17.04.2023 Arzt-Kolumne

Depressiv oder dement?

Von Dr. Andreas Hagemann
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck. Diese Kliniken für Psychiatrie und Psychosomatik sind neben Burnout und Depressionen auf Angstund Panikstörungen spezialisiert.
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck. Diese Kliniken für Psychiatrie und Psychosomatik sind neben Burnout und Depressionen auf Angstund Panikstörungen spezialisiert. Fotoquelle: Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck

Demenz gehört zu den am meisten gefürchteten Krankheiten unserer Zeit. Doch einige Symptome, die augenscheinlich auf Demenz hindeuten, können ganz andere Ursachen haben. Ein Facharzt klärt auf.

„Immer öfter fallen mir Wörter nicht mehr spontan ein oder ich vergesse Namen von Personen, die mir eigentlich geläufig sein müssten“, berichtete mir in meiner Sprechstunde kürzlich die 57-jährige Redakteurin einer großen Tageszeitung. „Das ist für mich besonders fatal, da ich in meinem Beruf darauf angewiesen bin, gut zu formulieren und Namen parat zu haben. Können das Anzeichen von beginnender Demenz sein, oder was ist mit mir los?“, fragte mich die Mutter zweier Kinder, die sich erst kürzlich von ihrem Ehemann getrennt hatte. „Zu schaffen macht mir auch meine Trennung. Ich bin so antriebslos und traurig, alles ist plötzlich so schwer geworden. Ich kenne mich so nicht. Diese Mischung aus Vergesslichkeit und Antriebslosigkeit macht mir im Job langsam echte Probleme“, ergänzte die Frau.

„Es könnte sich in Ihrem Fall um eine sogenannte Pseudodemenz handeln, deren Ursache Depressionen sind. Neben typischen Symptomen wie Antriebsverlust, Verstimmungen und Trauer, kommt es dabei vielfach zu Störungen der Konzentrationsund Merkfähigkeit“, erklärte ich meiner Patientin. Durch das unübersichtliche Beschwerdebild wird häufig irrtümlich eine Demenz vermutet. Doch diese entpuppt sich bei tiefgehender medizinischer und therapeutischer Analyse in sehr vielen Fällen als sogenannte Pseudodemenz. Der Unterschied ist, vereinfacht dargestellt, dass bei einer „echten Demenz“ das Archiv, in welchem das Wissen abgelegt wird, kaputt geht und bei einer sogenannten Pseudodemenz auf das Wissen nicht aktiv zugegriffen werden kann. Der „Archivar“ ist erkrankt. „Welche Ursache bei Ihnen vorliegt, müssen wir nun abklären“, sagte ich der Redakteurin. Eine sichere Diagnose ist oft schwierig und in der Regel nicht ad hoc zu treffen, denn auch bei Menschen mit einer Demenz bestehen nicht selten Symptome einer Depression. Sie verfallen neben der Vergesslichkeit in Trübsinn und Verzweiflung, was wiederum irrtümlich zur Diagnose Depression führen kann. Neben den psychischen Beschwerden treten bei älteren Patienten oftmals körperliche Symptome in den Vordergrund, was eine sichere Diagnose zusätzlich erschwert. Denn hinter Rückenschmerzen, Herzrhythmusstörungen, Magen und Darmproblemen oder Schwindel sowie anderen körperlichen Funktionsstörungen verbirgt sich nicht selten eine psychische Belastung beziehungsweise die Erkrankungen an sich stellen auch eine Belastung dar.

Die Schwierigkeit ist nun, herauszufinden, was die Ursache und was das Symptom ist. Bei allen Depressionserkrankungen ist eine fachgerechte und professionelle Behandlung generationsübergreifend das A und O. Damit die Beschwerden nicht chronisch werden, sollte grundsätzlich bei länger als zwei oder drei Wochen andauernden Depressionen der Hausarzt aufgesucht werden. Dieser kann beurteilen, ob psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe erforderlich ist – und ob es sich bei der Erkrankung wirklich um eine Depression oder eventuell „nur“ um eine Verstimmung handelt. Zudem kann er bei dem Verdacht auf eine Demenz eine neurologische und neuropsychologische Untersuchung in die Wege leiten, bei welcher die Differenzierung zwischen Symptom und Ursache stattfinden kann.

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