„Meine OP kann heute wirklich nicht stattfinden, obwohl ich schon so lange darauf warte?“, fragte mich eine Patientin fassungslos. Seit mehreren Monaten wartete sie auf ihre Meniskus-OP. Das Knie sollte unbedingt wieder funktionieren, bevor sie sich im Sommer ihren Traum von der Alpenüberquerung erfüllen wollte. Sie sah mich ungläubig an und konnte immer noch nicht verstehen, dass ein Brötchen und eine Tasse Kaffee die für heute geplante OP unmöglich machen sollten. „Es
kann mit erheblichen Risiken verbunden sein, wenn die vorgeschriebenen Nüchternzeiten vor einem operativen Eingriff
nicht eingehalten werden“, antwortete ich ihr.
Im Rahmen einer Narkose ist es häufig notwendig, Patienten zu beatmen. Dies gelingt jedoch nur, wenn medikamentös einige lebenswichtige Schutzfunktionen des Körpers vorübergehend ausgeschaltet werden. Besonders wichtig sind dabei der Schluck- und
der Hustenreflex. Diese Reflexe verhindern, dass Substanzen in die Lunge geraten. Jeder weiß, wie heftig und wie unangenehm ein solcher Husten sein kann, wenn Speisen oder auch nur Speichel versehentlich in die Luftröhre gelangen. Nahrungsmittel, Rauchen und sogar Kaugummi regen die Verdauungstätigkeit an und damit auch die Bildung von Magensaft. Magensaft entspricht chemisch einer hochkonzentrierten Salzsäure. Wenn diese nun über die Luftröhre in die empfindliche Lunge gerät, spricht man von einer „Aspiration“. Diese kann zu einem lebensbedrohlichen Notfall werden, da die Salzsäure nun in der Lunge das tut, was sie nur
im Magen darf, nämlich das Lungengewebe zu verdauen und zu zerstören. Dadurch kann es zu erheblichen Problemen bei der lebenswichtigen Aufnahme von Sauerstoff über die Lungen ins Blut kommen. Das ist der eigentliche Grund dafür, warum Anästhesisten so penibel darauf achten, dass die Vorschriften zur Nüchternheit eingehalten werden.
Nach diesen Erklärungen verstand meine Patientin, warum ich nicht anders handeln durfte. Wir konnten die OP dann eine Woche später erfolgreich durchführen.