Es lohnt halt, sich mal aus seinem gewohnten Terrain, seiner Komfortzone herauszubewegen. Die Konstellation war super – da habe ich Glück gehabt. Ich habe bei einer Episode beispielsweise gerappt, auch wenn mir die Street-Credibility fehlt. Aber wenn man mal einen rockigen Part fühlt, dann kann man das auch mal rauslassen und einzelne Elemente übernehmen. Jeder Musiker sollte diese Erfahrung einmal im Leben machen.

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