Sarah Lesch im Interview

"Die Welt ist vielleicht zu groß für den kleinen Geist des Menschen"

von Sarah Kohlberger

    Als Liedermacherin verarbeitet Sarah Lesch alltägliche Erlebnisse zu inspirierenden Songs. Im Interview spricht sie über ihre Einsamkeit als Künstlerin und erklärt, warum man manchmal wie Pippi Langstrumpf rückwärts gehen muss, um die Schätze des Lebens zu entdecken.

    In ihren Songs singt sie von rosafarbenen Elefanten am Esstisch oder von ums Haus schleichenden Säbelzahntigern – und thematisiert mit diesen Bildern gesellschaftliche Konflikte und alltägliche Probleme: Liedermacherin Sarah Lesch erzählt auf ihrem neuen Album "Der Einsamkeit zum Trotze" (ab sofort erhältlich) berührende Geschichten aus ihrem Leben. Im Interview spricht die 34-Jährige offen über die Einsamkeit, die sie verspürte, als sie die neuen Songs schrieb. Aber auch die Coronakrise gibt aktuell jede Menge Anlass, über das Leben nachzudenken. Auf was sollten wir in der Coronakrise besonders achten? Was macht eigentlich der Internetkonsum mit uns? Was sind aktuell die größten Probleme der Menschheit? Und warum ist die Welt "vielleicht ein bisschen zu groß für den kleinen Geist des Menschen"?

    prisma: Sie gaben zu Beginn der Coronakrise ein Wohnzimmerkonzert für Ihre Fans. Wie war das für Sie?

    Sarah Lesch: Das war eine tolle Erfahrung. Ich mache gerne Sachen, die ich noch nie gemacht habe. Ich hatte immer im Kopf, dass normalerweise nie so viele Leute bei einem Konzert zusehen können. Ich wusste genau, dass mein Opa gleichzeitig mit meiner Schwägerin an der Ostsee zuguckt. Außerdem war unser ganzes Team dabei – auch die, die sonst nicht mit auf Tour fahren und zu Hause den Papierkram erledigen müssen. Es war ein tolles, gemeinschaftliches Erlebnis. Dass so viele Menschen zuschauten und auch spendeten, obwohl sie vielleicht selber gerade nicht viel Geld haben, hat uns extrem geholfen und auch Mut gemacht.

    prisma: Könnten Sie sich vorstellen, auch nach der Coronakrise virtuelle Konzerte zu spielen?

    Lesch: Ja, auf jeden Fall, denn das eröffnet viele Möglichkeiten. Bei diesem Konzert haben viele Leute aus anderen Ländern zugeschaut. Es konnten aber auch Menschen dabei sein, die zu Hause Angehörige pflegen müssen oder selber vielleicht eine Art von Beeinträchtigung haben und nicht rausgehen können. Und natürlich gibt es auch Familien, die zu Hause sind und das gemeinsam mit ihren Kindern erleben wollen. Daher hätte ich schon Lust, so etwas wenigstens einmal im Jahr zu machen.

    prisma: Zuletzt wurde vor dem Hintergrund der Coronakrise vermehrt gegen die Einschränkungen der Grundrechte demonstriert. Wie beurteilen Sie als Künstlerin die entsprechenden Maßnahmen?

    Lesch: Schwieriges Thema. Ich verstehe, dass es im ersten Moment beängstigend ist. Ich war sehr erschrocken, als die Grenzen dichtgemacht wurden. Ich habe mit meinem Opa darüber gesprochen, der schon einiges erlebt hat, und er sagte zu mir: "Hab nicht so viel Angst, das werden wir alles schaffen." Er meinte auch: "Du kannst dir nicht vorstellen, wie dieses Land nach dem Krieg ausgesehen hat. Ich hätte damals nicht gedacht, dass wir heute in einem so tollen Umfeld leben würden." Diese Aussage gab mir viel Kraft und Mut. Keiner von uns hat so etwas je erlebt, und die Menschen reagieren ganz unterschiedlich auf Angst. Daher gibt es so viele unterschiedliche Stimmen und Meinungen.

    prisma: Ist es Ihrer Meinung nach richtig, zu protestieren?

