Große Stars kassieren ab, kleine Künstler gehen leer aus

Von den insgesamt rund acht Millionen Musikschaffenden auf Spotify knacken nur rund 0,2 % von ihnen die 10.000 Streams-pro-Monat-Marke. Und 10.000 Streams pro Monat sind bei 0,03 Cent Vergütung pro Stream nichts, wovon man leben könnte. Kleinere Künstler leiden unter dem Bezahlmodell, das viel Luft nach oben vorweist.
Das Pro-Rata-Modell
Vereinfacht gesagt, landen alle Einnahmen, die Spotify durch Abos erzielt, in einem großen Topf. Pro Abo (rund zehn Euro) behält der Anbieter rund drei Euro für sich. Die übrigen sieben Euro werden unter allen Künstlern, der Gema und den Plattenlabeln aufgeteilt. Pro Stream bekommen Musikschaffende rund 0,03 Cent ausgezahlt. Würde man also nur einen einzigen Musikschaffenden hundertmal im Monat hören, bekäme dieser lediglich 30 Cent von den zehn Euro Abogebühren. Die übrigen 6,70 Euro gingen an andere Künstler, die man selbst gar nicht hört.
Das User-Centric-Modell
Das User-Centric-Modell wünschen sich viele Musiker. Um bei unserem Rechenbeispiel zu bleiben, würden die vollen sieben Euro bei dem Musiker landen, den man im Monat hundertmal gehört hat.
Zahlen andere besser?
Natürlich könnte man auch die Ausschüttung pro Stream erhöhen, wie es bei anderen Anbietern geschieht. Am besten bezahlt Napster mit rund 1,7 Cent pro Stream. Noch schlechter zahlt nur YouTube Music mit rund 0,006 Cent. Die Ausschüttung pro Stream zu erhöhen, ändere aber nichts an der ungleichen Verteilung. Wer am meisten gestreamt wird, bekommt auch am meisten Geld ausbezahlt – bei allen Streaming-Anbietern. Oder um es mit Abbas Worten zu sagen: „The winner takes it all."
Änderungen seit 2024
Die Spotify-Realität für die Kleinsten ist tatsächlich noch bitterer geworden. Seit dem 1. April 2024 bekommen Musiker, die in zwölf Monaten weniger als 1.000 Streams auf sich vereinen können, gar keine Vergütung mehr ausgezahlt. Spotify begründet diesen Entschluss folgendermaßen: Die Kleinsten der Kleinsten bekämen so geringe Summen, dass ohnehin nichts in der eigenen Tasche landen würde. Die geringen Einnahmen würden aufgrund von Mindestbeträgen für Auszahlungen bei Labels und Distributoren sowie für Bankgebühren draufgehen. Blanker Hohn in Zeiten von PayPal und co. Ganz zu schweigen davon, dass die geringen Ausschüttungen ein hausgemachtes Problem seien, meinen zumindest deutsche Musiker wie Max Mutzke, Gregor Meyle oder Klee. Insgesamt kosten diese kleinen Kleinstmusiker Spotify im Jahr rund 40 Millionen US Dollar. Dieses Geld möchte der Anbieter lieber an diejenigen auszahlen, die mehr als 1.000 Streams erzielen und somit deren Gewinn erhöhen. Zudem seien von den Änderungen ohnehin „nur“ 0,5 % betroffen. Musikern wie Enna oder Christopher Annen aus der Band AnnenMayKantereit geht es dabei nicht primär ums Geld, sondern um die Botschaft, die damit transportiert wird. „Eure Musik ist nicht so viel wert wie die Musik, die viel gehört wird. Also, das symbolische Ding ist das Problem“, sagt Enna gegenüber dem Westdeutschen Rundfunk. Annen merkte in einem Interview mit dem WDR an: „Das hat wenig mit Wertschätzung für das Werk zu tun. Das finde ich sehr schade.“
Weiter kritisieren deutsche Musikschaffende: „Durch die […] Änderungen sorgt Spotify dafür, dass die Schere zwischen besonders erfolgreichen Musikern und kleineren Musikern immer weiter auseinander geht und vor allem große Acts und Labels von den Änderungen auf Kosten der Kleineren profitieren: Survival of the fittest, Turbokapitalismus at its best.“
Kauft wieder Platten!
