11.04.2022 Musiker im Interview

St. Kleinkrieg: "Man macht doch stets das, was man für das Beste hält"

Extrabreit-Urgestein Stefan Kleinkrieg hat ein bemerkenswertes Soloalbum aufgenommen.
Extrabreit-Urgestein Stefan Kleinkrieg hat ein bemerkenswertes Soloalbum aufgenommen. Fotoquelle: Dirk Schmidt

Stefan Kleinkrieg, der sich einfach nur "St. Kleinkrieg" nennt, hat es wieder getan: Nur knapp zwei Jahre nach dem grandiosen Comeback seiner Hausband Extrabreit hat er mit "Die Sonne scheint für alle" ein erstaunliches Solo-Album nachgelegt. prisma hat ihn unter anderem zu seinem kreativen Schub, Kooperationen mit Udo Lindenberg und seinen Tour-Plänen befragt.

Verzeihen Sie den Vergleich, ich weiß ja, dass das viele Künstler nicht mögen, aber Ihr Album klingt so, wie Marius Müller-Westernhagen und Udo Lindenberg-Alben schon lange nicht mehr klingen: roh, nicht überproduziert, folkig, bluesig, rockig und geradeaus. Wenn Corona solche Songs hervorbringt, kann doch nicht alles daran schlecht gewesen sein, oder?

St. Kleinkrieg: Vielen Dank, ich werte das, so wie Sie es sagen, als Kompliment. Ich kann mich über den Sound meines Albums auch nur freuen und bin meinen Jungs echt dankbar für diese Produktion. Den Vergleich mit den beiden geschätzten Kollegen muss ich mir natürlich häufiger gefallen lassen, aber da bin ich realistisch genug, um meinen Platz zu kennen. Viele der Songs wurden schon vor der Pandemie geschrieben, nur die Aufnahmen wurden in Zeiten von "Sperrstunde und Selbsttest" gemacht. Das ließ uns dann richtig in das "Studio-Höhlenleben" eintauchen.

Woher kam dieser kreative Schub, vor allem nachdem Sie mit Extrabreit 2020 bereits das hochgelobte "Auf Ex" veröffentlicht hatten?

St. Kleinkrieg: Ich hatte darauf schon einmal mit "Hoffnungslosigkeit und Beschäftigungstherapie" geantwortet. Stimmt nicht ganz. Ich hatte vor, ein paar Songs nur mit Akustik-Gitarre aufzunehmen, davon eine CD zu machen und diese dann in einer Auflage von maximal 200 Stück bei der nächsten Extrabreit-Tour über unseren Tour-Shop zu verkaufen, bevor uns allen klar wurde, dass es mit der Tour für das Album "Auf Ex!" nichts mehr wird. Die "nächste Tour" war dann für den Winter 2021 geplant, sollte aber auch nicht stattfinden, und in der Zwischenzeit hatte das Land NRW ein Stipendium ausgeschrieben; ich bewarb mich, bekam es zugeteilt, und voilà, damit ließ sich dann arbeiten.

Wie sehen Sie denn die vergangenen zwei Jahre, mal im teilweisen, dann im vollen Lockdown? Eine verlorene Zeit, vor allem für die Musikbranche?

St. Kleinkrieg: Ja, eine verlorene Zeit für viele! Eine Zeit im Leben, die sich nicht wiederholen lässt. Für uns als alte Hasen sind zwei verlorene Jahre auf andere Art dramatisch als für eine junge Band, die noch zig Jahre ihres kreativen Schaffens vor sich hat.

Was muss jetzt getan werden? Endlich alles öffnen? (Das Interview wurde im März geführt. Anm. der Redaktion)

St. Kleinkrieg: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich glaube, es wird von jetzt an Teil unseres Lebens bleiben, uns vor diesem Virus zu schützen. Wie man diese Pandemie für beendet erklärt und zur teilweisen Normalität zurückkehrt, wer kann das sagen? Anscheinend zerbrechen sich da die Seuchenprofis die Köpfe drüber. Ich halte mich da lieber vornehm zurück, denn ich weiß ja lediglich, dass ich nichts weiß.

"Die Sonne scheint für alle" – so der Titel des neuen Albums. Ein optimistischer Titel, der allerdings etwas in die Irre führt. Viele Songs sind melancholisch, schwelgen in Erinnerungen. Sind die Songs selbstreflektiv?

St. Kleinkrieg: Bestimmt, obwohl nicht jede der Geschichten selbst erlebt ist. Eine "Erika" gab es nie. "Die Sonne scheint für alle" ist eine unverrückbare Wahrheit, eine der wenigen auf dieser Welt. Egal wie gut oder schlecht, arm oder reich du bist, krank, schön alt, gehässig oder missgünstig, liebevoll, oder sogar verantwortungslos und verbrecherisch, die Sonne scheint für alle! Selbst für Wladimir, wenn er es doch nur zu schätzen wüsste! Aber Sie haben recht, ich bin in meinem Alter etwas rückschauender als ein 22-Jähriger und damit einhergehend auch etwas melancholischer. "Denn ich sah brennende Schiffe am Tannhäuser Tor!" (lacht)

Welche Botschaft wollen Sie mit dem Album transportieren?

