Auch nach 2000 Jahren fasziniert der Mythos des römischen Sieges über die Germanen die Menschen. In Haltern beleuchtet ihn jetzt eine groß angelegte Ausstellung.
Im Mai 17 n. Chr. feiert Germanicus in Rom seinen Sieg über Arminius und die Germanen. Doch war es überhaupt ein Sieg – oder nur ein "Triumph ohne Sieg"? Wir haben mit Dr. Rudolf Aßkamp, Leiter des LWL-Römermuseums Haltern, darüber gesprochen.
Herr Aßkamp, die Varus-Schlacht ist ein historischer Mythos. Warum fasziniert sie uns bis heute so sehr?
Im Herbst des Jahres 9 n. Chr. wurden drei römische Legionen von den eigenen Hilfstruppen unter Führung des Cheruskers Arminius beinahe ausgelöscht: eine der schlimmsten Niederlagen für das römische Reich. Es sind ganz viele unbeantwortete Fragen mit ihr verbunden: Wie konnte die beste Armee der Welt von Barbaren geschlagen werden? Wer war Arminius und wo fand diese Schlacht überhaupt statt?
Kürzlich tauchte der Hinweis der Leiterin des Römermuseums Kalkriese auf, dass diese Schlacht vielleicht doch woanders stattgefunden hat ...
Heidrun Derks hat lediglich einen anderen Vorschlag für das Geschehen angedeutet, das sich im Bereich von Kalkriese im Boden abbildet. Die Ansicht, dass wir es dort mit den Überresten der Kämpfe an den Pontes longi des Jahres 15 n. Chr. zu tun haben, ist nicht neu. Die Landschaft, die Funde und neuerdings auch archäologische Befunde lassen diese Deutung zu: Hier kämpfte der Germanicus mit seinen Truppen. Trotzdem habe ich keinen anderen Vorschlag für den Ort der Varusschlacht. Es dürfte noch eine Menge unentdeckte Fundplätze aus jener Zeit in Nordwestdeutschland geben.
Sie kümmern sich auch um die Frage, inwiefern Fake-News eine Rolle gespielt haben. Haben sie das?
Das Umdeuten von Verlusten oder von nicht gewonnenen Kriegen und Schlachten in Siege ist keine moderne Erfindung. Bestes Beispiel ist der Triumph des Germanicus in Rom. Kaiser Tiberius hatte ihn eigentlich abberufen, weil er zu viele Verluste produziert hatte – es wurde zu teuer für Rom, acht Legionen zu unterhalten, ohne Aussicht, dass aus den Gebieten jemals eine römische Provinz werden könnte. Durch den Triumphzug und die Siegespropaganda wurde diese Niederlage in einen Sieg umgedeutet. Und die Jubelfeier sollte sicher darüber hinwegtäuschen, wie wenig erreicht worden war.
Hat man in Germanien wahrgenommen, was in Rom passiert ist?
Da mit dem Abzug der Römer auch das Nachrichtenwesen unterbrochen war, wird man eher mit Verspätung, wenn überhaupt, davon gehört haben. Natürlich gab es romfreundliche Parteien mit besseren Kontakten dahin, und dem Arminius wird die Vorführung seiner Frau Thusnelda und seines Sohnes Thumelicus im Triumphzug sicherlich zu Ohren gekommen sein. Schließlich gab es auch weiterhin den Austausch von Handelsgütern über den Rhein und so sind auch Nachrichten in das innere Germanien gelangt.
Welche Mittel hatten Germanicus und andere Politiker damals für Propaganda?
Es ist ja nicht so gewesen, dass – selbst nicht in Rom – jedermann lesen und schreiben konnte – eher im Gegenteil. In Rom gab es die "Acta urbis", regelmäßige Veröffentlichungen amtlicher Nachrichten, aber keine "Zeitung" im modernen Sinne. Bekannt sind auch Graffiti, in Häuserwänden eingeritzt, mit denen etwa in Pompeji Wahlwerbung gemacht wurde und Geschäfte Reklame machten. Für die Verbreitung von Informationen und Propaganda im riesigen römischen Reich wurden auch die Münzen genutzt.
Und welche Form der Geschichtsschreibung hat in Germanien stattgefunden?
Es gibt keine zeitgenössische germanische Schilderung, es existieren nur griechische und römische Berichte. Die Germanen kannten keine Schrift und haben uns nichts Schriftliches hinterlassen. Die antiken Schriftquellen können heute vor allem durch die Archäologie überprüft werden.
Florian Blaschke führte das Interview.