27.10.2025 Im Interview

Michael Patrick Kelly über sein neues Album "Traces": "Mein Antrieb? Das Beste geben"

Am 31. Oktober veröffentlicht Michael Patrick Kelly sein neues, mit Spannung erwartetes Album „Traces“. prisma hat mit dem Sänger darüber und über die geplante Tour gesprochen.

prisma: Wie ist es für Dich, wenn ein neues Album erscheint? Sitzt Du da vorher buchstäblich wie auf heißen Kohlen, weil Du es endlich veröffentlichen willst?

Michael Patrick Kelly: Musik zu schreiben und zu produzieren ist eine Arbeit, die mich sehr erfüllt. Wenn ich ein Album fertig gestellt habe, bin ich erst mal erschöpft. Man gibt alles rein – Schweiß, Herzblut, Emotionen. Es ist sehr persönlich. Musik ist kein Zahlenwerk, sondern etwas Emotionales. Nach der Fertigstellung kommt oft der „Post-Recording-Blues“. Aber jetzt bin ich in der „Vorfreude-Phase“, weil das Album jetzt endlich erscheint. Die ersten Rückmeldungen zu den zwei Singles „The One“ und „Run Free“ sind unglaublich positiv. Es ist krass, was für Feedbacks ich bekomme – von Menschen aus Gaza, die schreiben, die Musik hilft ihnen, die schwierigen Zeiten durchzustehen, oder eine amerikanische Studentin sagte, dass sie bei dem grausamen Shooting in Utah dabei war, und dass der Song „Run Free“ ihr und ihren Freunden gerade sehr gut tut.

Am neuen Album hat mich besonders die Produktion beeindruckt. Du betonst, dass es „handmade“ ist. Damit grenzt Du Dich ja ein Stück weit ab von modernen Aufnahmetechniken wie Autotune und Co. Heißt „handmade“, dass Du es quasi fast analog aufgenommen hast, oder was kann man darunter verstehen?

Viele Popmusikproduktionen entstehen durch programmierte Drums, Bass und Synthesizer. Und selbst die Gitarren kommen oft einfach aus dem Computer. Wir hatten da einfach das Anliegen, handgemachte Musik zu bringen. Musik, die vom Herzen kommt. Man sagt ja auch passend, ein guter Song besteht aus drei Akkorden und der Wahrheit. Das ist auch mein Rezept. Ich versuche einfach, eingängige Melodien mit tiefgründigen Texten zu kombinieren, in der Hoffnung, dass es nicht nur mir guttut und mir gefällt, sondern auch für andere Menschen in ihrem Leben eine Bereicherung sein kann.

Also siehst Du Dich da nicht nur als reiner Entertainer, sondern möchtest tiefer mit Deiner Musik gehen? Was macht für Dich den Erfolg aus?

Es ist für mich wirklich ein Privileg, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Es gibt Menschen, die sagen: Hey, wir haben uns zu diesem Song von dir getraut. Und andere sagen: Wir haben unsere Mutter zu diesem Song von dir beerdigt. Oder man hört von Leuten, die sagen: Ich hatte eine Chemotherapie und deine Platte hat mir da wirklich geholfen, hat mich getröstet, hat mir Kraft gegeben. Das ist für mich der Erfolg. Klar, freue ich mich natürlich auch über Goldene Schallplatten oder eine gute Chartplatzierung. Halleluja, super! Aber der wirkliche Erfolg sind diese Feedbacks, bei denen ich merke, es ist mehr als der gemessene Verkaufserfolg. Kürzlich habe ich in Leipzig einen Award bekommen, und Gregor Gysi hielt eine tolle Laudatio. Vor dem Auftritt sprach ich da mit den Fans, und eine Frau fing an zu weinen, umarmte mich und sagte: „Ohne deine Musik gäbe es mich nicht mehr.“ Solche Momente zeigen, dass sich der ganze Showbusiness-Zirkus doch lohnt, auch wenn er nicht immer „meine Tasse Tee“ ist.

Hattest Du nach dem letzten Album „B.O.A.T.S.“, das Dich ja in neue Sphären katapultiert hat Druck, dass dieses Album auch ein Erfolg werden muss?

