Schauspielerin im Interview

Iris Berben: "Ich bedaure nichts. Wirklich nicht"

Iris Berben wie eigentlich immer: In Bestform und mit natürlicher Selbstverständlichkeit sinniert sie über die Fragen des Lebens. Sie spricht über den Tod von Hannelore Elsner, verrät, was sie dem Schauspiel-Nachwuchs auf den Weg geben möchte, und warum sie froh ist, nicht in Pension geschickt zu werden.

Ob Goldene Kamera, Bayerischer Fernsehpreis, Grimme-Preis, Bundesverdienstkreuz – Iris Berben (69) hat jede Auszeichnung erhalten, die man sich als Schauspielerin in Deutschland verdienen kann. Abgehoben ist sie deshalb keineswegs: Offen und gut gelaunt erleben wir sie beim Gespräch in Hamburg. Berben trägt einen dunkelblauen Anzug mit weißen Streifen und ist kaum geschminkt. Auch so, ganz natürlich, sieht sie toll aus – wenngleich sie in solchen Kategorien nicht denkt, wie sie später versichert.

Mit "Hanne" präsentiert sie am Mittwoch, 18. September, um 20.15 Uhr, im Ersten ihre erste Zusammenarbeit mit dem preisgekrönten Regisseur Dominik Graf. Es ist ein berührendes Porträt über eine Frau, die am letzten Tag vor der Rente gesagt bekommt, dass sie Blutkrebs haben könnte. Wein, Weib, Gesang, Sex ... – das Wochenende bis zur endgültigen Diagnose kostet die Titelheldin vollends aus. Im Interview verrät Berben, wieso ihr die Leichtigkeit der Hanne liegt.

prisma: Frau Berben, die Rolle der "Hanne" ist Ihnen auf den Leib geschrieben worden. In welcher Szene kommt die Frau, die an Ihrem letzten Arbeitstag vor der Rente eine unschöne Diagnose erhält, Ihnen am nächsten?

Iris Berben: Wenn ich ganz schnell und spontan antworte, dann ist es wohl die Tanz- und Trinkszene.

prisma: Dabei trinken Sie bei Branchenveranstaltungen wie der Berlinale doch gar nicht!

Berben: Das tue ich bei beruflichen Events tatsächlich nicht. Aber diese unerwartete Begegnung, die Hanne mit der Frau in der Szene hat, die ihr gefällt, weil sie so direkt ist, weil sie sie aus einer Stimmung herausholt und in ein total anderes Leben hineinkatapultiert, kann ich gut nachvollziehen. Wie die beiden diese Nacht miteinander verbringen, mit welcher Offenheit, mit welcher Lust am Leben und sich auch ganz nahekommen, indem sie sich gegenseitig ihre Geheimnisse anvertrauen, obwohl sie sich gar nicht kennen, darin sehe ich mich sehr.

prisma: Lassen Sie denn auch so leicht Leute in Ihr Leben? Das dürfte bei Ihrem Bekanntheitsgrad nicht ganz einfach sein.

Berben: Das stimmt, aber es geht mir um dieses Loslassen; dass dich ein Mensch dazu kriegt, wild zu tanzen, viel zu viel zu trinken, das Leben wahrzunehmen und zu genießen. Das kann ich schon gut, das mag ich auch.

prisma: Sind Sie gut darin, im Moment zu leben?

Berben: Ja. Ich nehme das Leben bewusst wahr, und nichts für selbstverständlich.

prisma: Das sagt sich immer so leicht. Aber Sie haben doch sicherlich auch Stress, oder?

Berben: Ja, natürlich, aber wenn der Stress anfängt, dein Leben zu dominieren, sind das die Momente, sich zu sagen: Pass mal lieber auf, das ist gar nicht selbstverständlich, was du hier machst, wie privilegiert du lebst, was du erleben kannst, wie du denken kannst, wie du funktionierst. Man hätte ja auch als Volltrottel auf die Welt kommen können, ne? Oder an einem Platz auf der Erde, wo man weniger privilegiert ist. Ich glaube, wenn man sich bewusst macht, dass nichts selbstverständlich ist, ist man immer eher auf der guten Seite.

prisma: Es passiert nicht häufig, dass in einem Film eine Rentnerin eine sexuelle Ekstase erlebt. In diesem schon!

