28.07.2017 Claudia Haessy im Interview

Eine Fabrik für dumme Entscheidungen

Von Florian Blaschke
"Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ständig etwas bewegen wollen, denn dafür fehlt mir die Hoffnung, dass man etwas bewegen kann", sagt Claudia Haessy.
"Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ständig etwas bewegen wollen, denn dafür fehlt mir die Hoffnung, dass man etwas bewegen kann", sagt Claudia Haessy. Fotoquelle: privat

Eine "Fabrik für dumme Entscheidungen" nennt sich Claudia, doch das Wichtigste in ihrem Leben passiert, ohne dass sie es beschließt: Sie wird schwanger. Von einem Mann, den sie kaum kennt. Obwohl sie Kinder überhaupt nicht leiden kann. Über dieses Ereignis und das, was danach passiert, hat Claudia Haessy ein urkomisches Buch geschrieben – und nicht zufällig tragen Autorin und Protagonistin denselben Vornamen.

prisma: Frau Haessy, wie geht es dem Kind?

Claudia Haessy: Emil, geht’s dir gut? (Aus dem Hintergrund: "Ja!") Er sagt ja, ich finde, als Einschätzung reicht das. Er lebt. Das ist ja schon mal eine Leistung, er ist jetzt viereinhalb, und ein Kind so lange am Leben zu erhalten und es daran zu hindern, sich umzubringen, darauf bin ich stolz. Alles andere ist sekundär.

prisma: Und er kann mindestens schon ein Wort sagen.

Haessy: Ja! Und er ist jetzt in dem Alter, rumzudiskutieren. Da kommen dann Sätze wie "Ihr kotzt mich so an" oder "Das weiß ich doch, nerv nicht!". Sachen, die man in einer unbedachten Sekunde mal von sich gegeben hat und die sich einfräsen in das Gedächtnis eines Kleinkindes.

prisma: Die Frage stelle ich natürlich nicht ohne Grund. Man sollte sich zwar hüten, in Romane zu viel Autobiografisches hineinzulesen, aber sie werfen dem Leser die Parallelen zwischen Protagonistin und sich geradezu vor die Füße, von biografischen Stationen bis zum Namen. Ist das Buch Roman oder Autobiografie?

Haessy: Offiziell ist es ein Roman, aber es gibt Situationen, die haargenau so passiert sind. Aber auch viele, die nie stattgefunden haben oder Personen, die nicht existieren. Eine scharfe Linie kann ich deshalb gar nicht ziehen. Ein Großteil ist erfunden und der Rest ist gelogen und irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit.

prisma: Eine Person aber gibt es auf jeden Fall: Ihren Sohn. Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, was er später zu dem Buch sagen wird?

Haessy: Das habe ich. Deshalb habe ich versucht, viele Sachen nicht zu negativ zu beschreiben. Ich hoffe, er sieht das genauso und hat meinen Humor geerbt. Und wenn er das Buch in der Pubertät liest, wird das ohnehin unser kleinstes Problem sein. Außerdem stehen in dem Buch nur Dinge, die ich ihm später genau so erzählen würde. Denn was die Denkweise der Protagonistin angeht: Da ist tatsächlich sehr viel von mir drin.

prisma: Das mit dem Humor in dem Buch ist ja so eine Sache. Es beginnt sehr witzig, auch sprachlich, hat aber immer wieder auch tieftraurige, ernste Passagen. Gab es einen Plan, was für ein Buch das werden sollte?

Haessy: Ich schreibe gerne Geschichten, die emotional sind und Emotionen wecken. Ob Lachen oder Traurigkeit ist nicht so wichtig, das liegt ja oft nah beieinander. Ich habe mir deshalb nicht überlegt, ein besonders witziges oder ernstes Buch zu schreiben, sondern ein ehrliches.

prisma: Nun wird das Kinderkriegen rauf und runter diskutiert, jeder hat eine Meinung dazu. Auf der anderen Seite gibt es da aber auch Tabus, körperliche beispielsweise wie Schmerzen oder postnatale Blähungen, aber auch psychologische, alles Unangenehme wird totgeschwiegen. Sie aber schreiben sehr offen darüber. Hat das Buch den Anspruch, hier etwas zu bewegen, aufzuklären?

Haessy: Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ständig etwas bewegen wollen, denn dafür fehlt mir die Hoffnung, dass man etwas bewegen kann. Aber ich finde es wichtig, ehrlich mit so etwas umzugehen. Es wird ja zum Beispiel immer noch angenommen, Frauen würden nie pupsen. Der Mann hier zu Hause leugnet auch, dass ich das tun würde, dass man das überhaupt so nennen könnte – bloß weil es bei Männern immer gleich so klingt, als würden sie die gesammelten Werke Rachmaninoffs zum Besten geben. Aber ich finde das wichtig. Nicht um etwas zu bewegen, sondern um Menschen, die auch das Gefühl haben, über diese Dinge nicht reden zu können, die Scham zu nehmen und ihnen zu sagen, dass sie nicht alleine sind. Das tut einfach gut, so etwas laut auszusprechen.

prisma: Auch bei der Protagonistin gibt es eine Szene, in der ihr die Möglichkeit fehlt, über Dinge zu reden. Ist dieses "Das tut gut" vielleicht auch eine Motivation für das Buch gewesen? Sich etwas von der Seele zu schreiben?

Haessy: Nein, wenn es um ein Ventil geht, habe ich mein Blog. Beim Buch ging es darum, ein Thema zu wählen, über das ich authentisch schreiben kann. Ich wollte ein Buch schreiben, in dem ich alle Emotionen wiedergeben und für diese Emotionen auch die passenden Worte finden kann.

prisma: Im Buch und auf Ihrem Blog diskutieren Sie ziemlich kontroverse Themen. Das Thema Stillen zum Beispiel, bei dem man als Frau offenbar nur alles falsch machen kann. Egal ob eine Frau stillt oder nicht, von irgendwem wird sie dafür angefeindet. Erleben Sie auch solche Reaktionen?

