17.04.2023 „Mordach“-Ermittlerin

Gesine Cukrowski im Interview: „Das macht einen guten Krimi aus“

Von Felix Förster
Gesine Cukrowski (rechts) spielt in „Mordach“ an der Seite von Mehmet Kurtuluş und Sarah Bauerett.
Gesine Cukrowski (rechts) spielt in „Mordach“ an der Seite von Mehmet Kurtuluş und Sarah Bauerett. Fotoquelle: ARD Degeto/UFA Fiction/Roland Suso Richter

Der Krimi „Mordach“ beschäftigt sich mit einem verdeckten Ermittler, der in der bayrischen Bergwelt des Mordes verdächtigt wird. Gesine Cukrowski spielt die Vorgesetzte des BKA-Beamten, die sich mit der ansässigen jungen Polizistin auseinandersetzen und ihrem Ermittler beistehen muss. prisma sprach mit der Schauspielerin über den ZDF-Zweiteiler und ihr Engagement für ein besseres Rollenbild älterer Frauen.

Mordach ist ein eher ungewöhnlicher Krimi-Zweiteiler, der sich für die erzählte Geschichte viel Zeit lässt. Wie sind Sie mit dem Projekt in Berührung gekommen?

Gesine Cukrowski: Mit Roland Suso Richter, dem Regisseur von „Mordach“, habe ich schon viele, schöne Filme drehen dürfen, und er hat bei diesem Projekt an mich gedacht. Das hat mich sehr gefreut.

Der Zuschauer bleibt lange im Unklaren und weiß nie so genau, was sich hinter den Figuren und ihrem Verhalten verbirgt, es gibt ungeahnte Wendungen. Was macht für Sie den Reiz von „Mordach“ aus?

Gesine Cukrowski: Mir ging es wie den Zuschauern, als ich das Drehbuch gelesen habe. Ich wusste auch bis zum Ende nicht, wer es war, und was passiert ist. Das macht ja einen guten Krimi aus, dass es überraschende Wendungen gibt. Ich bin sehr froh, bei diesem spannenden Projekt mitgewirkt zu haben.

Ihre Figur, BKA-Einsatzleiterin Helene Brecht, ist passenderweise auch eine eher zwiespältige Person, die einerseits Loyalität zu ihrem Kollegen Cuma Ozan (Mehmet Kurtuluş) verspürt, aber auch eigene Interessen verfolgt. Wie ist Helene Brecht angelegt?

Gesine Cukrowski: Ich versuche immer, gegen eine Eindimensionalität bei Rollen anzuspielen, denn die Figur vielschichtig zu gestalten, ist ja gerade das Spannende. Bei Helene Brecht hatte ich viel Spaß daran, dass man nicht gleich wusste, was sie antreibt: Einerseits kämpft sie um ihren verdeckten Ermittler, weil sie aus persönlichen Gründen an ihm hängt, aber sie hat als seine Chefin beim BKA auch viel in ihn investiert, sodass ihr Verhalten natürlich durch ein eigenes, rein berufliches Interesse motiviert ist. Es war jahrelange Arbeit, ihn so aufzubauen, und sie sieht das natürlich auch als ihr Werk an, das er da gerade zerstört. Andererseits weiß man nicht so genau, ob sie eine eigene Agenda hat, die sie vertuschen will.

Das ist ja das Interessante an Ihrer Figur: Sie hat einerseits Macht, sieht aber in der jungen Polizistin Toni Brandner (Sarah Bauerett) auch ihre eigenen Anfänge.

Gesine Cukrowski: Ja, genau, und das ist ja auch das Schöne, dass sie das Talent der jungen Polizistin durchaus lernt anzuerkennen, ihre Arbeit am Anfang jedoch nicht ganz ernst nimmt. Diese Polizeiarbeit in einer Kleinstadt hat ja mit dem, was sie in ihrem Alltag beim BKA macht, wenig zu tun, deshalb belächelt sie das anfänglich auch. Sie hat mit ganz anderen Dingen zu tun, sieht eher das Große und Ganze. Doch es gibt eine Annäherung der beiden Figuren, denn Helene merkt, dass die junge Kollegin denselben Anspruch hat, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. Es ist egal, ob man in Frankfurt in den dortigen Milieus unterwegs ist, oder ob man auf dem Land irgendeinen schrecklichen Fall löst. Unter dem Strich kämpfen beide Frauen gegen Ungerechtigkeit.

