15.05.2023 Interview mit preisgekrönter Musikerin

Tschüss Oonagh – Hallo Senta!

Von Felix Förster
Senta ist eine ausgezeichnete Musikerin, die sich für einen neuen Weg entschieden hat.
Senta ist eine ausgezeichnete Musikerin, die sich für einen neuen Weg entschieden hat. Fotoquelle: RAW SOULS Production

Mit „Egal wie weit“ hat Senta ein neues Album vorgelegt. Senta? Die Sängerin ist keine Unbekannte, jahrelang brachte sie unter dem Namen „Oonagh“ erfolgreiche Alben heraus und wurde mit diversen Preisen ausgezeichnet. Nun wagt Senta-Sofia Delliponti, wie die Sängerin bürgerlich heißt, einen musikalischen Neuanfang. Im Gespräch mit prisma erzählt sie von diesem mutigen Schritt, ihrem neuen Album und ihrem eigenen Podcast.

Sind Sie als Künstlerin jetzt da, wo Sie immer schon hinwollten?

Senta: Ich weiß ich gar nicht, ob ich es so beschreiben würde. Ich fühle mich auf alle Fälle momentan so wohl in meiner Haut wie noch nie. Ich wünsche mir von Herzen, dass ich noch mehr Menschen mit meiner Musik erreichen kann und sie sich gesehen und gehört fühlen in meiner Musik.

Ich frage, weil Sie in Ihren Videos und auch in Interviews eine so positive Ausstrahlung haben, die ansteckend ist. Wie schaffen Sie das, während viele andere Künstler in ihrer zynischen Pose wie erstarrt wirken?

Senta: Hahaha, ich bin ein positiver Mensch und liebe das Leben. Wann immer ich gefühlt habe, dass es sich nicht mehr richtig oder authentisch anfühlt, bin ich weitergezogen. Es waren schmerzhafte Prozesse, die ich jedes Mal durchlebt habe, doch auch befreiende Meilensteine, dann zu wissen, dass es wert war, immer meinem Herzen zu folgen.

Ihr neues Album heißt „Egal wie weit“. Was verbirgt sich hinter dem Titel? „Egal, wie weit, ich werden diesen Weg gehen“?

Senta: Es geht um meinen persönlichen Wendepunkt. Ich habe mich von einem alten Musikprojekt namens Oonagh getrennt und bin ungewisse, neue Wege gegangen. Ich habe Tage in meiner Gartenhütte in Stille verbracht, ohne Ablenkung und ohne Handy, und mich getraut, groß zu denken und groß zu träumen. Es fühlte sich einfach so wunderschön an und ich fragte mich: „Was wäre, wenn alles möglich ist?“ Oft stand ich mir in der Vergangenheit selbst im Weg, und mein eigener Perfektionismus hat mich unglücklich gemacht. Es hat mich viel Mut gekostet, und ich wollte dieses Gefühl festhalten und „Egal wie weit“ ist entstanden. Seitdem lebe und liebe ich Unvollkommenheit oder Imperfektion und finde diese perfekt (lacht).

Das Album klingt angenehm zurückgenommen produziert, es überwiegen poppige, aber eher leisere Töne. War das ein bewusster Schritt, organisch und zugleich doch modern zu klingen?

Senta: Ich habe viel mit meiner Stimme gearbeitet und diese in meinen Songs als Flächen-Instrument eingesetzt. Ich habe mich dabei von Künstlerinnen wie Orla Gartland und Lorde inspirieren lassen. Ich wollte mit organischen und Synthie-Sounds experimentieren. Dabei ist dann frische deutsche Popmusik entstanden. Letztens sagte ein Freund zu mir: „Senta, egal welche Musik du machst, sie ist immer eine Klangreise.“ Dies war ein schönes Kompliment, denn es passt. Wenn man sich einen Song wie „Ich lass dich ziehen“ anhört, befinden sich darauf verschiedene Instrumente in verschiedenen Räumen. Wir haben das Cello eingespielt, und ich habe mich da von der amerikanischen Indie-Rock-Musikerin Phoebe Bridgers inspirieren lassen. In jedem Song von mir steckt Detailverliebtheit, und wenn man das beim ersten Hören vielleicht noch nicht hört, dann aber beim zweiten oder dritten Mal. Es ist eine Mischung aus Mainstream und Indie.

Das Album ist im besten Sinne zeitgemäß, denn es reiht sich in meiner Wahrnehmung stilistisch in die Riege der aktuellen deutschen Popmusiker ein, die ja eine neue Welle der populären deutschen Musik losgetreten haben. Ist diese Wahrnehmung für Sie nachvollziehbar?

Senta: Ich denke, dass es dieses Schubladendenken für die Menschen dort draußen kaum braucht. Sie hören Musik, und entweder es gefällt ihnen oder sie fühlen es nicht.

Wann hatten Sie das Gefühl, das ist jetzt der Stil, den Sie mögen, den Sie gehen möchten?

Senta: Ich habe einfach angefangen, Songs am Klavier zu schreiben, und habe mich zurückerinnert an die Zeit, wie ich damals in meinem Kinderzimmer begonnen habe zu schreiben. Ich habe mich inspirieren lassen von vielen starken Musikern wie Ashe, Rhye, Coldplay oder Orla Gartland.

Die Texte Ihrer Songs sind sehr einfühlsam, beschäftigen sich mit Beziehungen, dem Frau-Sein in einer manchmal komplizierten Welt, aber auch mit dem Menschsein im Hier und Jetzt allgemein. Mir hat besonders die Zeile „Nehm mir das Recht heraus, davon zu träumen, woran ich glaub“ aus dem Titelsong gut gefallen. Es ist der erste Satz im ersten Song des Albums, und Sie setzen damit direkt ein Zeichen. Was spricht aus dieser Zeile? Die Lust am eigenen Kopf, am eigenen künstlerischen Ausdruck?

