Sie wurde als die "Mutter Courage des modernen Tanzes" gefeiert: die Choreografin Pina Bausch. Mit ihren Tanztheaterstücken wie "Blaubart", "Nelken" oder "Der Fensterputzer" hat sie die Tanzgeschichte reformiert, wie kaum eine vor ihr. Irrtümlich wurde die weltberühmte Tänzerin und Choreographin gerne als Wuppertalerin bezeichnet. Bei all dem, was die Stadt Wuppertal für sie und ihre Karriere getan hat, ist das nur legitim. Tatsächlich wurde sie in Solingen geboren, wo man sich 2008 nach heftigen Diskussionen dazu entschlossen hat, ihr Geburtshaus abzureißen. Die Diskussionen, die man wegen des Hauses führte, hätte man in einer grotesken Tanzaufführung, ganz im Stile der großen Bausch, aufführen können. Das hin und her bei der Entscheidungssuche, die Sinnlosigkeit der Überlegungen, das Festhalten an einem Denkmal, das nie eines war und nie eines werde würde, das Loslassen und der Abrissbeschluss wirkte wie eine große Inszenierung - der weltweit bejubelten Pina Bausch allerdings unwürdig.
Jahrzehnte lang behaupteten Pina Bausch und ihre Compagnie eine ganz einzigartige Ausnahmeposition in der internationalen Tanzszene. Aus der Revolte gegen das klassische Ballett entstanden, thematisieren ihre Choreographien vor allem immer wieder die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Bereits im Alter von 14 Jahren begann Pina Bausch mit einem Studium an der Folkwang-Hochschule unter der Leitung von Professor Kurt Jooss. Nach ihrer Abschlussprüfung 1958 studierte sie zunächst mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Juilliard School of Music in New York und war gleichzeitig Mitglied der Dance Company Paul Sanasardo und Donya Feuer. Darüber hinaus hatte sie Engagements beim New American Ballet und an der Metropolitan Opera New York. Erst 1962 kehrte Bausch nach Deutschland zurück und wurde auf Anhieb Tänzerin in dem von Kurt Jooss neu gegründeten Folkwang-Ballett.
Seit 1968 steuerte Pina Bausch eigene Choreographien ins Repertoire des Folkwang-Balletts bei, dessen Leitung sie 1969 übernahm. Ein weiterer Meilenstein in ihrer Karriere folgte 1973 mit der Berufung als Direktorin des neugegründeten Tanztheaters Wuppertal. 1981 sah man sie in Rainer Werner Fassbinders einzigem Dokumentarfilm "Theater in Trance", unvergessen bleibt ihr Auftritt als Principessa Lherimia in Federico Fellinis Tragikomödie "Schiff der Träume" (1982). 1990 inszenierte Pina Bausch dann selbst den Tanzfilm "Die Klage der Kaiserin", 1997 feierte sie mit der Neueinstudierung von "Le Sacre du printemps" mit dem Ballet de LOpéra national de Paris Triumphe. Und kein geringerer als Pedro Almodóvar nutzte in "Sprich mit ihr - Hable con ella" ihre Choreographien aus "Café Müller" und "Masurca Fogo". Aufsehen erregte auch ihre Neueinstudierung von "Orpheus und Eurydike" mit dem Ballet de LOpéra national de Paris im Jahre 2005.
2007 wurde Pina Bausch mit dem Kyoto-Preis für ihr Lebenswerk, eine der wichtigsten Ehrungen für Kulturschaffende, ausgezeichnet, 2008 erhielt sie den Goethepreis der Stadt Frankfurt. Ihr letztes Stück, "Neues Stück", inspiriert von einer Reise nach Chile, feierte noch am 12. Juni 2009 in Wuppertal Premiere. 18 Tage später starb sie an ihrer nur fünf Tage zuvor diagnostizierten Krebserkrankung. Posthum widmete ihr Filmemacher Wim Wenders 2011 den 3D-Tanz-Dokumentarfilm "Pina".
Werke des Tanztheaters Wuppertal mit Pina Bausch: "Fritz" - Tanzabend, "Iphigenie auf Tauris" - Tanzoper (beide 1973), "Ich bring dich um die Sonne" - Schlagerballett. "Adagio - Fünf Lieder von Gustav Mahler" (beide 1974), "Orpheus und Eurydike" - Tanzoper, "Frühlingsopfer", "Wind von West", "Der zweite Frühling", "Le sacre du printemps" (alle 1975), "Die sieben Todsünden" (1976), "Blaubart - beim Anhören einer Tonbandaufnahme", "Komm tanz mit mir", "Renate wandert aus" - Operette (alle 1977), "Er nimmt sie an der Hand und führt sie in sein Schloss, die anderen folgen ...", "Cafe Müller", "Kontakthof" (alle 1978), "Arien", "Keuschheitslegende" (beide 1979), "1980" (1980), "Bandoneon" (1981), "Walzer", "Nelken" (beide 1982), "Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört" (1984), "Two cigarettes in the dark" (1985), "Viktor" (1986), "Ahnen" (1987), "Palermo Palermo" (1989), "Die Klage der Kaiserin" (1990), "Tanzabend II" (1991), "Das Stück mit dem Schiff" (1993), "Ein Trauerspiel" (1994), "Danzón" (1995), "Nur du" (1996), "Der Fensterputzer" (1997), "Masurca Fofo" (1998), "O Dido" (1999), "Kontakthof", "Wiesenland" (beide 2000), "Água" (2001), "Für die Kinder von gestern, heute und morgen" (2002), "Nefés" (2003), "Ten chi" (2004), "Rough cut" (2005), "Vollmond" (2006), "Bamboo Blues" (2007), "Sweet Mambo" (2008), "Tanzträume - Jugendliche tanzen Kontakthof von Pina Bausch" (2010).
Foto: www.pina-bausch.de / Atsushi Iijima