    Lesch: Natürlich müssen wir achtsam und wachsam sein und dürfen nicht alles mitmachen, ohne es zu hinterfragen. Es ist wichtig, sich darüber zu unterhalten und zu überlegen, ob diese oder jene Maßnahme gerade Sinn macht, was danach passiert und wie es um unsere Rechte steht. Aber auf der anderen Seite finde ich es viel wichtiger, darauf zu achten, was mit den Kindern ist oder mit den Leuten, die gerade Probleme haben. Wie kann man denen jetzt Zuversicht geben? Für jeden, der das hier mitmacht, ist es das erste Mal, daher müssen wir uns ein bisschen vorantasten.

    prisma: Wie schätzen Sie das Krisenmanagement der deutschen Politik ein, auch mit Blick auf die Lockerungen nach dem Shutdown?

    Lesch: Ich glaube, dass die Lockerungen vielleicht sein mussten, weil die Geduld der Menschen ein wenig erschöpft ist. Am Anfang waren alle noch voller Energie und Kraft, da war alles zwar blöd und ätzend, aber machbar. Inzwischen denken aber viele, dass es mühselig ist. Dass das passiert, ist menschlich. Ich denke, dass die Politik nicht anders konnte, schließlich sind sie darauf angewiesen, dass wir mitmachen. Die Lockerungen fühlen sich für mich als einfacher Mitbürger bis jetzt okay an. Es ist schön, dass ich meinen Opa wieder sehen kann – da habe ich die letzten Wochen echt gelitten. Es ist wichtig, füreinander da zu sein.

    prisma: Sie sprechen das an, was "danach passiert" – woran denken Sie konkret?

    Lesch: Ich finde es wichtig, dass man sich ein paar Sachen mitnimmt und dass man danach nicht einfach weitermacht wie bisher. Viele Jahre lang hörte unsere Politik überhaupt nicht auf die Wissenschaft, etwa als es um den Klimawandel ging, und auf einmal funktioniert es. Darüber wird man reden müssen.

    prisma: Ein großes Thema ist nach wie vor die Wiederöffnung der Schulen. Wie kommen Sie als Mutter mit der Homeschooling-Situation zurecht?

    Lesch: Ich habe das große Glück, dass mein Sohn einen ganz tollen Papa hat. Wir sind getrennt, seit mein Sohn klein ist, deshalb habe ich nur einen Teil der Coronakrise mit meinem Sohn im Homeschooling bewältigen müssen. Was er in Mathe macht, verstehe ich schon seit Jahren nicht mehr – dafür fahre ich ihn zu seinem Papa, der auch gerade im Homeoffice arbeitet. Ich habe immer Englisch und Deutsch übernommen, daran habe ich große Freude. Aber ich glaube, Homeschooling ist für manche eine Tortur. Ich hatte auch schon andere Phasen mit meinem Sohn, als ich sehr jung und in der Ausbildung war und kein Geld da war. Ich möchte nicht wissen, wie sich das gerade für diejenigen Eltern anfühlt, die am Limit leben.

    prisma: Wie war die Schule Ihres Sohnes auf die Krise vorbereitet?

    Lesch: Mein Sohn lebt sehr ländlich, die hatten überhaupt keine Internetinfrastruktur. Es dauerte vier Wochen, bis sie eine Internetplattform zur Verfügung stellen konnten. Das lief bei anderen Schulen schon besser, da gibt es also definitiv Nachholbedarf. Diese Krise verdeutlicht eben, was vorher schon nicht gut lief. Ich weiß auch aus meiner sozialpädagogischen Arbeit, dass viele Institutionen einfach nicht genug Geld bekommen, um bestimmte Sachen zu gewährleisten. Viele Schulen sind nicht gut ausgestattet. Diesen Scherbenhaufen kriegen wir jetzt auf dem Silbertablett hingeschmissen.

    prisma: In der Coronakrise ist Einsamkeit ein großes Thema – wie auch auf Ihrem neuen Album "Der Einsamkeit zum Trotze". Entschieden Sie sich auch deswegen, gerade jetzt zu veröffentlichen?

