22.02.2021 Arzt-Kolumne

Macht Übergewicht depressiv?

Von Andreas Hagemann
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler.
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler. Fotoquelle: Röher Parkklinik

    "Ich schäme mich wegen meines Übergewichts. Am liebsten würde ich gar nicht mehr aus dem Haus gehen. Auch im Büro muss ich abfällige Blicke ertragen. Das macht mich sehr traurig", beschrieb mir eine 55-jährige stark übergewichtige Bürokauffrau ihre seelischen Beschwerden.

    Unter Depressionen und Übergewicht leidet ein Großteil der Bevölkerung. Noch schwerer wird es für die Betroffenen, wenn beides zusammenkommt – und das ist weitaus häufiger der Fall als oft vermutet: Experten gehen davon aus, dass über 40 Prozent aller Menschen mit Depressionen auch übergewichtig sind. Und rund 25 Prozent der Menschen mit starkem Übergewicht sind auch depressiv. Das Risiko, als Übergewichtiger an Schwermut zu erkranken, liegt damit um 50 Prozent höher als bei normalgewichtigen Menschen.

    Dass Übergewicht Depressionen auslösen kann, belegen verschiedene Studien. Wie bei meiner Patientin beeinträchtigen Diskriminierung und Vorurteile das Selbstwertgefühl und die Stimmungslage übergewichtiger Menschen erheblich. Aber auch gesundheitliche Folgebeschwerden des Übergewichts wie etwa Bluthochdruck und Diabetes sind eine wesentliche Ursache. Darüber hinaus steigt das Depressionsrisiko bei übergewichtigen Menschen durch deren erhöhte Produktion von Zytokinen (Botenstoffen) beziehungsweise dem damit verbundenen Anstieg entzündlicher Prozesse.

    Ich riet meiner Patientin zu Spaziergängen. Bewegung ist nicht nur gut gegen überschüssige Pfunde, sondern auch gegen anhaltende Verstimmungen. Regelrecht antidepressiv wirken können Wanderungen. Stimmungsförderndes Vitamin D wird zu 90 Prozent durch UV-Strahlung, also Sonnenlicht, in der Haut gebildet. Zudem kommt es durch die bessere Durchblutung zu einer höheren Ausschüttung von Endorphinen, was sich positiv auf Stimmung und Glücksempfinden auswirkt. Auch Fahrradfahren und Schwimmen fördert die Produktion des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn – und somit das Gefühl für Glück und Freude.

    Sind alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft und das Übergewicht gesundheitsgefährdend, so bleibt oft nur noch ein operativer Eingriff. Die sogenannte bariatrische Chirurgie kann dabei helfen, sowohl das Gewicht zu reduzieren als auch die psychische Befindlichkeit zu verbessern. Doch dieser schwerwiegende Eingriff sollte keinesfalls ohne psychotherapeutische Behandlung erfolgen, da die Konsequenzen des Eingriffs für die betreffende Person nicht zu überblicken sind

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