Mein Ansporn ist, für die Menschen durch die Kunst mein Bestes zu geben. Erfolg gibt nicht systematisch Recht – das sieht man Zum Beispiel auch in der Politik. Musik ist Geschmackssache, aber ich habe das Gefühl, dass meine Musik mit den Menschen und der Zeit resoniert. Vielleicht ist sie ein „Safe Space“ für viele, die Harmonie, Stabilität oder Frieden suchen. Musik kann solche Gefühle vermitteln. Ich bin voller Freude, aber Druck? Eher eine Spannung, ob das, was mich selbst berührt, andere genauso erreicht. Die bisherigen Rückmeldungen zu den Singles sind super, also bin ich gespannt, wie das ganze Album ankommt.

Du gehst 2026 auf Tour, die Dich durch Deutschlands große Hallen führt. Was können die Fans da erwarten?

Konzerte sind für mich ein Lebenselixier. Ich bin extrem dankbar, diese Shows spielen zu können. Einige Konzerte sind schon ausverkauft. Das ist nicht selbstverständlich, bei dem riesigen Angebot an Veranstaltungen, das es gibt. Ich spiele zweieinhalb bis drei Stunden, mit allen Radio-Hits und einem Großteil der Songs von Traces. Ich habe eine internationale Band dabei, also mein Drummer ist Amerikaner, der hat früher für Katy Perry und Lenny Kravitz gespielt. Und mein Gitarrist aus Ecuador, der war auch mit Sting oder Sam Smith auf Tour. Dazu kommt eine Irin, ein Österreicher, ein Brite; also wir sind eine feurige Mischung. (lacht). Bei allen Konzerten gibt es dann in der Mitte der Show eine Schweigeminute für den Frieden und die wird von der Peace Bell eingeläutet. Diese Friedensglocke wurde aus Kriegsschrott gegossen und wiegt über eine Tonne. Die kommt dann langsam von der Decke herunter, und dann wird die Minute eingeläutet. Das ist ein ganz besonderer Moment, wenn tausende Menschen auf einem Pop-Rock Konzert plötzlich gemeinsam still sind, und man sieht, wie einige die Augen schließen, sich umarmen oder hier und da auch Tränen fließen. Da liegt so eine Kraft in der Luft, das ist unbeschreiblich.

Dazu passt auch der letzte Song auf Deinem neuen Album „Symphony of Peace“, auf dem der Tenor Jonas Kaufmann zu hören ist. Wie kam das zustande?

Ich wollte eine Friedenshymne schreiben, was gar nicht so einfach ist, ohne dabei ins Kitschige zu kippen. Rock und Klassik zu kombinieren, das war mein erster Wunsch. So kam dann die Connection zu Jonas Kaufmann zustande. Wir haben einen gemeinsamen Bekannten, und den habe ich gefragt, sag mal, kannst du dir vorstellen, dass Jonas Kaufmann bei einem Friedenssong von mir mitmachen würde? Er sagte, das macht er bestimmt. Und dann habe ich Jonas kontaktiert und er war sofort dabei. Das war wirklich mega, weil er in seinem Metier ein absoluter Weltstar ist. Und er hat eine Wahnsinnsperformance hingelegt. Dann gibt es in dem Song noch ein Rockgitarrensolo, was ich wirklich liebe. Dieses Lied ist richtig lang. Wer macht schon einen Song mit fünfeinhalb Minuten Länge heutzutage? Aber bei so einem Thema darf man sich auch mal Zeit nehmen. Viele Menschen sehnen sich aktuell nach Frieden. Und damit meine ich nicht nur den politischen oder gesellschaftlichen Frieden, sondern auch den inneren Frieden, diesen persönlichen Frieden. Und vielleicht kann dieses Lied ein klein bisschen helfen. Der wird auf der Tour direkt nach der Schweigemute gespielt.

Ich persönlich bin ja immer noch ein Album-Typ und wenn ich mir das neue Album anhöre, gehe ich einfach davon aus, dass das bei Dir nicht anders ist. Ist das richtig interpretiert?

