22.01.2021 Depressionen

Das hilft gegen trübe Stimmung

Von Annette Bulut
"Wer Tag für Tag miterleben muss, wie nahestehende Menschen, die früher eventuell sogar besonders unbeschwert und lebensfroh waren, plötzlich in ein tiefes seelisches Loch fallen, gerät selbst in Gefahr schwermütig zu werden", warnt Dr. Andreas Hagemann.
"Wer Tag für Tag miterleben muss, wie nahestehende Menschen, die früher eventuell sogar besonders unbeschwert und lebensfroh waren, plötzlich in ein tiefes seelisches Loch fallen, gerät selbst in Gefahr schwermütig zu werden", warnt Dr. Andreas Hagemann. Fotoquelle: @Röher Parkklinik

Die Corona-Pandemie macht einsam. Schon vorher waren Angststörungen und Depressionen die häufigsten psychischen Erkrankungen hierzulande. Jetzt warnen Experten vor einer dramatischen Zunahme der Einsamkeit und deren psychischen Folgen. Lesen Sie, welche die größten Depressions-Risiken sind und was hilft.

Depressionen erleiden nicht nur besonders sensible oder labile Menschen. Treffen kann es jeden – Kinder ebenso wie alte Menschen. "Man geht davon aus, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung einmal im Leben von einer Depression betroffen sind", erklärt Dr. Rudolf Jegen, Chefarzt der nordrhein-westfälischen Privatklinik Merbeck. "Bei den Männern sind es etwa zehn, bei den Frauen um die 25 Prozent."

Sicher ist, dass nicht nur die genetische Veranlagung eine Rolle spielt. Vielmehr ist das Zusammenspiel und die Wechselwirkung biologischer Faktoren (Hirnstoffwechselstörungen) und psychosozialer Momente entscheidend – wie aktuell in der Pandemie ein Jobverlust oder Einsamkeit. Seelische Verstimmungen, die auch bei zuvor gesunden Menschen jetzt vermehrt auftreten können.

Typisch Symptome sind tiefe Trauer, Antriebs- und Hoffnungslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Konzentrationsschwäche. Doch auch körperlich bringt diese psychische Störung nicht selten erhebliche Probleme mit sich: manchmal verbergen sich hinter Magen- oder Darmbeschwerden, Schwindel sowie Kopf- und Rückenschmerzen starke Depressionen.

"Depressionen sind eine nicht zu unterschätzende Erkrankung", so Jegen. "Während in der jetzigen trüben Jahreszeit oft auftretende Verstimmungen temporär sind, können Depressionen über Monate und Jahre andauern", erläutert der Facharzt für Anästhesiologie, Psychotherapie, Palliativmedizin, spezielle Schmerztherapie.

Besonders hoch ist das Risiko, an einer Depression zu erkranken, bei Menschen mit körperlichen Leiden. So sind Patienten, die einen Schlaganfall und Herzinfarkt erlitten haben, anschließend besonders häufig depressiv. Auch Angehörige depressiver Menschen sind einem erheblichen Druck ausgesetzt, der sie selbst krank machen kann. "Wer Tag für Tag miterleben muss, wie nahestehende Menschen, die früher eventuell sogar besonders unbeschwert und lebensfroh waren, plötzlich in ein tiefes seelisches Loch fallen, gerät selbst in Gefahr schwermütig zu werden", warnt Dr. Andreas Hagemann, Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen.

Verständnis für Depressive

"Reiß dich doch mal zusammen" – Tipps dieser Art sind bei Depressionen alles andere als förderlich. "Tabu sind vor allem Anweisungen, die den Betroffenen noch mehr unter Druck setzen oder dessen Schuldgefühle verstärken könnten", betont Hagemann. Ersparen sollte man sich auch Kommentare, die dessen Leiden herunterspielen. Denn "Depressionen sind eine schwerwiegende Erkrankung", stellt der Experte klar. Die Einschränkungen in der Lebensqualität sind ähnlich gravierend, wie die bei einer schweren Herzerkrankung.

Gut sei es, sich zu vergegenwärtigen, dass depressive Menschen nur schwer Gefühle zeigen können. "Dahinter steckt auch keine Absicht – sie können zurzeit nicht anders", erklärt Hagemann. Teilweise dominieren bei den Männern zudem Gereiztheit bis hin zu Wut und Aggressivität, was das Miteinander natürlich auch nicht vereinfacht. Angehörige dürfen trotzdem auch bei langanhaltenden depressiven Phasen nicht die Geduld verlieren. Das dies nicht einfach ist – vor allem wenn sich Depressive abweisend oder teilnahmslos verhalten –, wissen viele Angehörige aus eigener Erfahrung.

