18.10.2021 Silly-Keyboarder Ritchie Barton

"Die Fans wollten die alten Songs mit AnNa und Julia am Mikro"

Von Felix Förster

Silly sind wieder da! Nach der Erfolgstour "10 Alben, 10 Städte, 10 Shows" im Jahr 2019 hat die Kultband aus dem Osten nach zweijähriger Pause nun das Album "Instandbesetzt" mit AnNa R. (Rosenstolz) und Julia Neigel aufgenommen. Ab Ende Oktober geht es mit den prominenten Sängerinnen auf Tour. prisma hat sich mit Band-Legende und Keyboarder Ritchie Barton unterhalten.

Nach der legendären Tamara Danz und Anna Loos, mit der Sie ein beachtliches Comeback geschafft haben, sind nun mit Julia Neigel und AnNa R. zwei sehr prominente Sängerinnen bei Silly zu hören. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Ritchie Barton: Nun ja, als Anna Loos und wir verschiedene Wege gingen, hatten wir uns zu überlegen, wie es denn nun weiter gehen soll. AnNa R. kam uns da sehr schnell in den Kopf, da sie schon 2005 bei unserer "Silly & Gäste"-Tour mit dabei war. Wir kennen uns schon sehr lange und wir wussten, dass AnNa immer schon eine gewisse Affinität zu einigen unserer Songs und Tamara hatte. Bei Rosenstolz gab es sogar zwei Silly-Coverversionen, "Wo bist Du" und "Hurensöhne". Wir trafen uns also mit ihr, um sie zu fragen, ob sie sich vorstellen könnte, bei uns ans Mikro zu treten, und ihre Zusage kam prompt. Julia haben wir schon mal in den 80-ern bei einem Konzert in Ludwigshafen getroffen. Vor drei bis vier Jahren hatte Uwe einen Studiojob bei Maschine, dem Ex-Puhdys-Sänger, und traf dort Julia, welche auf diesem Solo-Album ein Duett mit Maschine sang. Bei der anschließenden Tour lernte Uwe sie besser kennen, und da lag es nahe, auch sie zu fragen.

Sind die beiden jetzt offiziell ein Teil von Silly?

Ritchie Barton: Naja, wir haben uns nicht gleich wieder "verheiratet". Beide sind bei uns im Moment Gastsängerinnen. AnNa wird auch zukünftig, parallel zu Silly, weiter mit ihrer Band GLEIS 8 arbeiten, genauso wie Julia ihre Solokarriere, auch parallel zur Arbeit mit uns, weiter verfolgen wird. Aber wir haben hier keine zeitlichen Limitierungen gesetzt, so dass man erst einmal davon ausgehen kann, bei Silly-Konzerten beide Sängerinnen zu erleben.

Die alten Klassiker, die im Original von Tamara Danz gesungen wurden, sind nach wie vor Ihre bekanntesten Songs. Was macht diese Songs so besonders, dass sie auch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen noch so beliebt sind?

Ritchie Barton: Dieses Phänomen kann man ja nicht nur bei uns beobachten. Besonders macht diese Songs vielleicht, dass sie in einer ganz anderen Zeit unter ebenso anderen gesellschaftlichen Umständen entstanden sind. Am Ende ist es aber immer die Musik im Ganzen, also die Verbindung aus Komposition, Text, Arrangement und Interpretation, welche das Ding zum Klassiker werden lässt oder nicht. Dummerweise weiß man das selbst auch nie vorher. Was uns aber immer wieder erstaunt ist, dass manche kritische Texte, welche vor dem politischem Hintergrund der damaligen DDR geschrieben wurden, heute immer noch, oder wieder, Gültigkeit haben beziehungsweise erhalten. Und damit auch ein neues, jüngeres Publikum erreichen.

Ihre letzte Tour "10 Alben, 10 Städte, 10 Shows" war sehr ambitioniert und ein voller Erfolg. Wie war es, die ganze Bandgeschichte noch einmal Revue passieren zu lassen und das mit neuen Sängerinnen?

Ritchie Barton: Nun ja, alte Songs mit neuen Sängerinnen zu spielen war ja nicht so ganz neu für uns. Wir hatten 2005 schon das Projekt "Silly & Gäste", bei dem wir Silly-Klassiker aus der Tamara-Zeit gespielt haben. Damals, neun Jahre nach Tamaras Tod und einem zehnjährigen Ruhen aller Silly-Aktivitäten, war es an der einen oder anderen Stelle schon eine emotionale Herausforderung, diese Songs zu proben und zu spielen. Bei "10 Alben, 10 Städte, 10 Shows" war die eigentliche Herausforderung eine andere, nämlich der Umfang der zu probenden Songs. Es waren so ca. 65 Lieder zu erarbeiten, wovon dann glaube ich 55 letztlich auch aufgeführt wurden, und schon die zu treffende Auswahl war manchmal eine Qual. Aber insgesamt war es eine tolle Sache, diese musikalische Zeitreise zu unternehmen. Zumal es Songs dabei gab, welche in dieser Besetzung noch nie live gespielt wurden. Zum Beispiel "Tausend Augen" ("Psycho") oder "Puppe Otto" und einiges mehr.