Gut dargestellt ist in „Mordach“ die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Modellen der Polizeiarbeit: auf der einen Seite die „Dorfpolizistin“, auf der anderen Seite das BKA. Ich denke da an die Szene, in der Toni Brandner die unbekannte Handynummer einfach anruft und somit herausfindet, wem sie gehört, und die beiden BKA-Beamten völlig konsterniert sind. Sind es gerade solche Szenen, die Spaß machen?

Gesine Cukrowski: Ich mag es immer, wenn es Konflikte zu spielen gibt. Diese Szene zeigt auch das Spannungsfeld zwischen „alt“ und „jung“, was ich toll finde.

Welchen Einfluss hatten Sie auf die Rolle, vor allem im Zusammenspiel mit den Hauptdarstellern Sarah Bauerett und Mehmet Kurtulus?

Gesine Cukrowski: Das Buch ist die Vorlage. Roland Suso Richter sagt, dass 90 Prozent seiner Arbeit darin bestünde, zu besetzen, die richtigen Leute für die Rollen zu finden, zu gucken, was die Schauspieler machen, und sie dann zu führen. Letztlich ist es schon so, wenn die Chemie zwischen den Kollegen stimmt und man toll miteinander arbeitet, dass dann auch Sachen entstehen, die so vielleicht gar nicht im Buch stehen. Wobei ich es auch sehr schätze, gut geschriebene Bücher zu haben, bei denen man eigentlich nichts dazu tun muss. Aber manchmal entstehen Situationen, die den Film bereichern. Es ist einfach eine Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen.

Regisseur Roland Suso Richter kann auf eine lange, erfolgreiche Karriere zurückblicken, was können Sie zur seiner Art der Regieführung sagen, Sie haben ja schon in den Fernsehfilmen „Das Wunder von Berlin“ und „Die Spiegel-Affäre“ mit ihm zusammengearbeitet?

 Gesine Cukrowski: Diese Zusammenarbeit hat sich im Laufe der Jahre tatsächlich verändert, denn Roland ist dazu übergegangen, nicht mehr zu proben. Ich habe jetzt das erste Mal mit ihm gedreht, seit er nicht mehr probt. Das heißt, er hat zwei Kameras und alle bekommen ein wenig was mit auf den Weg, wie z.B. das Setting, wo die Szene stattfindet. In „Mordach“ gibt es eine große Szene mit vielen Schauspielern und Statisten. Das waren ursprünglich drei Szenen in einem Gebäude, die er zusammengelegt hat. Das ist sowieso schon eine Herausforderung und das hat Roland ohne Probe am Stück gedreht. Das war für alle sehr spannend und eine tolle Erfahrung. Durch die Aufregung entfernst du dich sofort von dieser Fernsehroutine, in die man schnell verfällt, wenn man viele Sachen schon 100-mal gedreht hat und gerne auf Nummer sicher geht. Roland entzieht einem diese Sicherheit, was sehr aufregend ist, denn es gibt da plötzlich diese Live-Situation, ähnlich wie beim Theater. Das macht den Dreh unglaublich spannend, und ich habe es bei „Mordach“ geliebt. Denn man muss da als Schauspielerin auch gut improvisieren können, denn sollte etwas nicht so richtig funktionieren, muss man die Situation retten.

Das merkt man der Szene an: Es sind mehrere Settings in einer Szene vereint, wodurch sie sehr lebendig wirkt.

Gesine Cukrowski: Rolands Kameraleute kennen das natürlich schon, sie sind das von ihm gewohnt. Doch auch für sie ist diese Art des Drehens sehr spannend, denn Roland achtet auch darauf, dass wir uns untereinander auch mit dem Team nicht absprechen, wie wir uns verhalten, damit alles spontan bleibt. Dadurch entstehen Momente, die man mit dieser jungfräulichen Spannung auch nicht wiederholen kann.

Auffällig war für mich die unterschwellig düstere Atmosphäre der Filme. Das lag auch an der Art der Aufnahmen: sehr viele Blau- und Grautöne, wenig andere Farben. Trotzdem waren die Dreharbeiten sehr locker, so wie ich das heraushöre?

Gesine Cukrowski: Natürlich, zudem hatten wir das Glück, in diesen unfassbar schönen Motiven drehen zu können. Wir haben es sehr genossen, in den Bergen zu sein. Wir fühlten uns dort alle sehr wohl.

Die Dreharbeiten fanden in Südtirol statt.

