Die Antilopen Gang im Interview

"Man muss nicht scheiße aussehen, um linksradikal zu sein"

von Fionn Birr

Sie haben die 30 allesamt längst überschritten und sind inzwischen etablierte Rap-Stars – aber es gibt bei der Antilopen Gang noch immer eine starke "Neigung zur Grenzüberschreitung und Eskalation". Wo genau sie gerade stehen, erklären Danger Dan, Panik Panzer und Koljah im Interview.

"2013 begann ein zweites Leben / Das kann uns keiner nehm'n, es war so ein weiter Weg", rappt die Antilopen Gang auf "2013", der ersten Single ihres neuen Albums "Abbruch Abbruch". Fast sieben Jahre liegt der Selbstmord von Bandmitglied NMZS inzwischen zurück. 2014 machten die verbliebenen Antilopen Koljah (Kolja Podkowik), Danger Dan (Daniel Pongratz) und Panik Panzer (Tobias Pongratz) dann mit einem Plattenvertrag bei JKP, dem Label der Toten Hosen, ihr Hobby zum Beruf. Bis heute positioniert das Rap-Trio sich immer wieder zwischen den Stühlen. Nach ihrem ersten Nummer-eins-Album "Anarchie und Alltag" von 2017 gibt die Antilopen Gang sich auf "Abbruch Abbruch" nicht angepasst, sondern weiterhin angriffslustig. Ein Gespräch über Punk, Düsseldorf, Kiffer und liebeskranke Männer.

prisma: Auf ihrem neuen Album "Abbruch Abbruch" geht es unter anderem um Veränderungen und Neuanfänge. Wie haben Sie drei Silvester verbracht?

Koljah: Wie jedes Jahr, mit Raclette.

Panik Panzer: Ich habe auch ganz spießig und so normal gefeiert, wie es nur geht. Mit Raclette und Wachsgießen. Wachsgießen ist aber das Allerletzte. Ich bin stinksauer, dass man kein Blei mehr verwenden darf, denn beim Wachsgießen kommen immer nur so unförmige Kuhfladen heraus. Das ist gar nichts.

Danger Dan: Ich habe eine geile Story: Ich bin ungefähr um 18 Uhr in eine giftige Qualle geschwommen und habe mich enorm verätzt. Den Rest der Nacht war ich im Krankenhaus auf einer kleinen Insel in Thailand und wurde mit Antihistamin und Cortison behandelt. Ich las hinterher, dass man eher an den Schmerzen stirbt als an den Giften dieser Quallenart. Du bekommst einen Herzinfarkt, weil das so wehtut. Ich habe aber Gott sei Dank nur eine Narbe auf dem Rücken davongetragen.

prisma: Einer Ihrer neuen Songs, der gut zu diesem Thema passt, heißt "Keine Party". Da gibt es eine Passage, die lautet: "Ich besaß in meinem Leben noch nie seriöse Kleidung". Entdecken sie mit zunehmendem Alter eine Sehnsucht nach Bürgerlichkeit?

Panik Panzer: Ich muss diese Frage schweren Herzens bejahen. Das wächst zunehmend. Aber ich fühle mich im besetzten Haus oder in irgendwelchen Antifa-Kneipen immer noch genauso wohl wie in meinem mittlerweile recht ordentlichen Haushalt. Gleichzeitig gibt es aber auch immer noch eine Neigung zur Grenzüberschreitung und Eskalation. Das ist ein ganz schwieriger Kreislauf, in den ich mich da begeben habe.

Koljah: Ich muss auch mal an einem Mythos rütteln. Es wird oft gesagt, wir kämen aus dem Umfeld von Autonomen Zentren. Das mag vielleicht stimmen, weil wir da in den ersten Jahren unserer Bestehenszeit fast alle unsere Konzerte spielten, aber ich habe noch nie in so einem Haus gewohnt, und wenn ich in so einem Haus war, sehnte ich mich immer danach, schnell wieder zu Hause zu sein. Da ist es nämlich immer aufgeräumt (Gelächter).

Danger Dan: Ich bin da vermutlich dann der Bösewicht. Ich muss aber sagen, dass es viele aufgeräumte und saubere Autonome Zentren gibt. Ich habe selbst auch welche sauber gemacht und bei mir zu Hause mache ich jetzt eben nicht so oft sauber. Das sind aber auch Klischees. Es gibt Aufnahmen vom Schah-Besuch 1967, als deutsche Studierende in Anzug und Hemd sich mit den Schergen von Mohammad Reza Pahlavi anlegten. Es gab also eine Zeit, als Sponti-Politik auch gut gekleidet ging. Wir lernen: Man muss nicht scheiße aussehen, um linksradikal zu sein.

prisma: Die Antilopen Gang wird gerne als linke Vorzeigeband bezeichnet, wofür es aber auch häufig Kritik aus der linken Ecke hagelt. Inwiefern beschäftigen Sie diese Reaktionen?