Das neue Album kommt nun mitten in der Corona-Zeit und lässt mit sehr kritischen Texten aufhorchen. Was verbirgt sich hinter den neuen Songs "Lautes Schweigen", "Hamsterrad" und "Werden und Vergeh'n"?

Ritchie Barton: Kritische Texte, zu DDR wie auch zu Nachwendezeiten, waren uns ja immer auch wichtig. Man kann sich davon zum Beispiel beim letzten DDR Album "Februar" von 1989, oder auch beim ersten Nachwende-Album "Hurensöhne" von 1993 überzeugen. Dazu brauchte es also nicht unbedingt Corona. In "Lautes Schweigen" und "Hamsterrad" sind Beobachtungen von aktuell gesellschaftlichen und sozialen Phänomenen poetisch und musikalisch verarbeitet. Für uns steht das in guter alter Silly-Tradition. "Werden und Vergeh'n" würde ich da nicht unbedingt einsortieren. Das geht mehr in die philosophische Richtung. Aber bei uns gibt es natürlich auch Liebeslieder aller couleur.

Sie haben nach wie vor gerade in Ostdeutschland eine große Fan-Gemeinde. Was macht die Popularität von Silly gerade dort Ihrer Meinung nach aus?

Ritchie Barton: Na, das ist doch irgendwie natürlich. Viele Menschen im Osten sind mit unserer Musik groß geworden. Sie waren jung, haben sich zum ersten Mal verliebt und geküsst, vielleicht aber auch aufbegehrt gegen die Verhältnisse in der DDR. Das alles wurde begleitet von Musik und die kann sich einbrennen. Zum Teil war das die gleiche Musik wie die der Altersgenossen im Westen auch, Depeche Mode, David Bowie, Pink Floyd etc. Zum anderen Teil aber auch die Musik einiger Ost-Bands. Und zu denen gehörten eben auch wir. Dass man, wenn man älter wird, sich von Zeit zu Zeit gern in der Musik aus der Jugend verliert, ist ja nun auch kein ostdeutsches Phänomen. Schön für uns ist allerdings, dass diese einseitige Gewichtung, welche es ja durchaus gab, in den letzten zehn bis zwölf Jahren Stück für Stück dabei ist, sich aufzulösen und wir auch im Westen unser Publikum gefunden haben.

Auf der neuen Scheibe sind alte Silly-Songs von AnNa und Julia neu interpretiert worden. Wie war das für Sie, mit den neuen Sängerinnen an diesem Material zu arbeiten?

Ritchie Barton: Das hat ja eigentlich schon zur Tour "10 Alben, 10 Städte, 10 Shows" 2019 mit den Proben und Live-Umsetzungen begonnen. Es war eine tolle Sache, die interpretatorischen Eigenheiten beider Sängerinnen gemeinsam herauszuarbeiten. Die Idee zur Produktion zum Album "Instandbesetzt" kam vor allem auf Nachfrage einiger Fans nach Beendigung der Tour zustande. Sie fragten uns, ob es denn eine Live-Scheibe von der Tour und somit die alten Songs mit AnNa und Julia am Mikro geben wird. Wir haben diesem Wunsch entsprochen, allerdings nicht in Form eines Live-Albums sondern einer Studioproduktion. Das gab uns dann auch die Möglichkeit, ganz neue Songs in der Titelliste mit unterzubringen.

Ihre Tour startet im Oktober – auf was können sich die Fans freuen?

Ritchie Barton: Auf ein ca. zweistündiges Programm, das natürlich alle bekannten Hits, das aktuelle Album "Instandbesetzt", ergänzt durch etliche Songs der Tour 2019, auf die Bühne bringt.

Julia Neigel und AnNa R. sind durch ihre ehemaligen Bands Jule Neigel Band und Rosenstolz zwei Legenden der deutschen Musikbranche. Viele Fans der beiden Bands werden nun auch zu Silly-Konzerten kommen. Ein bewusster Schritt?

Ritchie Barton: Wenn man sich zu einer solchen Gemeinsamkeit zusammenfindet, denkt man ja nicht zuerst an die Möglichkeit, hier Fans zu summieren. Wir spielen ja auch keine Songs von Rosenstolz oder der damaligen Jule Neigel Band. Dass da 2019 und zu den beiden Sommerkonzerten in diesem Jahr einige Neugierige aus beiden Fan-Lagern dabei waren, kann man natürlich nicht ausschließen. Aber in erster Linie, so ist zumindest der Eindruck von der Bühne aus, kommen doch die Leute, die traditionell zu uns kommen. Andererseits, dass sich im Oktober/November dann auch alte und neue Fans von AnNa und Julia drunter mischen, wollen wir doch hoffen (lacht).

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