Absolut. Für mich ist ein Album ein „Body of Work“. Und ich bin froh, dass es noch Albumgenießer wie Dich gibt. Und damit meine ich nicht nur Leute, die Vinyl- und Hi-Fi Freaks sind, sondern Leute so wie Du oder ich. Bringen Künstler wie Coldplay, Ed Sheeran, Justin Bieber oder so neue Alben heraus, höre ich mir die komplett durch. Ich bin einfach nach wie vor ein Fan dieses Konzepts „Album“. Auch wenn ein Großteil der Musik-Industrie sagt, was machst du da? Bringt doch nichts, Alben sind out. Das letzte Album ist Gold und Platin gegangen, es scheint also doch noch Leute zu interessieren. Sollte ich irgendwann der letzte Mohikaner dieses Albumformats sein, dann werde ich trotzdem dafür kämpfen, weil ich finde, ein Künstler, der alle zwei, drei, vier, fünf Jahre ein Album rausbringt, der kann sich nur in dieser Menge von Songs komplett ausdrücken. Sonst ist es irgendwie ein bisschen diese Single-driven-Release Strategie. Die kann ich auch nachvollziehen, gleichzeitig sehe ich meinen musikalischen Werdegang aber als etwas Langfristiges. Da passen Alben einfach besser.

Für das Artwork von „Traces“ bist Du sogar extra nach Namibia geflogen.

Ja, für mich ist ein Album ein audiovisueller Kosmos, den man schafft. Ich wollte das Cover in Namibia schießen und das erste Video. Weil die Namib Wüste die älteste Wüste der Welt ist, und der Lehmboden dort, die skelettartigen Bäume sind selbst atemberaubende Spuren der Vergangenheit. Das ist die Bilderwelt zu „Traces“. Ich muss an der Stelle auch meinem Label danken, weil die das alles mitmachen, und meine künstlerischen Entscheidungen mittragen. Viele machen das Artwork heute nur noch per KI. Ich bin da altmodisch und brauche das echte Erlebnis.

Wenn man sich Deinen Werdegang so anschaut, war das kein gerader Weg. Du hast Dir auch Auszeiten genommen. Wenn Du dann Deinen riesigen Erfolg spätestens seit „B.O.A.T.S.“ siehst, wie bewertest Du das in der Rückschau?

Ich mache mein persönliches Glück nicht abhängig von öffentlichem Erfolg. Ich habe damals mein persönliches Glück in der Klosterzeit ganz woanders gesucht. Und das habe ich mitgenommen. Natürlich freue ich mich extrem über die aktuelle Lage, dass meine Musik in den Herzen der Menschen resoniert, und auch im Radio gespielt wird, oder in TV Sendungen stattfindet. Das ist alles nicht selbstverständlich und dafür bin ich extrem dankbar. Aber gleichzeitig weiß ich, dass mein Glück nicht vom Erfolg abhängt. Es ist auch nicht gut für das Selbstwertgefühl, wenn du dich immer davon abhängig machst, was andere denken oder sagen.

Musst Du Dich da manchmal kneifen?

Ja, es ist wirklich so. Dass man ein Leben mit so vielen Extremen durchwandern darf, und die Menschen einen immer wieder neu annehmen, Zuspruch und Liebe geben, das ist ein Geschenk. Man könnte mein Leben ja inzwischen in drei Kapitel aufteilen: Es gab die ersten 27 Jahre in der singenden Familie. Dann gibt es das zweite Kapitel, die sechs Jahre in Stille, zurückgezogen im Kloster. Eine für mich wertvolle Zeit, in der ich mich wie einen Computer mit zu vielen Viren und Bugs resetten musste. Und dann kommt da die Zeit als Soloartist. Im Privatleben bin ich extrem dankbar dafür, meine Frau getroffen zu haben. Das fühlt sich momentan schon wie die beste Zeit meines Lebens an. Aber hey, ich habe auch Tage, an denen ich down oder gestresst bin. Viele Leute sehen nur den Erfolg, aber nicht die die ganze Arbeit, die dahintersteckt.

Die kommt ja mit dem Touren auch auf Dich zu im nächsten Jahr.

Ich bin dann 100 bis 150 Tage im Jahr unterwegs, auf Achse und das ist auch anstrengend. Und ich bin ja keine 25 mehr, wo der Körper alles mitmacht und wo Du mit ein paar Stunden Schlaf die Nacht automatisch voller Superkräfte bist, jeden Tag in einer neuen Stadt ready to Party (lacht). Ja, ab 40 meldet sich der Rücken, dann brauchst Du plötzlich einen Osteopathen, hast auf einmal Haare in der Nase, so Sachen (lacht). Aber da muss man irgendwie durch. Ich mag real life.

Der Titel des neuen Albums lautet „Traces“. Dahinter verbirgt sich ja eine interessante Geschichte. Vielleicht kannst Du kurz erzählen, worum es da geht.