Gesine Cukrowski: Genau, ich kannte Südtirol vorher nur vom Durchfahren, war aber nie eine längere Zeit da. Ich war total glücklich, mich dort einmal umschauen zu können, das war richtig klasse. Die Filme liefen ja schon bei den Filmtagen Oberschwaben in Ravensburg und da konnte ich sie im Kino schauen und war wirklich beeindruckt von den Bildern. Das ist absolut kinotauglich.

Ein anderes Thema: Sie haben mit der Journalistin Silke Burmester und ihrer Internet-Plattform Palais-Fluxx die bemerkenswerte Initiative „Let‘s Change the Picture“ gestartet, die sich dafür einsetzt, dass Frauen ab 50 eine andere Art der Präsenz in Filmen und Drehbüchern bekommen. Woher kam der Impuls, da aktiv zu werden?

Gesine Cukrowski: Es ist wichtig zu betonen, dass es uns nicht darum geht, dass wir als einzelne Schauspielerinnen mehr Rollen bekommen. Uns geht es darum, dass ein zeitgemäßes Frauen-Altersbild in Film und Fernsehen gezeigt wird. Dass man nicht ab 60 nur noch als sorgende Omi im Fernsehen abgebildet wird. Wir leben heute in einer anderen Zeit, die Frauen bekommen heute meist erst mit Anfang/ Mitte 30 ihre Kinder. Es gibt natürlich auch Regionen, da ist das anders, da sind die Mütter Mitte 20, wenn sie Kinder bekommen. Aber so, wie im deutschen Fernsehen Mütter besetzt werden, müssen das alles Teenager-Schwangerschaften gewesen sein. Was wir im Fernsehen sehen, deckt sich nicht mit dem wahren Leben. Das wollen wir verändern und damit geht sehr viel einher. Die Großmütter-Rollen stecken auch in den immer gleichen Klischees fest: Entweder man ist die liebe Omi oder, wenn man eine beruflich erfolgreiche Frau ist, wird man als extrem unangenehm dargestellt. Karrieregeile, fiese, schrullige Frauen. Es wird einseitig erzählt, und das hat doch mit dem, wie Frauen heute über 50, 60 und 70 sind, überhaupt nichts zu tun.

Welche Erfahrungen haben Sie als etablierte, gut gebuchte Schauspielerin gemacht? Sind die Rollen sehr einseitig?

Gesine Cukrowski: Natürlich sind die Rollen für uns alle einseitig. Entweder du spielst die Mutti oder die kalte, machtbewusste Alte, dazwischen gibt es nicht viel. Es gibt zwar auch Ausnahmen, aber die Frauen werden nicht in ihrer Vielfalt abgebildet. Es gibt 21 Millionen Frauen, die über 47 Jahre alt sind. Das ist ein Viertel der Gesellschaft. Bildet sich das in Film und Fernsehen ab? Nein, überhaupt nicht. Man hat maximal eine ältere Frau, die mitspielt und das war’s. Und dann ist diese Figur sehr klischeehaft gezeichnet.

Gibt es da Untersuchungen?

Gesine Cukrowski: Ja, Studien belegen das. Das Institut für Medienforschung Rostock unter der Leitung von Prof. Dr. Elisabeth Prommer und Dr. Christine Linke hat sich dem Thema ausführlich gewidmet. Wenn man sich die Zahlen anschaut, ist das sehr frustrierend. Die reinen Zahlen, wie Frauen im Film vorkommen, belaufen sich auf etwa 30 zu 70, also kommen auf jede Frau etwa zwei Männer. Im Fernsehen hat sich das rein zahlenmäßig verbessert, aber es geht uns ja eben nicht nur darum, wie viele Frauen vorkommen, sondern wie sie vorkommen. Ab etwa 50 ist es so, dass Frauen im TV beispielsweise keinen Sex mehr haben. Wir nennen das „Frauen ohne Unterleib“. Das ist absurd.

Was versprechen Sie sich von Ihrer Kampagne?

Gesine Cukrowski: Unsere Kampagne möchte laut und deutlich auf das Problem aufmerksam machen, sodass es überhaupt wahrgenommen wird. Es gibt da diese eigene Fernsehrealität, und wir wollen, dass die Leute dies nicht einfach so abhaken nach dem Motto, das ist Fernsehen, das hat mit uns eh nichts zu tun. Vielmehr haben sie ein Recht darauf, ihre eigenen Geschichten aus ihrem eigenen Leben wiederfinden.

Gibt es denn auch Gegenbeispiele?