Danger Dan: Es kommt ein bisschen darauf an, wer das macht. Es gab mal einen Artikel, in dem uns wegen des Liedes "Enkeltrick" vorgeworfen wurde, wir würden deutsche Großmütter verunglimpfen. Es scheint Linke zu geben, denen sehr viel an deutschen Omas liegt. Aber innerlinke Konflikte sind oft schwer zu begreifen. Es scheint Teil des Diskurses zu sein, dass linke Gruppen sich gegenseitig absprechen, links zu sein. Aus irgendeinem Grund sind wir Teil dieses Spiels geworden, das belustigt mich meistens – ich freue mich aber immer noch mehr, wenn uns Neonazis beschimpfen.

Koljah: Ich will gar kein Teil von irgendeiner Bewegung sein. Wer hat denn gesagt, dass die Antilopen Gang Teil von irgendeiner Bewegung ist und entsprechend davon ausgeschlossen werden kann? Ich wollte das noch nie. Da geht es aber auch gar nicht nur um Linke, das kann auch HipHop sein. Ich will mit den meisten nichts zu tun haben.

prisma: Sozialpolitik, Feminismus, Umweltschutz – klassische linke Themen werden in der Gesellschaft gerade breit diskutiert. Wie subversiv ist es überhaupt, heute noch links zu sein?

Danger Dan: Das sind ja alles keine "linken" Themen. Umweltschutz kommt in Deutschland traditionell aus dem Heimatschutz. Das ist ein rechtes Thema. Auch der Feminismus ist weit über irgendwelche linken Debatten hinaus ein großes Ding: Wenn ich überlege, wie feministische Ansätze für Werbestrategien vereinnahmt werden, komme ich zum Schluss, dass das kein linker Diskurs mehr ist.

Koljah: Auch wenn man jetzt über Umweltschutz redet, weiß ich nicht, wie subversiv das noch ist. Da demonstrieren Kinder mit ihren Eltern und Lehrern. Eine Subversion setzt aber voraus, dass man den Status Quo infrage stellt. In dem Moment, in dem diese Dinge gesamtgesellschaftlich akzeptiert und besprochen werden, hat das für mich nichts mehr mit Subversion zu tun.

prisma: Ist es nicht aber das Ziel einer Revolution, die Gesellschaft umzukrempeln?

Danger Dan: Das sind ja auch alles wichtige Themen, keine Frage. Ich finde auch, dass die Erfolge der feministischen Bewegung aus den letzten 60 Jahren in bestimmten Aspekten beachtlich sind. Gleichzeitig ist es aber auch interessant, wie der Markt sich dem Ganzen nun annimmt. Das ist zwar immer noch irgendwo progressiv, aber mittlerweile Teil einer neoliberalen Entwicklung.

prisma: Können Sie das ausführen?

Danger Dan: Ich habe am 8. März im letzten Jahr (Internationaler Frauentag, Anm. d. Red.) ein Werbeplakat von einem Lieferdienst gesehen, auf dem eine Frau am Telefon saß und so etwas sagte wie: "Schatz, die Küche bleibt heute kalt, ich habe zu tun hier in der Chefetage." Das ist durchaus eine feministische Kampagne, aber durch das Abbilden dieser Rollenklischees dermaßen rückwärtsgewandt, dass es schon wieder antifeministisch ist.

prisma: Danger Dan und Panik Panzer, Sie verbrachten Teile Ihrer Kindheit auf dem Land. Es gibt eine Pop-Theorie, die besagt, dass kulturschaffende Menschen, die vom Land in die Stadt ziehen, für urbane Subkulturen oft wichtigere Impulse setzen als Menschen aus der Stadt. Können Sie das bestätigen?

Danger Dan: Man verklärt das Bild der Stadt vom Land aus. Ich erinnere mich an eine Geschichte in einer Punker-WG, in der ich mal lebte. Da wohnte auch ein Punker, der vom Dorf kam. Dieser fuhr mit 15, 16 Jahren einmal zum Alexanderplatz nach Berlin und sah dort andere Punker. Er stellte sich ihnen vor in der Annahme, er würde freundlich und solidarisch begrüßt. Stattdessen haben sie ihm aber gesagt, er soll sich verpissen (lacht). Das hat ihn sehr enttäuscht. Die Subkultur im Dorf ist eben nicht Avantgarde, also sehnt man sich nach dem Ort, wo "was passiert" – die Stadt.