An dem Tag, als mein Vater starb, hatte er ein T-Shirt an, auf dem ein Spruch stand: „Viele Menschen treten in dein Leben ein, aber nur wenige hinterlassen Spuren“. Auf Englisch heißt Spuren „Traces“. Das ist der Ursprung dieses Albumtitels. Als mein Vater von uns ging, habe ich mir selbst solche Fragen gestellt: Welche Spuren haben Menschen in meinem Leben hinterlassen? Angefangen mit den Eltern. Welche Spuren möchte ich im Leben anderer hinterlassen? Deswegen gibt es auf diesem Album diesen Song für meinem Vater. Ich bin sehr dankbar, dass meine Geschwister spontan zugesagt haben im Chor mitzusingen.

Ein sehr schönes, bewegendes Lied.

Ja, und es ist das erste Mal seit über 20 Jahren, dass so viele Kelly-Geschwister auf einem Song zu hören sind. Das war wirklich schön, weil es hier nicht um Business oder irgendeinen Marketing-Coup geht. Es geht wirklich um unseren Vater. Um ein musikalisches Denkmal für ihn. Denn mein Vater war auch eine Person, über die in der Öffentlichkeit nicht nur positiv berichtet wurde. Natürlich war er kein perfekter Mensch, niemand ist perfekt. Aber man muss sich vorstellen, unsere Mutter stirbt plötzlich, und er ist mit neun Kindern allein. Er muss als Vater da durchkommen, ohne großes Geld. Er hat für unser Wohlergehen hart kämpfen müssen. Es ging mir einfach darum, ihm mit diesem Song zu danken.

Er hat Dir das musikalische Grundzeug mitgegeben. Ich meine, diese Musik liegt Dir durch ihn im Blut.

Es war wirklich so. Meine Eltern hatten diesen Traum, die Welt als singende Familie zu bereisen und mit dem Musikmachen Menschen Freude und Hoffnung zu geben. Das haben sie gelebt, auch wenn jedes Ideal einen Preis hat. Das mit den Reisen und mit dem Homeschooling war nicht immer einfach. Aber es ist wirklich sehr originär, was sie da geschaffen haben. Das war keine gecastete Band, die sich irgendeine Plattenfirma ausgedacht hat. Kein Konzept, von wegen „Wir machen jetzt eine TV-Serie“ wie die Partridge Family oder so was. Nein, das ist wirklich alles so gewesen wie es rübergekommen ist. Wir haben wirklich in einem Doppeldeckerbus gelebt oder auf einem Hausboot und die Songs selbst geschrieben und hatten alle lange Haare (lacht). Ich meine, wenn Leute wie Brian May von Queen oder Eric Clapton, also Weltstars, uns respektiert haben, oder wir von Luciano Pavarotti zu „Pavarotti and Friends“ eingeladen wurden, dann war das nicht nur ein Teenie-Phänomen.

Zurück zum neuen Album: Auch der Titelsong „Traces“ geht textlich sehr tief.

Es gibt manchmal Situationen, da bist du an einem Ort, wo du früher mit jemandem warst, der nicht mehr da ist. Da hat man manchmal das Gefühl – so, als wäre diese Person unsichtbar und doch gegenwärtig. Oder du gehst an jemandem vorbei, und die Person trägt ein Parfum, das du noch kennst oder du hörst einen Song, den du mit einer Person verbindest. Das sind so Traces-Momente, wo man sich fragt…

Gibt es nicht doch mehr als das, was man sehen kann?

Genau, das ist dann eine unsichtbare Ebene neben der sichtbaren Realität. Ich habe vor Kurzem gelesen, dass unsere Augen und unsere Ohren nur zwei Prozent von dem, was es zu sehen und zu hören gäbe, mitbekommen. Wir können anhand von Messgeräten viel mehr Frequenzen bemessen als unsere Sinne wahrnehmen. In der physischen Welt gibt es auf jeden Fall noch viel mehr, als wir wahrnehmen können. „Traces“ ist ein bisschen diese Reflexion: Du bist weg, aber vielleicht bist du doch da. Alles sehr philosophisch (lacht).

Ich finde diese Gedanken ganz wunderbar. Das Motiv dieser Spuren ist etwas, womit sich die Hörer tiefergehend beschäftigen können. Das gefällt mir wirklich sehr, sehr gut.