Gesine Cukrowski: Als Ausnahme schon, wie aktuell „ Faraway“ auf Netflix, ein schönes positives Beispiel, aber vor allem im Ausland. Das wird uns auch immer wieder gesagt, es gibt doch Serien wie „Big Little Lies“ und andere Produktionen. Aber das sind alles ausländische Projekte. Es gibt bei uns keine Drehbücher mit mehreren älteren Frauen. Es ist fast so, als gäbe es ein ungeschriebenes Fernsehgesetz, dass es nur eine Frau ab 50 geben darf. Warum ist das so? Schauen Sie sich doch die Kommissarinnen im TV an, das sind alles einsame Wölfe, die ganz alleine und meistens unglücklich sind. Meist haben sie dann noch Handicaps oder sie sind komisch hochbegabt oder irgendwie schrullig. Ganz ehrlich, ich kenne in meinem Umfeld sehr wenige Frauen, die so einsam wie diese Fernsehfrauen sind. Eigentlich sind wir Frauen sehr häufig sehr kommunikative Menschen mit vielen Freundinnen (lacht).

Häufig befinden sich diese Frauenfiguren dann auch in sehr dysfunktionalen Beziehungen. Es wird ein Bild vermittelt, das nicht gesund ist.

Gesine Cukrowski: Genau, und das ist das, worauf wir aufmerksam machen wollen. Was wird uns da eigentlich immer gezeigt? Und erst wenn das Problem verbildlicht ist, realisieren die Menschen, dass wir immer hinterherhinken mit den Bildern, die wir sehen. Wie soll denn unsere Gesellschaft irgendwann gleichberechtigt werden, wenn sie ständig diesen Bildern ausgesetzt ist?

Was halten Sie denn von eher plakativen Aktionen wie dem „Weltfrauentag“? Geht das wirklich an die Wurzel?

Gesine Cukrowski: Der Weltfrauentag wird international begangen, auch wenn es irgendwie traurig ist, dass es solch einen Tag überhaupt geben muss. Aber weltweit gibt es für Frauen natürlich noch ganz andere Ungerechtigkeiten und entsetzliche Unterdrückung, wenn ich etwa an die Frauen in Iran denke. Und dafür ist dieser Tag sinnvoll, um dort noch einmal den Scheinwerfer hinzuhalten. Es muss aber unser Ziel sein, dass wir den nicht mehr brauchen.

Es ist bekannt, dass gerade die öffentlich-rechtlichen Sender vermehrt auf die Jugend setzen möchten, sehen Sie da einen Konflikt im Hinblick auf Ihr Anliegen aufkommen?

Gesine Cukrowski: Nein, ganz im Gegenteil. Die jungen Leute sehen gerne ältere Frauen, sie sehen nur nicht gerne dämliche, ältere Frauen. Sie wollen gerne interessante Frauen sehen. Nehmen Sie doch das Beispiel des großen Oscar-Gewinners „Everything Everywhere All at Once“ mit Michelle Yeoh und Jamie Lee Curtis. Da sieht man doch, dass die jungen Leute diesen Film mit diesen Frauen lieben, sie gehen da mehrfach rein. Ich erwarte jetzt nicht, dass es im deutschen Fernsehen solche Fantasy- und Sci-Fi-Filme gibt, aber man sieht daran, dass die jungen Leute durchaus gerne ältere Frauen sehen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, es gibt keinen Grund, dass man die Menschen in Altersfragen gegeneinander ausspielen muss. Das Ziel, junge Leute anzusprechen, ist ja völlig legitim. Aber die lassen sich doch auch nicht für dumm verkaufen. Die wollen insgesamt spannende Figuren.

Wie ist die Resonanz auf Ihre Kampagne bisher ausgefallen? Sind sie zufrieden damit?

Gesine Cukrowski: Zufrieden ist gar kein Wort dafür, wir sind wirklich überwältigt von den Reaktionen. Innerhalb weniger Tage wurde unser Reel über eine Millionen Mal angeschaut und weitergeleitet. Wir bekommen ständig Zuschauerbriefe, Mails und andere positive Reaktionen. Es ist wirklich überwältigend. Wir scheinen einen Nerv getroffen zu haben. Wir wollen bereichern, wir wollen etwas tun, damit genau hingeschaut wird und die alten Strukturen, die bestehen, hinterfragt werden. Thomas Schreiber von der ARD (Programmleiter im Bereich Fiktion & Unterhaltung beim NDR-Fernsehen sowie ARD- Unterhaltungskoordinator und Geschäftsführer der ARD-Tochter Degeto Film, Anm. der Redaktion) beispielsweise hat uns zugesagt, sich mit uns an einen runden Tisch zu setzen und sich das alles einmal genauer anzuschauen.

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