"Der Überläufer"-Hauptdarsteller Niewöhner

"Mein Großvater hatte seine Hände im Krieg verloren"

von Eric Leimann

Das zweiteilige ARD-Werk "Der Überläufer" erzählt von einem Soldaten in den letzten Kriegstagen. In einem apokalyptischen Deutschland sucht er nach Orientierung. Jannis Niewöhner spielt die Titelfigur in der Romanverfilmung.

In der mit dem Grimmepreis ausgezeichnete Amazon-Technoserie "Beat" spielte er die Hauptrolle. Ebenso wie in "Narziss und Goldmund" (als "Goldmund", Kinostart 12. März 2020). Auch in einer anderen Leinwandaptation großer deutscher Literatur, Detlev Bucks Neuverfilmung von "Felix Krull", deren Dreharbeiten aktuell unterbrochen sind, gibt Jannis Niewöhner die Titelfigur. An seiner Schauspielkunst und Präsenz führte zuletzt kaum ein Weg vorbei. In der zweiteiligen TV-Bearbeitung des "verlorenen" Siegfried Lenz-Romans "Der Überläufer" (Mittwoch, 8. April, und Karfreitag, 10. April, jeweils 20.15 Uhr), schultert der gebürtige Krefelder die Titelfigur.

Das Gespräch mit Jannis Niewöhner fand vor Ausbruch der Corona-Krise statt. Dennoch scheint das Thema aktuell, denn die Spätphase des Zweiten Weltkriegs, in der "Der Überläufer" spielt, wird aktuell gerne als Maßstab der aktuellen Situation herangezogen. Nach dem Motto: "Die größte Katastrophe seit ... ". Im Interview spricht Niewöhner über verblassende Erinnerungen aus Krisenzeiten – und was man zum Erhalt der Lehren jener Zeit tun kann. Und dann geht es um Niewöhner selbst. Um das Hamsterrad des Erfolgs, welches ihn von Projekt zu Projekt hetzen ließ. Auch hier blitzen interessante Gedanken eines jungen Mannes auf, der am 30. März 28 Jahre alt wird.

prisma: Es gibt unzählige Antikriegs-Romane und Filme. Warum ist "Der Überläufer" etwas Besonderes?

Jannis Niewöhner: Historisch betrachtet ist der Stoff etwas Besonderes, weil der junge Siegfried Lenz den Roman 1951 veröffentlichen wollte, was aber damals nicht ging. Die Zeit war nicht reif für dieses Offene, Kompromisslose. Ich finde aber, die Radikalität dieser Geschichte bewegt noch heute. Es geht um eine Figur, die einerseits pflichtbewusst ist, andererseits aber nie das Gefühl für das verliert, was richtig und was falsch ist.

prisma: Was finden Sie daran radikal?

Niewöhner: Wir Menschen neigen dazu, uns selbst bei schwerwiegenden Erlebnissen Geschichten zu erzählen. Entweder, wir verdrängen das Schlimme komplett oder wir legen es uns in eine Richtung zurecht, um damit leben können. Mit der eigenen Schuld beispielsweise. Genau das kann meine Figur Walter nicht. Und das macht ihn – für mich – zu einem radikalen, spannenden Charakter.

prisma: Der Zweite Weltkrieg endete vor 75 Jahren. Sie sind 27 Jahre alt. Welchen Bezug haben Sie noch dazu?

Niewöhner: Mein Großvater war im Krieg. Ich habe ihn noch erlebt und erinnere mich an die ein oder andere Geschichte. Da ging es aber weniger um den Krieg als um seine Jugend zu Hause. Trotzdem war der Krieg in meiner Kindheit noch ein präsentes Thema. Mein Großvater hatte seine Hände im Krieg verloren. Auch in der Schule war der Zweite Weltkrieg sehr präsent. Ich finde, man muss immer wieder daran erinnern. Auch dadurch, dass man diese Zeit in Bezug zum Heute setzt. Filme sind dafür sicherlich ein sinnvoller Weg.

prisma: Sie sagen, der Zweite Weltkrieg, wahrscheinlich auch der Nationalsozialismus, waren in Ihrer Schulzeit ein präsentes Thema. Mittlerweile gibt es viele Stimmen, die davor warnen, das alles könnte wegen aussterbender Zeitzeugen in Vergessenheit geraten ...

Niewöhner: Es liegt in der Natur der Sache, dass geschichtliche Ereignisse, und seien sie noch so wichtig, mit jedem Jahrzehnt und jeder neuen Generation ein Stück verblassen. Ich hatte den Eindruck, dass sie in meiner Schulzeit noch sehr präsent waren. Es kann allerdings auch ein Trugschluss sein, weil ich eben noch diesen Opa hatte und man es in meiner Familie eben wichtig fand, dass Krieg und Nationalsozialismus nicht vergessen werden.

prisma: Was kann man tun, damit auch die Jungen von heute noch aus alter Geschichte lernen können?

Niewöhner: Man muss emotionale Anknüpfungspunkte schaffen. Was uns selbst betrifft, berührt uns stärker. Über diesen Ansatz sollte man heute politische Geschichten erzählen.

prisma: Wie schafft man das?