Schön, das freut mich. Ein anderer Song geht über zwei Brüder aus Portugal, die einen Ironman gemeinsam gemacht haben, einer im Rollstuhl. Die Blicke zwischen ihnen zeigen, dass der im Rollstuhl den anderen moralisch trägt. Ein weiterer Song namens „K.H.A.“ (Keep Hope Alive) erzählt von einem Highway Patrol Officer, der in seiner 15-jährigen Dienstzeit mehr als 200 Menschen auf der Golden Gate Bridge davon abgehalten hat, von der Brücke zu springen. Solche Geschichten hört man zu selten in den Nachrichten. Die Berichterstattung in den Nachrichten ist sehr einseitig, hauptsächlich negativ. Aber es gibt viele gute Nachrichten und viele gute Menschen. Und über diese Geschichten schreibe ich Songs.

Für die Du natürlich auch recherchieren musst.

Ich bin da sicher geprägt worden von Künstlern wie Bruce Springsteen und Bob Dylan, die aus Begegnungen mit Vietnam-Veteranen und der politischen Situation in den USA Songs wie Born in the USA“ oder „Hurricane“ geschrieben haben. Das ist so ein wenig diese Songwriter-Schule, in der ich mich so auf meiner kleinen Flamme befinde (lacht). Ich interessiere mich wie ein Journalist für Menschen und ihre Lebensgeschichten und ziehe daraus dann die Inspiration.

Die ziehst Du aber auch aus eigenen Erfahrungen. Du warst mit Mitte 20 damals in Indien in einem Hospiz, richtig?

Ja, mit Mitte 20 lebte ich auf Schloss Gymnich, dem ehemaligen Staatsgästehaus der Bundesrepublik, mit Bodyguards, Hausangestellten und einem Privatkoch. Das war der Peak meiner damaligen Karriere, aber innerlich war ich nicht glücklich. Ich suchte nach etwas anderem und bin dann ins andere Extrem gekommen. Ich bin nach Kalkutta geflogen, wo eine halbe Million Menschen auf der Straße wohnen, so richtig in Armut und Elend. Da habe ich als Volunteer über mehrere Wochen in einem Hospiz gearbeitet. Das hat mein Herz verändert, und diese Erfahrung hat tiefe Spuren hinterlassen, die ich auch in einem Song auf dem neuen Album verarbeitet habe, der „Calcutta Angel“ heißt.

Worum genau geht es darin?

Es gab eine Situation damals, da war ein großer Saal, der mit Liegen gefüllt war. Auf denen lagen Männer, die waren nur Haut und Knochen. Die meisten von ihnen starben nach wenigen Stunden oder Tagen, manche bekamen noch die Kurve durch Medikamente, Essen und Hygiene. Als Volunteer musste ich diese Menschen waschen, sie tragen und pflegen. An jenem Tag wurde ich gebeten, etwas zu singen. Da habe ich die Gitarre ausgepackt und angefangen zu singen. Auf einmal wurden diese halbtoten Menschen lebendig, einige richteten sich auf, saßen, standen teilweise, sie fingen an zu lächeln, manche lachten und fingen an zu klatschen. Und irgendwann wollte einer von ihnen meine Gitarre und sang dann Bob-Marley-Songs. An diesem Ort des Todes wurde das Leben auf einmal durch die Musik wieder präsent. Nebenan gab es einen Saal, in dem die Frauen lagen. Die haben das dann mitbekommen, und dann gab es ein Riesengeschrei, sodass ich rüber gegangen bin, um dort zu singen. Für einige war es wohl das letzte Mal, dass sie befreit lachen konnten. Das sind diese Erfahrungen, die zeigen, welche Kraft Musik hat.

Und das weltweit.

Wenn man eine schöne Melodie hört, dann ist es egal, in welchem Land du bist. Das bewegt jeden irgendwo. Diese Menschen in Kalkutta haben, ohne die Worte zu verstehen, die Liebe gespürt. Musik verbindet auf so eine besondere Art. Bei meinen Konzerten erlebe ich das auch sehr deutlich, dass es für ein paar Stunden nicht mehr darum geht, wer welche Meinung hat, welche Partei wählt, an was man glaubt, sondern es entsteht durch die Musik ein positives Wir-Erlebnis. Das hat Power. Ich freue mich daher ganz besonders auf die Traces Tour, die in wenigen Monaten beginnt.

„Traces“
Gänsehaut-Hymnen, Power-Balladen, traumhafter FolkPop: „Traces“ ist Michael Patrick Kellys nächster großer Wurf.

Fotoquelle: Marvin Stroeter