    Lesch: Nein, überhaupt nicht. Dieses Release steht schon ganz lange. Eigentlich sollte es schon letztes Jahr passieren, aber ich hatte noch so viele Ideen. Ich habe schließlich erst die EP veröffentlicht und mir dann noch ein bisschen Zeit genommen für das Album. Wir hatten eher überlegt, ob wir es jetzt überhaupt veröffentlichen können. Ich lebe ja nicht davon, dass ich in die Charts komme, sondern vielmehr davon, dass ich meine Songs live vorspiele und die Zuhörer dann am Merchandise-Tisch meine Sachen kaufen.

    prisma: Was ja aktuell nicht möglich ist ...

    Lesch: Richtig. Zudem hatten die Plattenläden zuletzt auch noch zu und wir wussten nicht, wo wir was verkaufen sollen. Wir beschlossen dann, das Album trotzdem jetzt zu veröffentlichen. Ich hatte einfach keine Lust mehr, länger zu warten – ich möchte mit den Songs rausgehen, schließlich schreibe ich inzwischen schon wieder an neuen Liedern. Außerdem fragen die Leute auch danach – die wollen die neuen Lieder hören. Besonders nach dem Onlinekonzert schrieben mir viele Menschen, wie sehr sie sich auf das neue Album freuen. Ich wollte es nicht verschieben. Und ich hoffe, dass wir damit jetzt gut fahren und uns damit nicht ins Knie schießen.

    prisma: Ihre zuletzt erschienene EP hieß "Den Einsamen zum Troste" – das klingt wie eine Vorstufe zu "Der Einsamkeit zum Trotze". Welche Entwicklung fand dazwischen statt?

    Lesch: Ich habe hier nicht in Schritten gedacht. Titel entstehen meistens aus einem Gefühl heraus. Aber es stimmt natürlich, dass dazwischen eine Entwicklung stattfand. Es ist tatsächlich so, dass die Lieder auf "Den Einsamen zum Troste" mich trösten. Der Titel "Der Einsamkeit zum Trotze" entstand dann eher deshalb, weil ich gemerkt habe, dass ich sehr einsam geworden bin.

    prisma: Woher kommt diese Einsamkeit?

    Lesch: Unter anderem durch die Karriere. Ich habe innerlich noch nie so isoliert gelebt wie in den letzten Jahren. Das ständige "in der Öffentlichkeit sein" kostet viel Kraft – gerade dann, wenn man mit seinen Seelenthemen auf die Bühne geht. Deshalb habe ich mich immer mehr zurückgezogen. Auch mein Privatleben hat gelitten, weil ich oft auf Tour war und in einsamen Zimmern in Hotels an fremden Orten herumsaß. Irgendwann erreichte ich einen Punkt, an dem ich eigentlich keinen Bock mehr hatte – da hätte ich am liebsten meine Sachen gepackt und wäre ausgewandert.

    prisma: Und doch machen Sie weiter und veröffentlichen jetzt neue Musik ...

    Lesch: Die Lieder haben mir wieder Kraft gegeben. Ich wollte durchs Land fahren und die Songs mit den Leuten teilen. Meine Einsamkeit hat mich sehr verbittert – und zum Trotz habe ich dann weitergemacht. Aufgeben war nie eine Option. Bei der Musik und bei meinem Sohn gibt es nie die Option, aufzugeben.

    prisma: Aber ist Einsamkeit in Zeiten der Handys, der sozialen Medien und der globalen Vernetzung überhaupt möglich?

    Lesch: Man wird durch diese Dinge vielleicht sogar noch einsamer. Ich habe festgestellt, dass ich nicht mehr mit Leuten telefoniere, sondern nur noch schreibe. Das Telefonieren hat sich in den letzten Jahren etwas verloren. Man begegnet sich auch nicht mehr. Man klingelt nicht mehr spontan an der Tür, sondern spricht immer alles vorher ab. Dadurch begegnet man sich nur, wenn die Bude gerade frisch geputzt ist. Wenn jemand klingelt, wenn ich Mittagsschlaf gemacht habe, übelst schlecht drauf bin und es bei mir aussieht wie Sau, dann kriegt er mich so mit, wie ich bin. Und das passiert nicht mehr, weil man immer alles abklärt und absichert und das so lange hindrapiert, bis es auf Instagram auch toll aussieht. Es ist schon eine krasse, komische Entwicklung, die die Menschheit da macht.

    prisma: Aber die Vernetzung hat auch ihre positiven Seiten ...

