Sonntag am "Tatort"

Tatort Frankfurt: Familiensache Mord

15.05.2015, 15.00 Uhr
von Detlef Hartlap
Das neue Frankfurter Ermittlerteam Margarita Broich als Anna Janneke und Wolfram Koch als Paul Brix müssen ihren ersten Fall lösen. Der trägt den Titel "Kälter als der Tod".
BILDERGALERIE
Das neue Frankfurter Ermittlerteam Margarita Broich als Anna Janneke und Wolfram Koch als Paul Brix müssen ihren ersten Fall lösen. Der trägt den Titel "Kälter als der Tod".  Fotoquelle: HR/Benjamin Knabe

Margarita Broich (55), gebürtig in Neuwied, tritt im neuen Frankfurter Tatort "Kälter als der Tod" ein schweres Erbe an. Es waren ihre Vorgängerinnen, die seit 2002 das Interesse an einem Schauplatz hochhielten, an dem man das Verbrechen zu Hause wähnt.

Frankfurt die "Hauptstadt des Verbrechens"

Letzteres rührt einerseits von der Charakterisierung Frankfurts als "Mainhattan" her, was eigentlich nur zeigt, zu welchen Übertreibungen einige wenige Wolkenkratzer Anlass geben können. Andererseits gab Frankfurt über viele Jahre auch statistisch Anlass, von der "Hauptstadt des Verbrechens" zu reden (als Nachfolgerin übrigens von Köln).

Stoff hätte also immer genug auf der Straße gelegen. Doch war es so gut wie nie der Tatort, der sich um die eigentümliche Gemengelage von Banken, Gier, Bauspekulation, Korruption und Rotlichtmilieu kümmerte, sondern erst mit Dieter Wedels Serie "Der Schattenmann" rückte Frankfurts morbide Seite für jedermann anschaulich ins Fernsehbewusstsein.

Nachfolgerin von Sawatzki und Kunzendorf

Margarita Broich tritt in ihrer Rolle als Hauptkommissarin Anna Janneke die Nachfolge von Andrea Sawatzki und Nina Kunzendorf. Beide wurden, gleich im Moment ihres ersten Auftritts, zu Stars, deren Tatort-Bekanntheitsgrad im Nu alle früheren Rollen auslöschte. Als Andrea Sawatzki (als Charlotte Sänger) 2002 zum ersten Mal durch die Flure des Polizeipräsidiums schlich, schüchtern und ersichtlich von bangen Vorahnungen geplagt, bekleidet mit einem sehr schlichten Dufflecoat-ähnlichen Mantel, das rote Haar unter einer Wollmütze verborgen, da traf sie den Nerv der Zeit: Frau kann was, Frau will was erreichen, muss sich aber gegen 1000 Vorurteile und männliche Widerstände behaupten. Sawatzkis größtes Hindernis war Jörg Schüttauf, der als Fritz Dellwo einen orthodoxen Bullen gab, dessen Ehe deswegen in die Brüche ging, weil er ein orthodoxer Bulle war.

Die Sänger'sche Bangnis, die Andrea Sawatzki 18 Folgen lang nicht ganz ablegte, musste ihre Nachfolgerin Conny Mey (Nina Kunzendorf) nicht noch einmal durchexerzieren. Die Zeit war reif geworden für ein Cowgirl von der Zeil, das in Stiefeletten über die Präsidiumsgänge trommelte, einen Gürtel trug, der nach Pistolenhalfter schrie, und die fehlende Oberweite durch einen frechen Ausschnitt kompensierte.

Sänger wurde in Frankfurt ein Star und brachte es auf eine (eher peinliche) Fotostrecke im "Playboy". Nina Kunzendorf brauchte fünf Folgen, um ein Superstar zu werden, ein Status, mit dem sie wohl nicht gerechnet hatte und den sie mit ihrem überraschenden Ausstieg ganz schnell wieder abzubauen begann.

Ein bisschen wie Mutti

Margarita Broich wirkt bei ihrem Erstauftritt ein bisschen wie die Mutti von beiden, neugierig, astrein kollegial, sehr seriös, teamfähiger als es Charlotte Sänger je war, bodenständiger als es Conny Mey je in den Sinn gekommen wäre. Der Fall "Kälter als der Tod" ist ihr und ihren Fähigkeiten nicht unbedingt auf den Leib geschrieben, obwohl sie ganz unversehens in eine Mutterrolle gerät, die ihr eigentlich liegen müsste. Tut es aber nicht. Da bleibt viel Luft nach oben.

