Ann-Kathrin Otto arbeitet seit 1992 freiberuflich als Szenenbildnerin, Storyboardzeichnerin und Bühnenmalerin für Theater-, Film- und Fernsehproduktionen. Bekannt geworden ist sie unter anderem durch die ZDF-Sendung „Volle Kanne“, an der sie seit 2004 mitarbeitet.
Sie sind ausgebildete Theatermalerin. Waren Sie schon immer kreativ?
Kreativität entsteht durch Improvisation, flexibles Denken und neugierigen, experimentellen Umgang mit Materialien. Nicht nur Musik und Kunst, sondern auch Denkprozesse können kreativ sein und anregendes, von der Norm abweichendes hervorbringen. Meine Eltern gaben mir als Kind Tapetenrollen, weil sie erkannten, dass mir normales DIN A4-Papier nicht ausreichte. Somit förderten sie damals meinen Drang, unübersehbar groß malen zu wollen. Wie so viele Kinder auch habe ich „immer schon gern gemalt“, aber das Gefühl und der starke Wille, ein Talent professionell und beruflich umzusetzen, wurde entscheidend durch die internationale Fotokünstlerin und meine damalige Kunst-Leistungskurs-Lehrerin Anna Blume mit gepusht.
Ihr Bruder ist unter dem Künstlernamen Gentleman als Musiker bekannt. Wurde ihnen das künstlerische Talent quasi in die Wiege gelegt?
Auch mein Bruder ist seinem Drang, etwas verkünden zu wollen, nachgegangen. Im Sinne von „Kunst kommt von Können und eine Kunde verbreiten“ ganz klar: Ja. Offensichtlich wurde uns dies in die Wiege gelegt! Mein Vater: Pastor, Philosoph und Theologe, diplomatisch besonnen, im Urlaub herrlich fantasievolle, wilde Geschichte erzählend, auf der Kanzel stehend Denkanstöße predigend. Meine Mutter: rebellisch und ehrlich im Denken, bastelnd, werkelnd, albern mit einfachen, tollen Mitteln, ideenstiftend und voller Liebe.
Der Pfarrhaushalt war prägend und bestimmt Nährboden: Musik, Chor, Trompeten, Orgelunterricht, Gäste aus aller Welt von Missionaren aus Afrika bis Bischöfen, von Aristokraten bis Obdachlosen und DDR-Flüchtlingen, die bei uns aufgenommen wurden – ein turbulentes, offenes und lautes Haus, in dem gestritten, diskutiert, geheiratet und gestorben wurde und wir mittendrin! Freiheitsliebend und angstfrei erzogen, mussten wir im Leben früh selbständig zurechtkommen. Die Eltern waren mit Gott und der Welt beschäftigt und hatten nicht viel exklusive Zeit für uns. Sonntag war im Vergleich zu anderen „normalen“ Familien ein Ober-Trubel-Stresstag. Indem wir aus dem Pfarrhaushalt auch ein Stück weit ausbrachen, wenn nicht sogar: aufbrachen, konnten meine Brüder und ich heute daraus vielleicht eine eigene (Kunst-) Form finden, jeder auf seine Weise. Den künstlerischen Erfolg haben wir uns nicht vorgenommen. Es ist ein ganz natürlicher Weg geworden.
Seit 2004 gestalten Sie beim ZDF-Morgenmagazin „Volle Kanne“ Räume und Möbel um. Was war Ihr bisheriges Highlight?
Oh, da gibt es einige! Zum Beispiel Besuch bei Inger Nilsson in Stockholm. 2007 zeigte sie mir und den Zuschauenden „ihr“ Stockholm. Völlig aufgeregt ging ich mit ihr durch Design Hotspot Viertel und Cafés, und so lernten wir eine ganz andere Seite der Ikone meiner Kindheit kennen. Bei meinen klassischen (mittlerweile über 500) Umgestaltungsfolgen mochte ich am liebsten die Zeitreisen Interieurs. „Midcentury“ der 1950er- und 1960er-Jahre ist und bleibt einfach zeitlos schön. Am schrägsten ist mir die „Eierlounge“ in Erinnerung. Und am lustigsten und auch ziemlich anstrengend war die Umgestaltung eines Dachraumes einer neunköpfigen Familie. Ich habe daraus zwei Räume gemacht, damit der älteste Jugendliche seinen eigenen Rückzug bekommt. Am Ende saß die gesamte Familie bei ihm mit Tee auf dem Boden, weil sich alle dort so wohl fühlten. Soviel zum Thema Rückzug.
Welches Projekt würden Sie gerne einmal angehen? (Wovon träumen Sie noch?)
Nachdem ich ein Schiff mit meiner Kunst bemalen durfte, sind die letzten Hemmungen gefallen. Ich würde super gerne mal ein Flugzeug, einen Airbus, bemalen!
Was macht Ihnen mehr Spaß: ein Filmset oder eine Hausfassade zu gestalten?
An einer großen Hausfassade oder Innenwand bin ich allein. Konzentriert versunken in die Malerei. Ich sehe nur Farben, Eimer, den nächsten Strich, denke, erfinde ...völlig selbstständig, still und autark in meinem Rhythmus. Das kann von zwölf bis zwei Uhr nachts sein. Wie der Pinsel eben fluppt oder die Einfälle kommen. Manchmal läuft es gar nicht. Dann höre ich einfach auf und mache eine Pause. Filmset-Design dagegen ist wuselige laute Team-Arbeit, man muss sehr gut kommunizieren, und ich arbeite unter einem nahezu exakten Ablaufplan. Am Ende kommt bei beidem immer etwas Konkretes und Sichtbares heraus. Das ist das Wunderschöne an meiner Arbeit: Ich sehe, was entsteht. Ich bin glücklich über die gute Balance beider Gestaltungsprozesse.
Wovon lassen Sie sich gerne inspirieren?
Ich gehe in Museen, setze mich auf eine Bank vor Bilder und warte, was passiert. Ich tigere durch Hotellobbys Ich beobachte Menschen. Zum Beispiel in Restaurants oder im Zug: In welcher Relation sind sie zueinander, was für Kleidung tragen, wie gestikulieren sie, welche Berufe mögen sie wohl haben... Ich schaue aus dem Fenster und lasse die Landschaft vorüberziehen. Oft hole ich meine Bücher und Bildbände raus. Analog und statisch festgehalten. Das ist toll! Wie wurde die Welt gesehen, was wurde illustriert, wie war die Sprache, was ist überholt, was zeitlos, was fand Anklang. Da ploppen bei mir sofort die Synapsen an. Ich muss auch unbedingt nichts machen können. Den Kopf leer und nicht reden. Schwimmen. Alleinsein. Dann kommt die Inspiration schon ganz von selbst.