Sich ablenken

Das Zusammenleben mit einem depressiven Menschen bedeutet in vielen Fällen eine Herausforderung. "Überfordern Sie sich nicht und sorgen Sie auch für sich selbst", rät Hagemann deshalb auch den Angehörigen, Partnern und Freunden eindringlich. Nicht ohne Grund werden Entspannungs- und Meditationskurse – fester Bestandteil der Behandlung von Depressionen - auch den Partnern sehr nahegelegt.

"Regelmäßige Entspannung ist wichtig für die Regeneration von Körper und Geist", erläutert Hagemann. "Sowohl Patient als auch Angehöriger werden dadurch zudem in die Lage versetzt, besser mit belastenden Situationen und Stress umzugehen. Neben typischen Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Interessensverlust leiden depressive Menschen oft unter innerer Unruhe sowie massiven körperlichen und seelischen Anspannungen", so Hagemann.

Besonders bewährt haben sich in diesem Fall die Progressive Muskelrelaxation sowie Autogenes Training. Und auch Yoga gilt als erstklassige Methode, um körperliche Spannungen auf sanfte Weise zu lösen. Der Vorteil: Alle Entspannungsmethoden können zurzeit zuhause und auch zu zweit durchgeführt werden. Oft bringen bereits kleine Lichtblicke einiges. "Ob Wellnessbad, selbstgekochtes Schlemmermenü oder Autogenes Training – wichtig sind regelmäßige kleine Auszeiten zwischendurch", rät der Experte.

Raus und sich bewegen

Gerade jetzt in der Corona-Pandemie sind ein funktionierendes soziales Netzwerk mit guten Freunden sowie abwechslungsreiche Hobbys wichtig. Da diese momentan nur eingeschränkt ausgeübt werden können, ist das umso schwieriger, aber nicht unmöglich: "Regelrecht antidepressiv wirken Sport und viel Bewegung an der frischen Luft. Das ist auch trotz der derzeitigen Pandemielage umsetzbar", versichert Hagemann.

Statt sich zuhause einzuigeln, ist es besser, gerade jetzt aktiv zu werden. Wer regelmäßig joggt oder in die Pedale tritt, der fördert die Produktion des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn – und somit das Gefühl für Glück und Freude. Dabei ist es für einen Start eigentlich nie zu spät – das Okay des Hausarztes vor dem ersten Training vorausgesetzt.

Regelrecht antidepressiv wirken können Wanderungen durch den Wald. "Durch die bessere Durchblutung kommt es zu einer höheren Ausschüttung von Endorphinen, was Stimmung und Glücksempfinden zugutekommt", erläutert der Facharzt. "Zudem werden Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung gefördert."

Hieraus hat sich auch ein neuer Trend gebildet: das Waldbaden als erholsame Auszeit vom Alltag. Neben dem Eintauchen in die Natur werden unter anderem auch die ätherischen Öle, die im Wald quasi in der Luft liegen, zur ganzheitlichen Entspannung genutzt.

Sport wirkt antidepressiv

Auch Sport kann die Stimmung an trüben Tagen aufhellen. Selbst ein wolkenverhangener Himmel lässt noch Licht durch und wirkt so belebend. Schließlich wird stimmungsförderndes Vitamin D zu 90 Prozent durch UV-Strahlung, also Sonnenlicht, in der Haut gebildet.

Lässt das Wetter keine regelmäßigen Abstecher ins Freie zu, so kann eine Lichttherapie das Vitamin D-Defizit etwas ausgleichen. Spezielle Lampen mit 2.500 bis 10.000 Lux (ohne schädlichen UV-Anteil) fördern die Ausschüttung des Glückshormons Serotonin.

Zehn häufige Depressionsrisiken:

Genetische Disposition: Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken, für eine Person um das Dreifache erhöht ist, wenn die Eltern oder Geschwister an einer Depression erkrankt sind, so die Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Leipzig. Es gebe jedoch kein einzelnes Gen, das hauptverantwortlich für die Erkrankung ist. Es sei anzunehmen, dass es zahlreiche genetische Veränderungen gibt, die erst bei einer ungünstigen Konstellation das Erkrankungsrisiko erhöhen. Erstmals ist es außerdem Münchner Forschern gelungen anhand eines genetischen Profils das Erkrankungsrisiko für eine Depression bei Kindern und Jugendlichen vorauszusagen.