Bei der Besetzung des männlichen Parts scheint eine Verwechslung stattgefunden zu haben. Wolfram Koch, der vor Jahren einen Münster-Tatort als Mann mit dem "Tatort - Hinkebein" in ein leicht unheimliches Licht tauchte und dessen spitzbübisches Grinsen wir u.a. aus "Hoffnung für Kummerow" und "König von Deutschland" kennen, hätte sicher gut einen zynischen Polizeidirektor abgegeben oder einen Staatsanwalt, der die Bemühungen der Ermittler mit in Spott gewendeter Ungeduld begleitet.

Koch bleibt persönlichkeitsblass

Stattdessen spielt Koch den leicht ins Bohemehafte gewendeten Kommissar Brix, der einigen Ballast mit sich schleppen muss, weil er von der Sittenpolizei ins Morddezernat wechselte. Wolfram Koch macht seine Sache gut, nein, ordentlich, nein, er bringt vielleicht doch zu wenig mit, das neugierig macht. Man kann diszipliniert sein Bestes geben, wie Koch, und für eine bestimmte Rolle doch nicht genügen. So kurz nach dem Abschied des alkoholbleichen Joachim Król als Kommissar Steier in Frankfurt, bleibt Koch persönlichkeitsblass.
  
Auf der anderen Seite tritt der formidable, weil Licht und Schatten stets grandios austarierende Roeland Wiesnekker als Vorgesetzter der beiden Neu-Tatortler auf. In seinen wenigen Szenen lässt Wiesnekker ahnen, dass er der bessere Kommissar gewesen wäre. Schade, eine verpasste Chance. Aber vielleicht findet sich ja ein Drehbuchautor, der ihm in einer nächsten Folge mehr Raum gibt.

Der blutrünstigste Tatort-Schreiber Deutschlands

Dieser Tatort wurde von Michael Proehl (39) geschrieben, der möglicherweise ein Familientrauma mit sich herumschleppt. Was immer er für den Tatort austüftelt, im Verlaufe einer Sendung gehen ganze Dynastien und Familienverbände zugrunde. Da war schon 2010 so, als er für Sawatzki/Schüttauf die Folge "Tatort - Weil sie böse sind" schrieb. Dass es zur Auslöschung einer Familie kam, lag indes damals auch daran, dass sich Charlotte Sänger und Fritz Dellwo gerade heftigst befehdeten und zu sachgerechter Ermittlungsarbeit unfähig waren.

Noch berühmter und frischer in Erinnerung ist Proehls Ulrich Tukur-Tatort "Im Schmerz geboren", dessen 47 Leichen sich im Grunde als Spätfolge einer Dreiecksbeziehung abtun lassen. Weil Ulrich Matthes es nicht verwinden kann, dass sein Sohn nicht sein Sohn ist, sondern der von Ulrich Tukur, richtet er im Rhein-Main-Gebiet ein Blutbad nach dem anderen an. Nicht nur das stets nach der neuesten Fernsehmode urteilende Grimme-Institut fiel darauf herein (und vergab einen seiner vielen Preise), auch ein Großteil der Tagespresse ergötzte sich am multiplen Gemorde, das dadurch nicht besser wurde, dass es andere Filmmorde zitierte.

Drehbuchschreiber Proehl ist ein Killer, ein Schreibtischtäter.

Auch diesmal sind am Ende fast alle tot, und wer das Gemetzel überlebt, trägt mindestens schwere körperliche Wunden davon. Von den seelischen schweigen wir. In der nächsten Folge sind die Kommissare sicherlich wieder topfit. 

Großes Drama und seelische Kapitalverbrechen

Es geht aber um seelische Wunden, es geht um fortgegebene, abgeschobene und verachtete Kinder, Kinder, die man nicht haben wollte, die aber, wie jede Vergangenheit, eines Tages doch wieder ins Leben stoßen und aufrühren, was man zugeschüttet glaubte. Eine Regie (Florian Schwarz), die dieses eigentliche Thema des Familienhassers Proehl ernstgenommen hätte, wäre womöglich zu einem tiefgründigen Drama vorgestoßen und dem rabenschwarzen Titel "Kälter als der Tod" gerecht geworden.

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