Haessy: Zum Glück nicht. Ich habe offensichtlich Leser, die sich in meinen Themen gut wiederfinden. Da bin ich sehr gesegnet. Ich habe aber schon häufiger Beiträge geschrieben, bei denen ich befürchtet habe, das genau das passiert.

prisma: Das klingt aber auch nicht so, als schrieben Sie darüber, um zu provozieren …

Haessy: Nein, um Gottes Willen! Man glaubt das vielleicht nicht, aber ich bin sehr harmoniebedürftig.

prisma: Die Protagonistin und Sie teilen sich nicht nur den Namen, sondern auch ihre Misanthropie und die Ablehnung dieses "Draußen", wo die Menschen sind. Auf der anderen Seite bloggen und twittern Sie und haben ein Buch geschrieben. Irgendwie geht man mit so etwas ja auch nach draußen. Sind diese Plattformen ein Ersatz für die echte Welt vor der Tür?

Haessy: Ersatz ist vielleicht das falsche Wort. Die Leute, die man draußen trifft, kann man sich ja selten aussuchen. Im Netz ist das anders. Und auf Twitter bin ich anfangs vor allem mit Menschen in Kontakt gekommen, die meine Sichtweisen und meinen Humor geteilt haben. Privat finde ich das bis heute sehr selten. Mir ist es zum Beispiel auch egal, ob wildfremde Leute mein Blog lesen. Aber wenn Kollegen, Freunde oder selbst Familienmitglieder das tun, ist das für mich stressig, dann empfinde ich das fast als unhöflich, als Angriff auf meine Privatsphäre (lacht).

prisma: Das könnte ja auch mit dem Buch passieren, beispielsweise, dass ehemalige Kommilitonen oder Mitschülerinnen das Buch lesen und denken, sie seien mit dem ein oder anderen nicht so charmant beschriebenen Charakter gemeint.

Haessy: Ja, klar. Ich weiß auch genau, welche Personen das sein könnten. Da kann ich aber nichts gegen machen – und zu denen habe ich in der Regel auch keinen Kontakt mehr. Sonst können die mich aber gerne anschreiben und ich erkläre ihnen, dass sie nicht gemeint sind. Mich treibt eher die Sorge um, wie bestimmte Familienmitglieder, auf das Buch reagieren.

prisma: Das heißt, es gab keine prophylaktischen Gespräche, etwa mit Ihrer Mutter?

Haessy: Meine Mutter ist tatsächlich bei dem Gedanken, dass andere das Buch vor ihr gelesen haben, ganz unruhig geworden. Aber ich glaube, ich konnte sie schon etwas beruhigen. Mit dem Rest der Familie habe ich tatsächlich keine Gespräche geführt. Aber es ist durchgesickert, dass es das Buch gibt. Das muss ich jetzt alles auf mich zukommen lassen.

prisma: Und mit dem Mann?

Haessy: Der Mann hat die erste Hälfte gelesen. Und der sagt, und das finde ich sehr interessant: "Das ist ja eh alles fiktiv, mir egal." Und da wollte ich nicht widersprechen.

prisma: Beim Lesen bekommt man das Gefühl, sowohl das Buch, sprachlich beispielsweise, als auch die Protagonistin, in ihrer Einstellung zur Welt, werden von Kapitel zu Kapitel reifer. Würden Sie dem zustimmen?

Haessy: Das kann gut sein, immerhin habe ich zwei Jahre für das Buch gebraucht. Und in der Zeit habe ich wahnsinnig viel gearbeitet, musste alles unter einen Hut kriegen und war selbst sehr vielen Prozessen unterworfen. Das spiegelt sich wohl auch in den Kapiteln wider.

prisma: Jetzt, wo es fertig ist: Würden Sie sagen, das Buch schreckt eher ab, Kinder zu kriegen oder ermutigt es sogar?

Haessy: Ich glaube, jede Frau hat eine einzigartige Meinung zu diesem Thema. Und so werden auch die Reaktionen auf das Buch einzigartig sein. Ich glaube nicht, dass ich alles so schlimm geschildert habe, dass Leute jetzt denken: "Oh, mein Gott! Eigentlich wollte ich ein Kind, aber jetzt nicht mehr!" Aber manchmal ist es ganz hilfreich zu sehen, dass nicht jede Frau, die schwanger wird, diese Zeit wie im Traum durchlebt. Ich kenne Mütter, die sagen, das war die tollste Zeit ihres Lebens, aber mir geht es um die anderen, von denen viele denken: "Mit mir stimmt was nicht. Warum hab ich das nicht genossen?" Und zu lesen, dass einem das nicht alleine so ging, kann sehr hilfreich sein.

prisma: Ist das Buch also auch ein Solidaritäts-Buch?

Haessy: Ja, durchaus. Ich hatte immer wieder Momente, in denen ich mich alleine gefühlt habe mit meinen Gedanken. Und ich hätte mich gefreut, eine Freundin zu haben, die das hätte nachvollziehen können. Ich wurde nicht verurteilt, aber es ist schwer, wenn man sonst nur von perfekten Müttern umgeben ist, die alles im Griff haben, alles genießen, die Mobiles basteln aus Klopapierrollen und perfekt eingerichtete Kinderzimmer haben wie auf Instagram. Und du stehst daneben und fühlst dich wie der totale Loser. Ich hätte es schön gefunden, jemanden mit ähnlichen Emotionen zu haben.

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