Berben: Wir tun immer so, als könnten das nur 20-Jährige und als würde das Leben aufhören, wenn man die 60 passiert hat. Natürlich hört das Leben nicht auf! Es gibt Menschen, die vielleicht ihr ganzes Leben lang körperlich so malocht haben, dass sie sagen: Jetzt ist das vorbei, jetzt möchte ich die Zeit anders leben. Hanne ist keine Frau, die mit unglücklichem Gesicht durch die Welt läuft, ganz im Gegenteil: Sie ist neugierig und fragt sich, was jetzt passiert, wenn ihr Rentendasein anfängt. Ich mag, dass sie sich so treiben lässt. Da gibt es plötzlich kein Korsett und keine Pläne mehr.

prisma: Aber Hoffnung.

Berben: Es ist ein Film, der zwar über den Krebs und über den Tod handelt, der aber überhaupt nicht runterzieht, sondern mit einer Leichtigkeit und einer Lust zum Leben entlässt.

prisma: Wie würden Sie reagieren, wenn Sie so eine Diagnose bekämen?

Iris Berben: Das weiß kein Mensch, oder? Ich wünschte aber, ein bisschen so wie Hanne.

prisma: Beschäftigen Sie sich viel mit der Endlichkeit?

Berben: Klar! Ich werde 70 nächstes Jahr. Jetzt ist es nicht mehr etwas, was man sich vorstellen muss, so wie früher mit 30, sondern jetzt ist es eine biologische Zeit und Uhr, die da tickt. Natürlich denke ich über den Tod nach, aber ich will nicht, dass das mein Leben vorgibt. Es ist da, ich verdränge es auch nicht. Das ginge auch gar nicht, weil es in meiner Familie und meinem Freundeskreis so viele Abschiede gibt. Das bedeutet doch auch immer ein Reflektieren, wie der Status Quo bei einem selber ist, und wo man steht. Man fängt an, sich all die philosophischen Fragen zu stellen, beispielsweise warum das Leben überhaupt aufhört.

prisma: Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Berben: Ich bedaure nichts. Wirklich nicht. Es ist schön, das sagen zu können. Ich habe das Leben wirklich in vollen Zügen genossen. Getanzt, wo es ging, Wein getrunken, wo es ging. Und die Disziplin gehabt, wo es sein musste. Du musst beides können.

prisma: Das ist der Unterschied zwischen Berlinale und privat auf dem Tisch tanzen?

Berben: Ja.

prisma: Viele werden bei "Hanne" sofort an eine Hommage an Hannelore Elsner denken.

Berben: Das ist eher Zufall. Unser Film ist schon über anderthalb Jahre alt.

prisma: Hat Sie ihr Tod sehr mitgenommen?

Berben: Natürlich. Sie und ich kannten uns gut seit Anfang der Siebziger. Und wir haben drei Filme zusammen gedreht. Sie fehlt. Und wird auch weiterhin fehlen.

prisma: Wussten Sie von der Krankheit Ihrer Freundin Hannelore Elsner?

Berben: Ja. Aber darüber möchte ich lieber gerade nicht reden.

prisma: Fällt das Schauspielern einfacher mit den Jahren?

Berben: Schon. Ich glaube ja, dass man mit 69 eine andere Tiefe kennt: die Tiefe des Verlustes und der Angst. Mit 20 bist du doch diejenige, die das Leben bestimmt – glaubst du jedenfalls. Das ist das Privileg der Jugend. Es ist auch gut für dich, so selbstbewusst aufzutreten. Aber man kann auch selbstbewusst sein in einem Alter, in dem man sehr viel Leben gelebt hat, weil man das Leben auch reflektiert.

prisma: Was wäre ein Grund für Sie, aufzuhören?

Berben: Wenn man den Beruf krankheitsbedingt nicht mehr voll ausüben kann oder wenn man merkt, man wird nicht mehr angenommen oder wahrgenommen – dann sollte man schon die Reißleine ziehen. Bei mir sind die Antennen diesbezüglich immer weit ausgefahren, ich bin ein Sensibelchen, was das betrifft.

prisma: Eine Altersdiskriminierung gibt es zumindest bei Ihnen nicht, oder?

Iris Berben: Nein. Ich denke, da sind wir generell auf einem recht guten Weg. Frauen werden nun auch in einem reiferen Alter wahrgenommen. Das ist auch nicht selbstverständlich, das war vor 20 Jahren noch anders. Wir sind jedoch längst noch nicht da, wo wir hinwollen. Bis das zur Normalität wird, haben wir noch viel Arbeit vor uns.

prisma: Sind Sie trotzdem froh, dass Sie so einen letzten Tag vor der Pensionierung, wie Hanne ihn hat, nicht erleben?

