01.12.2015

Arzt-Kolumne: Wenn Angst lähmt

Von Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer.
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer. Fotoquelle: privat

Wenn wir Angst haben, reagiert der Körper auf vielfältige Weise. Manche zittern am ganzen Leib, andere verhalten sich panisch, und wieder andere fühlen sich wie gelähmt. In jedem Fall übersteuert das Nervensystem. Es kommt zu einer Verspannung der Muskulatur. Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen verstärken das Angstgefühl zudem.

Weil aber niemand als Angsthase dastehen möchte, sind von diesem pathologischen Angstgeschehen mehr Menschen betroffen, als die Statistik verrät. Das ist umso bedenklicher, als sich die Angstzustände bis zu einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit steigern können – einer "Kinesiophobie", einer krankhaften Angst vor körperlicher Aktivität.

Die Betroffenen bewegen sich vorsichtig, was ihre Rückenmuskeln verkümmern lässt. Wenn sie sich dann doch bewegen müssen, ermüden ihre zurückgebildeten Muskeln rascher als zuvor und schmerzen umso mehr. Das wiederum bewirkt, dass sich die Patienten noch weniger bewegen.

Alles nur, um sich nicht bücken zu müssen

Ich erinnere mich da an den Fall eines etwa 40-Jährigen. Nach einem Bandscheibenvorfall bewegte sich der erfolgreiche Unternehmer immer weniger. Er hatte Angst, mit bestimmten Bewegungen neue Schmerzattacken auszulösen. Deshalb legte er beim Anziehen seine Kleidung so auf den Boden, dass er sich nur darüberstellen musste, um dann Teil für Teil mit einer speziell entwickelten Greifzange hochzuziehen – alles nur, um sich nicht bücken zu müssen.

Ein besonders krasser Fall, keine Frage. Dafür macht er aber auch besonders deutlich, dass solche Patienten psychologische Hilfe brauchen, um überhaupt noch wahrnehmen zu können, dass sie nicht mehr schwer krank sind, es unter Umständen niemals waren.

So weit muss es aber in den meisten Fällen gar nicht kommen – nicht, wenn den Angst auslösenden Schmerzen rechtzeitig begegnet wird. Niemand sollte sich deshalb scheuen, über seine Schmerzen und drohenden Ängste rechtzeitig zu sprechen. Kein Arzt, der seinen Beruf ernst nimmt, wird ihn für wehleidig halten.

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