St. Kleinkrieg: Ich halte mich keinesfalls für einen Barden der anderen, der "So musst du es machen"-Lieder vorsingt. Oder für jemanden, der Lösungen aus dem Katalog "Korrekter Mensch" präsentiert. Wenn es eine Botschaft gibt, dann würde ich mir wünschen, sie würde verstanden werden als: Bleib bei dir, bleib bei deinen Träumen. Mache Musik, male Bilder, schreibe Bücher. Sei der, der du sein willst, auch wenn man deinen Erfolg nicht in einer Handvoll Euro messen kann.

Der Song "Glückshormon" ist ein starkes Statement zum Befinden vieler Menschen in diesem Land. Gehören die Deutschen auf die Psychologen-Couch?

St. Kleinkrieg: Wer sind "Die Deutschen"? Ich wollte in dem Song sagen, dass die meisten von uns alles mitkriegen, was um sie herum passiert und nicht blind oder teilnahmslos sind, aber den Wunsch haben, einfach und effektiv glücklich zu sein. Ich finde, gerade in der letzten Zeit, zeigen sich die Deutschen überaus emphatisch, spendierfreudig, hilfsbereit aber auch übervorsichtig. "German Angst" halt.

In "Nie wieder" singen Sie: "Alles auf Rot, noch mal von vorn. Wer sich nicht traut, hat schon verloren". Wenn Sie die Chance hätten, würden Sie etwas anders machen?

St. Kleinkrieg: Also, den vierten Rum-Cocktail in der Bar im Hotel Hafen in Hamburg Anfang der 90er-Jahre, den würde ich ganz bestimmt nicht noch einmal trinken! Aber sonst? Jeder hat die ewige Frage im Kopf:"Wenn ich an der Kreuzung in die andere Richtung abgebogen wäre, wie wäre mein Film dann weitergegangen?" Es ist aber müßig, man macht doch stets das, was man für das Beste hält. Neu anfangen kann man ja eigentlich ziemlich oft. Bis einen der Mut, die Kraft, die Gesundheit verlässt. Also, neues Spiel, neues Glück!

Sie haben "Kralle", den von Ihnen geschriebenen großen Hit von Udo Lindenberg, nun selbst aufgenommen. Was verbinden Sie mit dem Song?

St. Kleinkrieg: Das war 1983, 1000 Jahre her. Wir waren mit den Breiten (Extrabreit – die Redaktion) eine richtige Größe im deutschen Showgeschäft und Herr Lindenberg rief mich an, ob ich nicht ein Stück Musik für ihn hätte. Ich als Lindenberg-Fan war natürlich nicht nur stolz, sondern "stolzstolzstolz" und auch aufgeregt. Ich meine, ich bin ja kein studierter Musiker oder der Wunderknabe mit dem Notenschlüssel, sondern ein Autodidakt der gröbsten Art. Meine stärkste Erinnerung daran ist, dass Udo bei der Produktion mit einem Drum-Computer arbeitete. Das war ich nun gar nicht gewohnt. Da kam dann beim Einspielen aus der Regie vom Meister die Durchsage: "Kleinkrieg, lehn dich in den Beat! Du machst den Drummer zum Schlepper!" War ich doch dem Takt Lichtjahre voraus.

Am Ende ist Udo selbst zu hören "Kein Nümmerchen unter diesem Anschluss". Wie kam das zustande?

St. Kleinkrieg: Ich habe ihn angerufen und gesagt: "Pate, verschaffen Sie mir ein würdiges Ende von diesem, unserem gemeinsamen Lied!" Er so: "Si, Si!" Nicht in dem genauen Wortlaut, aber fast. Er hat seinen Beitrag dann mit einer Text-Message geschickt. Danke, Udo!

Wann kann man Sie wieder live sehen? Was sind da die Pläne, solo oder mit Extrabreit?

St. Kleinkrieg: Ich hoffe, dass wir unseren Spielbetrieb bald wieder aufnehmen können. Am 25. Februar, zur Veröffentlichung meines Albums, hatte ich einen Gig mit meiner Band den Marooned Party Boys und da wurde mir erst mal klar, auf was wir alle verzichtet haben in dieser Zeit der Entbehrung. Pläne haben wir übers Jahr mit Extrabreit, hier und da. Und dann so ab November kommt der Start unserer Weihnachts-Blitztournee, die wir jetzt zweimal seuchenbedingt verschieben mussten. Ich allein, wo immer es sich bietet und machbar ist! Bühne frei, für die nächste Schweinerei!