Niewöhner: Man muss unterhalten und dabei trotzdem experimentell sein. Experimentell insofern, als dass man neue Reize setzt. Dinge, die Aufmerksamkeit erregen, indem sie radikal sind. Es ist keineswegs so, dass junge Leute nur den Mainstream lieben. Die erkennen schon, wenn etwas neu und aufregend ist. Manchmal reicht es, ein bestimmtes Gefühl zu erschaffen. Geschichten müssen nicht unbedingt linear und klassisch erzählt werden.

prisma: Haben Sie ein Beispiel für etwas Radikales, das überraschend bei Jugendlichen Erfolg hatte?

Niewöhner: Zum Beispiel der Trend zum Dystopischen. Wer hätte gedacht, dass Geschichten, die in einer Art Endzeit spielen, zu einem der beliebtesten Trends der Geschichten für Jugendliche werden. Ich glaube, dass viele Fans in den Dystopien etwas Größeres suchen, als das, was sie in ihrem eigenen Leben kennen. Dieses Größere muss nicht unbedingt besser sein als die Gegenwart. Es reicht schon, dass es größer ist.

prisma: Haben viele Jugendliche den Wunsch, in einer völlig anderen Welt zu leben?

Niewöhner: Ja, ich glaube, das ist ein wichtiges Faszinosum, das junge Leute zu solchen Stoffen hintreibt. Viele junge Leute fühlen sich stark eingeschränkt. Auch dann, wenn es in der Realität gar nicht so ist. Sich in eine andere Welt hineinzuträumen, ist im jungen Alter auf jeden Fall ein großes Bedürfnis.

prisma: Kommen wir zu Ihnen. Derzeit scheint ein neues Großprojekt nach dem anderen mit Jannis Niewöhner zu starten. Haben Sie manchmal das Gefühl, zu viel zu drehen?

Niewöhner: Tatsächlich bin ich an einen Punkt gekommen, an dem ich mich entscheiden muss, welche künstlerisch durchaus interessanten Projekte ich trotzdem absage. Das ist ein Luxusproblem, dessen bin ich mir sehr bewusst. Trotzdem versuche ich gerade, mein Bauchgefühl zu schärfen, nach dem Motto: Was will ich wirklich machen? Diesen Luxus kann ich mir jetzt erlauben. Man muss sich das aber trotzdem erst mal trauen.

prisma: Was würde als Schauspieler dennoch reizen?

Niewöhner: Vieles. Auf internationale Projekte freu ich mich! Ich freue mich auf alles, was neu ist. Trotzdem ist nicht jedes internationale Projekt automatisch gut. Ich hatte in "Mute" von Duncan Jones mitgespielt, dem Sohn David Bowies – aber dieser Film ist, wie ich finde, zum Beispiel nicht so aufgegangen. Manchmal ist es schwer vorherzusagen, aus welchem interessant klingenden Projekt auch ein guter Film oder eine gute Serie wird. Selbst dann, wenn man viele Details vorher kennt.

prisma: Muss man sich rar machen, um nicht vor sich selbst und den Augen des Publikums zu verbrennen?

Niewöhner: Denzel Washington hat einmal in einem Interview gesagt, der Wert eines Schauspielers bemesse sich nicht durch seine Bekanntheit, sondern die Qualität seiner Arbeit. Dies muss man sich immer wieder bewusst machen. Man braucht es nicht unbedingt so machen wie Daniel Day-Lewis, der sich komplett aus der Welt zurückzieht und nur alle paar Jahre mit einem großen, genialen Wurf zurückkehrt. Andererseits darf man auch nicht an jeder Ecke verfügbar sein. Ich suche noch nach meinem eigenen Weg, das gebe ich zu.

prisma: Ist nicht Authentizität die beste Strategie, wie man als Künstler und Prominenter mit dem Leben umgehen sollte?

Niewöhner: Ja, absolut. Ich befinde mich gerade in einem Entscheidungsprozess. Mir ist klar, dass ich nicht so zurückgezogen leben möchte wie Daniel Day-Lewis (lacht). Es ist nicht einfach, sich der Welt zu verschließen, wenn man Bock auf viele Sachen hat und mit steigender Bekanntheit auch immer mehr Leute Ratschläge erteilen, was gut für einen wäre. Ich höre mir diese Ratschläge aufmerksam an, muss aber für mich selbst herausfinden, was mir guttut – und was "authentisch sein" für mich bedeutet. Vielleicht ist es irgendwann demnächst mal authentisch, dass ich zwei Jahre Pause mache. Ich weiß es derzeit nicht.

prisma: Haben Sie sich schon überlastet oder gar ausgebrannt gefühlt?

Niewöhner: Nein, ich fühle noch sehr viel Energie. Ich hatte bislang auch noch nie das Gefühl, dass meine Kraft nachlässt. Die vielen Möglichkeiten, die sich in den letzten Jahren ergeben haben, waren natürlich auch eine tolle Motivation für mich. Was jedoch zunimmt, ist der Wunsch nach einem Runterkommen, einem Ausgleich. Ich komme eigentlich aus so einem Umfeld. Meine Familie, vor allem mütterlicherseits, legte immer Wert auf ein bescheidenes Leben. Es sind die Werte, die mir vermittelt wurden. Ich weiß, dass dies auch tief in mir drinsteckt. Ich würde gern etwas Handwerkliches können. Es gibt etwas in mir, das total danach schreit.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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