Stress: Depressive Phasen werden auch durch Stress und Überforderung am Arbeitsplatz, die berufliche Kündigung oder in der Familie ausgelöst. Bei manchen Menschen genügt bereits eine geringe äußere Belastung, um depressive Symptome hervorzurufen. Das heißt, das Zusammentreffen einer spezifischen Verletzlichkeit mit Stress führt zu depressiven Symptomen.

Fastfood: Pommes, Pizza, Burger – eine fettreiche Fastfood-Ernährung fördert Entzündungen im Organismus. Dies kann das Risiko für eine Depression unmittelbar erhöhen. Der Grund: Chronische Entzündungen können entzündliche Moleküle ins Gehirn transportieren. Auch die für die Stimmungsregulation verantwortlichen Moleküle können von den Entzündungen beeinflusst werden. Umgekehrt belegen Studien, dass sich das Risiko, depressiv zu werden, durch einen ausgewogenen Speiseplan reduzieren lassen kann. Neben Omega-3-Fettsäuren wirken Folsäurehaltige Lebensmittel wie etwa Spinat, Spargel und Petersilie stimmungsaufhellend.

Pille: Die regelmäßige Einnahme der Anti-Baby-Pille bereits während der Pubertät, erhöht das Risiko später als erwachsene Frau an Depressionen zu erkranken deutlich. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2019. Das Risiko kann bis zu dreimal höher sein als bei Frauen, die die Pille erst im Erwachsenenalter nehmen.

Schlafstörungen: Ein- und Durchschlafprobleme sowie permanentes frühes Aufwachen können mögliche Ursachen einer tiefgreifenden psychischen Verstimmung sein – in manchen Fällen sind sie aber auch nur Symptom einer Depression. Auslöser der Schlafstörungen sind meist permanentes Grübeln und innere Anspannung.

Übergewicht: Dass Übergewicht Depressionen auslösen kann, belegen verschiedene Studien. Diskriminierung und Vorurteile beeinträchtigen das Selbstwertgefühl und die Stimmungslage übergewichtiger Menschen erheblich. Aber auch gesundheitliche Folgebeschwerden des Übergewichts wie etwa Bluthochdruck und Diabetes sind eine wesentliche Ursache. Darüber hinaus steigt das Depressionsrisiko bei übergewichtigen Menschen durch deren erhöhte Produktion von Zytokinen (Botenstoffen) beziehungsweise dem damit verbunden Anstieg entzündlicher Prozesse.

Schlaganfall und Herzinfarkt: Nicht selten folgt nach einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt eine depressive Verstimmung des Patienten. Bei der Mehrheit der älteren Betroffenen, etwa 80 Prozent, sind die Anzeichen zunächst körperlicher Natur. Erst später werden die psychischen Veränderungen deutlich. Bezeichnend ist, dass die Betroffenen häufiger über ihren allgemeinen Gesundheitszustand und weniger über ihren Gemütszustand klagen.

Rauchen: Die Zahl der Raucher ist unter Depressionskranken deutlich höher als unter Menschen, die nicht von der psychischen Erkrankung betroffen sind. Psychiater legen Patienten deshalb nahe, mit dem Rauchen aufzuhören. Bei leichten depressiven Verstimmungen kann allein das Aufhören des Rauchens schon eine antidepressive Wirkung haben.

Chronischer Lärm: Chronischer Verkehrslärm kann das Risiko für Depressionen erhöhen. Frankfurter Wissenschaftler untersuchten für eine Studie fünf Jahre lang die gesundheitlichen Folgen von Flug-, Straßen- und Schienenlärm in den Regionen Rhein-Main, Köln-Bonn und Stuttgart. Ein erhöhtes Risiko, an Depressionen zu erkranken, habe sich vor allem bei Menschen gezeigt, die dauerhaft Fluglärm ausgesetzt seien, so die Forscher.

Kontaktarmut und Einsamkeit: Social Distancing ist wichtig, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen - es kann sich aber auch auf die Psyche negativ auswirken, so Dr. Carina Remmers, klinische Psychologin und Psychotherapeutin aus Berlin. Empfundene Einsamkeit können laut Techniker Krankenkasse depressiv machen und das Immunsystem schwächen.

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