Die Mehrheit der Musikschaffenden können von Streams allein also nicht leben. Momentan generieren Musiker die meisten Einnahmen durch Live-Auftritte. Wir erinnern uns an Taylor Swift, deren Eras-Tour über zwei Milliarden US Dollar einspielte. Wer also möchte, dass sein Geld bei denjenigen landet, die er oder sie auch wirklich hört, muss wohl oder übel wieder Platten – egal ob Vinyl oder digital – kaufen und seinen Idolen live zujubeln. Am besten erwirbt man noch zusätzlich Shirts am Merch-Stand. Aber dann müsste man sich natürlich entscheiden, für welchen Song, für welche Band man sein begrenztes Geld ausgeben möchte. Und das in Zeiten, in denen man für zehn Euro im Monat einfach alles hören kann. Das ist leider viel zu bequem. Wer will schon zurück ins 20. Jahrhundert? Und wer kann sich das leisten in Zeiten, in denen alles immer teurer wird?
Die Macht der großen Konzerne
Dennoch ist es so: Wer bei den großen Streaming-Anbietern nicht stattfindet, findet überhaupt nicht statt. 2014 entfernte Taylor Swift öffentlichkeitswirksam all ihr Songs von der Plattform. „Musik ist Kunst, und Kunst ist wichtig und selten. Wichtige, seltene Dinge sind wertvoll. Wertvolle Dinge sollten bezahlt werden“, schrieb sie damals in ihrem Blog. Lange angehalten hat ihre wertvolle Botschaft nicht. Auch die Ärzte hielten lange Zeit dem Druck stand. Farin Urlaub erklärte einmal in einem Interview mit den „Westfälischen Nachrichten“: „Weil ich strikt dagegen bin. Wenn ich jemandem etwas schenken möchte, dann mache ich das persönlich.“ 2018 erlag aber auch er dem Sog der Global Player.
Trotz aller Kritik, wer bei Spotify gehört werden kann, erzielt eine große Reichweite. Der Anbieter schafft also auch Demokratisierung im Zugang von Musik. Diese kann erst durch ihn auf jedem Kontinent vertrieben werden. Künstler können internationale Fan-Beziehungen aufbauen, die ohne Spotify und co. niemals möglich waren. Auch Independent-Künstlern wird der Zugang zum Markt deutlich erleichtert. Sie sind nicht mehr auf ein Plattenlabel oder Gatekeeper angewiesen, die ihnen die Tore zur Musikwelt öffnen. Überspitzt gesagt: Musiker bekommen jede Menge Marketing, für das sie mit geringer Vergütung bezahlen. Wo auf der Welt gibt es schon was geschenkt? Das gibt es nicht mal bei Spotify.
Eine Frage bleibt
Wurden Künstler denn jemals fair bezahlt? Haben nicht viele von uns früher MP3s mitgeschnitten oder CDs gebrannt? Ist das Problem wirklich neu? Oder ist das Problem nicht vielmehr der Mensch selbst und seine Wertschätzung von Kunst? Und natürlich das kapitalistische System, in dem er lebt? Da könnte man mal drüber nachdenken.
Solange Streaming-Anbieter börsenmutierte Konzerne sind, die die eigenen Interessen deutlich stärker fördern als die einzelner Musiker, werden sie ihr Bezahlsystem nicht ändern. Aber jeder Einzelne könnten etwas ändern. Denn schließlich steht es jedem frei, das eigene Abonnement zu kündigen, entsprechende Apps zu deinstallieren und auf den Kauf von Platten zurückzugreifen. Es könnte so einfach und fair sein, oder? Vermutlich können sich Fairness aber die wenigsten von uns leisten. Was bliebe, wäre Stille oder unser eigener Gesang unter der Dusche.
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