    Lesch: Natürlich. Die aktuelle Situation zeigt, wie toll es ist, dass es das Internet gibt. Wenn ich mit meinem Opa Videotelefonate führen kann, ist das wundervoll. Aber wir haben das Internet vorher vielleicht ein bisschen unachtsam genutzt. Wir haben es kopflos genutzt, wie eine Droge, ohne zu überlegen: Was ist die richtige Dosis?

    prisma: In Ihren Texten singen Sie von einem rosa Elefanten am Esstisch und von Säbelzahntigern, die ums Haus schleichen. Was inspiriert Sie zu Ihren Texten?

    Lesch: Der Alltag inspiriert mich. Vor allem dann, wenn ich mich mit Menschen unterhalte. Ich habe dann oft ein Bild im Kopf, das ich total stark finde und bei dem ich denke, dass es ein Gefühl richtig beschreibt. Ich muss da immer an Pippi Langstrumpf denken, die rückwärtsgeht, weil sie so viel mehr Sachen am Rand sehen kann. Ich komme auch aus der Arbeit mit Kindern, und da braucht man manchmal auch eine halbe Stunde länger wegen einer Dose am Wegrand, die man genau angucken muss. Wenn man es schafft, den Alltag so zu leben wie eine Schnecke, dann findet man ganz automatisch viele kleine Schätze, aus denen man tolle Sachen zaubern kann.

    prisma: Klingt eigentlich recht einfach.

    Lesch: Ja, man muss sich nur trauen zu sagen: "Nein, das ist jetzt nicht zu banal." Den Elefanten habe ich von meinem Sohn. Einmal meinte er: "Es ist so ätzend, immer wenn wir alle zusammen am Tisch sitzen, dann ist das, als wäre da ein rosa Elefant, über den keiner redet." Ich dachte mir sofort: "Was für ein geiles Bild!" Der Elefant kann sinnbildlich für so vieles stehen. Kinder haben ja manchmal ein Gefühl, wissen aber nicht, was das ist, was sie da drückt. Das kann zum Beispiel auch Missbrauch sein – das große Geheimnis, über das niemand reden darf. Oder ein Suchtproblem in der Familie. Es ist für Kinder richtig schlimm, wenn sie so etwas verschweigen müssen. Deswegen ist mir dieser Song auch unheimlich ans Herz gewachsen – weil ich es auch schwer aushalten kann, wenn über Sachen nicht geredet werden darf.

    prisma: Sie sprechen in Ihren Songs häufig soziale Konflikte und Probleme an. Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die größten Probleme der Gesellschaft?

    Lesch: Wir ändern ganz oft Dinge erst dann, wenn wir aktiven Schmerz spüren. Die Konsequenzen müssen immer ganz direkt sein. Wir sagen immer: "Es ist ja noch so weit weg." Die Welt ist vielleicht ein bisschen zu groß für den kleinen Geist des Menschen. Wenn ich mittags mein Schnitzel esse, mein Dieselauto anschmeiße, zum Supermarkt fahre und dort irgendetwas in Plastik kaufe, ist mir nicht klar, dass die Insel Tuvalu sich gleichzeitig fünf Zentimeter über dem Meeresspiegel befindet und bald versinken wird und dass somit viele Leute sterben oder auswandern müssen. Es ist mir nicht klar, dass dort seit zehn Jahren die halbe Insel voller Müll ist, weil an einer Seite immer der Müll angeschwemmt wird.

    prisma: Aber das sind am Ende doch trot allem Probleme, für die man Lösungen finden kann.

    Lesch: Richtig. Wir haben eine enorm starke Wirksamkeit. Ich glaube, das größte Problem ist, dass wir unsere Wirksamkeit komplett unterschätzen. Was passiert, wenn ich diese Blaubeeren in Plastik kaufe? Was macht das, wenn ich so zum Vorbild werde und viele andere das auch tun? Ich vergesse das leider auch tagtäglich, ich mache selber nicht alles richtig. Und das ist ein weiteres Problem: Wir scheuen uns oft, unsere eigenen Fehler einzugestehen. Es wäre manchmal gut, zuzugeben, dass man Fehler macht, anstatt zu schweigen. Das sind wohl die größten Probleme. Der Mensch ist sehr träge, er braucht sehr lange für die Dinge – und gleichzeitig hat er sehr viel Macht und Wirksamkeit und ist sich darüber nicht bewusst.


    Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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