Senta: Mich selbst ernst zu nehmen und mich wertzuschätzen, musste ich erst lernen. Es ist das Wunderschönste und hat viel mit Selbstliebe und Selbstwert zu tun. Ich habe zu der Zeit viel meditiert und gemerkt, dass alles in einem selbst beginnt: sei es eine Idee, ein Wunsch oder einfach nur Bedürfnisse. Erst danach kommt man ins Tun. Mich von alten Glaubenssätzen frei zu machen, hat mir Kraft gegeben.

Sie sind eine erfahrene Künstlerin, die schon diverse Erfolge feiern konnte. Wie gehen Sie mit Erfolg um?

Senta: Ich wollte es neu für mich definieren und wusste, dass mein altes Musikprojekt nicht der Maßstab sein wird. Die deutsche Sprache ist so schön und oft finde ich im „Wort“ Antworten. Im Wort „Erfolg“ steckt „Es erfolgt etwas“. Für mich sind es Herzensprojekte, die ich immer gerne beginne und dann auch zu einem Abschuss bringen möchte, wie mein Album. Der Weg war so voller schöner Begegnungen, ich durfte so viel lernen und wachsen. Dies ist für mich ein Erfolg.

Ich frage, weil das neue Album eine Art Neustart für Sie ist. Nach Ihrer sehr erfolgreichen Karriere als „Oonagh“ starten Sie jetzt unter Ihrem wirklichen Namen Senta neu. Was gab den Ausschlag dafür?

Senta: In der Corona-Zeit war die Musikindustrie erstmal auf Pause gesetzt, und ich habe mir die Zeit genommen, die vergangenen sieben Jahre Revue passieren zu lassen und zu reflektieren. Es hat viel mit meinem Wertesystem zu tun. Ich habe das alte Musikprojekt geliebt und gelebt, doch ich habe gemerkt, dass ich da rausgewachsen bin und den Erwartungen nicht mehr gerecht werden kann. Eine tiefe Sehnsucht nach Authentizität war da, danach, Musik auf Augenhöhe zu machen, von Mensch zu Mensch und dadurch greifbarer zu sein.

Ist diese Entscheidung gegen Oonagh auch ein Risiko?

Senta: Mein Wunsch ist es mehr und mehr, auf meine Intuition zu hören, und mein Bauchgefühl sagt mir Nein. Ich habe ein Tonstudio und produziere auch selbst, habe einen Podcast namens „Sentahood“ über Wendepunkte im Leben und sprühe vor Ideen. Unabhängig zu sein, macht mich mittlerweile sehr glücklich. Es bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen, und auch in diesem Wort steckt schon die Antwort (lacht). Mein Wunsch ist es, mich ganzheitlich aufzustellen.

Die Spiritualität, die Sie mit Oonagh zelebriert haben, bleibt, so viel kann man aus dem Album heraushören und das signalisieren Sie auch in Ihren Interviews. Was genau verstehen Sie unter diesem Begriff?

Senta: Es ist für mich ein „Nach-innen-Schauen“. Diese Facette von Oonagh wird immer ein Teil von mir sein. Doch ich liebe als „Senta“ auch die Psychologie, die Wissenschaft, die Philosophie und liebe auch dort die Ganzheitlichkeit.

Sie hatten Anfang der 2000er-Jahre Casting-Erfolge im Fernsehen, haben damit Ihre ersten künstlerischen Erfolge feiern können. Wie sehen Sie Casting-Shows und diese Art der Unterhaltung und wie ist die Entwicklung da zu sehen?

Senta: Es war eine andere Zeit als heute. Heute kann man als Künstler viel schneller sichtbar werden, durch die Streaming-Portale oder durch Social Media. Es war damals eine tolle Chance für mich, mein Hobby zum Beruf zu machen. Doch es kann auch eine toxische Branche sein, und ich bin durch patriarchalische Strukturen gegangen. Vieles war mir damals nicht bewusst. Es ist nicht einfach, als Kind in so einer Musikindustrie aufzuwachsen. Heute weiß ich, es gibt auch noch andere Bubbles in dieser Branche, und ich bin sehr dankbar dafür, diese kennenlernen zu dürfen.

Sie betreiben mit „Sentahood“ einen eigenen Podcast. Welche Themen und Gäste werden dort vorgestellt?

Senta: Ich habe mich gefragt, wie gehen andere Menschen mit Wendepunkten um, und lade in der ersten Staffel Gäste in meinen persönlichen Rückzugsort, meine Hütte, ein. Es sind so tolle Gespräche, die mich sehr berühren. Meine Gäste sprechen über ihre persönlichen Wendepunkte und mit welchen Herausforderungen und Ängsten sie zu kämpfen hatten. Es gibt aber auch ganz besondere Tools, die geteilt werden. So ist beispielsweise Lucas von „Kessel und Kelle“ zu hören und spricht mit mir darüber, dass er sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Er hat eine Bierbrauerei gegründet. Auch Susan Sideropoulos ist zu Gast und erzählt über ihre Karriere und ihre Tiefschläge, und wie sie es geschafft hat, da rauszukommen. Brix Schaumburg ist bei mir, der erste geoutete Trans-Schauspieler, oder Franziska, die über ihre Alkoholsucht spricht. Auch meine gute Freundin Iris Stehen ist zu Gast und spricht zum allerersten Mal öffentlich über den Verlust ihrer Mutter. Alle Gäste haben die Gemeinsamkeit, dass sie berührende Geschichten erzählen. Der Podcast ist ein absolutes Herzensprojekt meiner Freundin Stefanie Deuker und mir. Wir produzieren alles selbst, vom Schnitt bis zur Grafik.

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