Zwei Fälle taugen mehr als einer? Im bislang besten Berliner "Tatort" mit den Ermittlern Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) versuchen die Kommissare, den Schmerz der Hinterbliebenen zu verstehen.
Die Berliner Ermittler Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) bekommen es im "Tatort: Tiere der Großstadt" gleich mit zwei Fällen zu tun. Tom Menke (Martin Baden), Betreiber eines vollautomatisierten Kaffeeshops, wurde in seinem "Robista" benannten Laden getötet. Hat ihn der stets freundliche Roboter auf dem Gewissen? Die Enge innerhalb der Kaffeezelle schließt im Prinzip weitere Täter aus. Naturbloggerin Charlie (Stefanie Stappenbeck) findet die Leiche einer jungen Joggerin im Wald. In ihren Wunden: Wildschweinhaar. Ein Unfall? Der Ehemann (Kai Scheve) der Toten ist am Boden zerstört. Indes wirkt die Witwe (Valery Tschplanowa) des Kaffeeautomaten-Betreibers seltsam abwesend. Der bislang beste Berliner "Tatort" mit Karow und Rubin ist eine komplexe, äußerst stimmungsvolle Elegie über den mannigfaltigen Schmerz des Menschseins.
Drehbuchautorin und vierfache Grimmepreisträgerin Beate Langmaack ("Blaubeerblau", "Zeit der Helden") scheint klassische Krimis nicht besonders zu mögen. Ihre Filme sind eher gelungene Abhandlungen über das Menschsein als klassische Tätersuchspiele. Auch deshalb stechen sie heraus. Im zweiten Franken-Fall "Das Recht, sich zu sorgen" verschachtelte die Hamburger Autorin einmal drei Fälle zu einem 90-Minuten-Krimi – diesmal kommt sie mit zwei voneinander unabhängigen Todesfällen aus. Langmaacks Plots sind niemals durchsichtig oder platt. Stets darf man sich auf subtiles Erzählen, grimmigem Humor und zeitgeistige Seitenhiebe freuen. Ihr neuer "Tatort: Tiere der Großstadt", den Regisseur Roland Suso Richter ("Tatort: Kopper") in kinoreif schöne Bilder übersetzte, scheint manchmal fast überzulaufen – mit seinen wunderbar pointierten Dialogen und poetischen Figuren. Aber der Film kriegt auch immer wieder die Kurve – zu zwei rätselhaft spannenden Kriminalfällen.
Karows Recherche in der Welt der Robotik fördert interessante Erkenntnisse zu Tage. Zum Beispiel jene, gar nicht mehr so kühne These, dass sich der Mensch selbst längst auf dem unumkehrbaren Weg befindet, ein Cyborg zu werden. "Das Smartphone ist doch jetzt schon eine natürliche Verlängerung unseres Körpers", bellt Karow, während ihm ein Robotik-Guru, Entwickler jenes künstlichen Barista unter Mordverdacht, zum Abschied seine von Gedanken gesteuerte Metallhand reicht.
Neben echten Tieren wie jenen Wildschweinen, die Berlin immer mehr als Lebensraum erobern, findet sich aber auch angenehm Unlogisches in diesem Krimi: Menschen, die unglaubliche, von Liebe und Schmerz gesteuerte Gefühlstaten begehen oder Figuren wie einen steinalten Rentner (großartig: der 1929 geborene Schauspieler Horst Westphal, "Wolke 9"), der im Hochhaus über dem Platz des "Robista"-Automaten wohnt und in der Nacht das Leben auf der Straße im Sinne einer eher poetischen Realität beobachtet.
Eines muss in puncto "Tatort" mit Karow und Rubin festgehalten werden: Nach Abschluss der ersten vier Fällen, die "so ein bisschen horizontal" rund um Karows Vergangenheit erzählt wurden, hat die Qualität des Berlin-Krimis eindeutig zugenommen. Waren die beiden etwas überkandidelten gedachten Ermittler bis zum "Tatort: Dunkelfeld" noch in mittelprächtigen Drehbüchern gefangen, können die famosen Schauspieler Meret Becker und Mark Waschke ihre individuelle Klasse nun mehr ausleben. Der Berliner "Tatort" ist auf dem Weg, eine Reihe mit durchaus experimentierfreudigen Einzelstücken unterschiedlicher Kreativer zu werden.
Schon der Vorgängerfall "Meta", ein auf der Berlinale und unterschiedlichen Realitätsebenen spielendes Husarenstück, war kühn gedacht. Der Nachfolgefilm "Tiere der Großstadt" ist jedoch vor allem handwerklich noch viel besser. Zur dichten Atmosphäre trägt auch der qualitativ weit überdurchschnittliche Soundtrack von Nils Frahm ("Victoria") bei. Für seinen ersten "Tatort" erfand der Starkomponist punktgenaue, elektronisch melancholische Klangwelten, die für den Schmerz des Personals dieses Krimis noch mal eigene Dimension zu erschaffen scheinen.