Koljah: Die ganzen Subkulturen, Punk in London oder HipHop in New York beispielsweise, sind ja oft großstädtische Phänomene. Viele Menschen aus dem Umland strömen dann in diese Ballungszentren. Von Düsseldorf, wo ich herkomme, weiß ich, dass im Ratinger Hof nicht nur Düsseldorfer waren. Der Ratinger Hof war eine Künstlerkneipe, die als Ursprung der deutschen Punkszene gilt und unter anderem die Toten Hosen und DAF hervorbrachte. Aber Teile von den Toten Hosen stammen auch aus dem Umland, Campino zum Beispiel wuchs in Mettmann auf.

prisma: Die Antilopen Gang hat auch auf anderer Ebene eine enge Beziehung zu Düsseldorf. Gründungsmitglied Jakob Wich, der sich als Rapper NMZS nannte, wurde dort geboren und nahm sich 2013 auch dort das Leben. Im Anschluss bekamen Sie sehr viel mediale Aufmerksamkeit und sogar einen Plattenvertrag mit JKP, dem Label der Toten Hosen. Ihre erste Single vom neuen Album, "2013", behandelt diesen Wendepunkt in Ihrer Bandgeschichte ...

Danger Dan: Es gab in anderen Songs immer wieder einzelne Zeilen darüber, die Verarbeitung dieser Ereignisse fand über die Jahre also beiläufig schon statt. Bei "Aversion", dem ersten Album nach Jakobs Tod, gab es kein Lied, in dem nicht mindestens eine Referenz oder eine Anspielung darauf enthalten war. Es wurde aber bisher nie so konkret verhandelt. Wir brauchten diese Jahre, um Abstand zu gewinnen und überhaupt so sachlich darüber sprechen zu können. Alles, was Jakobs Tod auslöste, hatte eine immense Tragweite, die uns damals noch gar nicht klar war. Für unsere Band gibt es zwei Zeitreichungen: vor 2013 und nach 2013.

Koljah: "2013" als erste Single zu nehmen, war eine bewusste Entscheidung, aber auch für uns recht ungewöhnlich. Als wir das Lied machten, stand es gar nicht zur Debatte, dass das eine gute Single sein könnte. Normalerweise wollen wir ja mit Pauken und Trompeten zurückkehren und auf den Putz hauen. So leise, ernste Töne sind das totale Gegenteil davon. Das gefiel uns aber, weil es ein wichtiger Song für uns ist.

prisma: Auf Ihrem Album gibt es auch den Song "Trenn dich" – ein Liebeslied, das einer Trennung etwas Positives abgewinnt. Gerade im Rap ist das eher untypisch.

Panik Panzer: Uns war wichtig, mal einen Gegenstandpunkt zu den üblichen Liebesliedern einzunehmen, die von Trennung handeln. Oft stammen Liebeslieder von verlassenen Männern, die wütend sind und ihrer Ex-Freundin hinterherschimpfen. Das finde ich als Konzept sehr unangenehm. Man kann das Ganze auch aus einer anderen Perspektive betrachten und darüber kamen wir auf die Idee, eine Trennung als etwas Gutes anzusehen. Da geht es auch gar nicht zwangsläufig um die eigene Erfahrung, sondern darum, dass es im Allgemeinen eine gute und wichtige Entwicklung ist, dass es diese Möglichkeit gibt. Es gab Zeiten und Gesellschaftsformen, in denen so etwas nicht denkbar war.

prisma: Auf dem Album befindet sich auch ein "Lied gegen Kiffer", das sich mit den negativen Aspekten von Drogenkonsum auseinandersetzt. Mangelt es nach wie vor an professioneller Drogenaufklärung?

Koljah: Nein, ich glaube nicht. Ich war immer immun gegen solche Sachen. Mein Vater sagte mir damals eigentlich sehr kluge Dinge und versuchte, Aufklärungsgespräche darüber zu führen, aber das erreichte mich gar nicht. Es ging uns bei dem Lied, ähnlich wie bei "Trenn dich", aber auch darum, das Ganze aus einer anderen Ecke zu beleuchten. Es gibt tonnenweise Lieder und sogar ein ganzes Rap-Subgenre, das sich ausschließlich der Glorifizierung von Gras widmet. Es gilt als quasi vorausgesetzt, dass Kiffer irgendwie cool sind. Das Lied ist unsere Gegenthese dazu.

Danger Dan: Es ist aber auch nicht unsere Aufgabe als Antilopen Gang, eine wertvolle Drogenpädagogik zu entwickeln. Wir freuen uns eher, wenn Kiffer sich aufregen.

prisma: Deshalb rappen Sie wohl auch: "Frag nie wieder, ob wir einen mit Dir rauchen wollen / Kiffer sind verhaltensgestört, wir haben die Schnauze voll". Es ist nicht das erste Mal in Ihrer Bandgeschichte, dass Sie auch das eigene Publikum angreifen. Macht Ihnen das Spaß?

Danger Dan: Unsere Kritik macht vor nichts und niemandem halt, auch nicht vor uns selbst. Wenn die Leute so dumm sind, unser Publikum zu sein, dann kann man sich mit denen ja auch mal kritisch auseinandersetzen und muss nicht alles bedingungslos gut finden.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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