Berben: Ja, das bin ich. Denn sonst wäre ich bereits seit vier Jahren in Rente! Dass ich auch diesbezüglich selbstbestimmt bin, ist auch so ein Privileg. Ich bin froh, dass ich meinen Beruf, der auch Teil meines Lebens, meiner Leidenschaft, meiner Neugierde und meiner Lust ist, nicht an den Nagel hängen muss und es nicht heißt: Ab jetzt darf ich nicht mehr. Ich wüsste gar nicht, was ich machen sollte, denn ich bin im Leben nicht viel anderes als Schauspielerin.

prisma: Wie meinen Sie das?

Berben: Dass, was ich als Schauspielerin brauche, die Neugierde und die Empathie, andere Menschen zu begreifen und ihre Biografien nachvollziehen zu können, macht mir schon auch im Leben Spaß. Weil mich Menschen interessieren und ich Lust auf Menschen habe. Sich in andere Menschen hineinzudenken macht einem übrigens auch einen sehr weiten und toleranten Kopf.

prisma: Gibt es eine bestimmte Figur, die Sie reizen würde?

Berben: Ich habe das Gefühl, es sind ständig reizvolle Figuren, die ich in den letzten Jahren entdecken darf. Das war auch mit der ZDF-Serie "Die Protokollantin" so. Ich wehre mich aber dagegen, wenn man mir diesbezüglich einen Mut zur Hässlichkeit attestiert. Das finde ich eine Gemeinheit. Man ist nicht hässlich, wenn man ungeschminkt ist und kein vorteilhaftes Licht hat. Ich empfinde Menschen auch generell nicht als hässlich. Hässlich bist du nur, wenn du einen schlechten Charakter hast.

prisma: Der Film ist in Kapitel unterteilt. Eines heißt "Humor heucheln". Kennen Sie sich damit aus?

Berben: Ich bemühe mich, möglichst wenig zu heucheln. Mich muss man aushalten, ich muss die anderen ja auch aushalten. Aber wir leben in einer Gemeinschaft, und eine Gemeinschaft bedeutet immer Kompromisse. Ein Kompromiss kann auch Rücksichtnahme sein. Insofern gibt es sicher das eine oder andere Mal, wo man denkt: Ich lass' den Kelch jetzt mal schnell an mir vorbeigehen. Aber an und für sich bin ich jemand, der so ist wie er ist. Was du siehst, ist das, was du kriegst. Damit kamen nicht immer alle Menschen klar. Aber letztendlich muss man sich entscheiden: Bin ich Sklave der Öffentlichkeit oder bin ich gerne mein eigener Sklave?

prisma: Und Sie sind Letzteres ...

Berben: Ich bin 52 Jahre als Schauspielerin tätig und kann mich nicht beschweren. Die Leute sind meiner nicht überdrüssig. Es gibt immer noch viele Menschen, die mir durch ihre Kinoeintrittskarte oder durch das Einschalten ihres Fernsehgeräts zu verstehen geben, dass sie teilhaben an den Filmen, die ich mache oder an den Projekten, die ich mir aussuche. Und das ist ein sehr, sehr schöner Zustand, denn wir machen unsere Arbeit für das Publikum und nicht für uns.

prisma: In "Hanne" gibt es eine Szene, wo Sie dem Nachwuchs Tipps geben. Wie oft war das schon im echten Leben der Fall?

Berben: Dadurch, dass ich neun Jahre Präsidentin der Deutschen Filmakademie war und viel in Interviews darüber geredet habe, sehr häufig. Ich unterstütze den Filmnachwuchspreis "First Steps" und viele Projekte für junge Kolleginnen – in dem Umfeld halte ich mich wirklich gerne auf. Aber eigentlich fängt es damit an, dass man jungen Menschen sagen sollte: Behaltet eure Identität, eure Unverwechselbarkeit. Versucht nicht zu sein wie jemand anderer. Versucht nicht dem Bild, das euch überall auf Social Media vorgemacht wird, zu entsprechen. Steht zu eurem Anderssein, seid unverwechselbar in dem, dass ihr anders ausseht – und macht daraus was! Denn als Schauspieler musst du nicht die Bildschönheit sein, die Zeit ist längst vorbei. Also lasst euch nicht alle dieselben Zähne machen und dieselbe Nase richten. Letztlich wird das, was ihr könnt, das Talent, was ihr habt, entscheiden.

prisma: Ist das so?

Berben: Daran glaube ich, ja. Man sollte nur nicht die Leidenschaft verlieren. Und man muss gewappnet sein für die vielen Dämpfer – das muss man aushalten und durchhalten können. Und wenn man das Ganze zu einem einzigen Satz zusammenfassen würde, mit allem, was es heute an Möglichkeiten gibt, dann würde ich jungen Leuten immer nur sagen: Du musst dich entscheiden, willst du berühmt werden oder willst du Schauspieler werden?


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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