05.07.2016 prisma-Serie (9)

Frage des Anspruchs

Sitzplatz im Strom der Zeit: Genuss ist, was die finanziellen Mittel zulassen.
Sitzplatz im Strom der Zeit: Genuss ist, was die finanziellen Mittel zulassen. Fotoquelle: Pavel1964 / Shutterstock.com

Plötzlich so viel Zeit! Wie Ruheständler damit umgehen, ohne den Kopf zu verlieren.

Die Kunst, alt zu werden, hängt von vielen Faktoren ab. Von der Gesundheit, der Einstellung zum Leben und sich selbst – und von den finanziellen Möglichkeiten.

Der Report "Ruhestandsplanung und Management 2016" des Lebensversicherers AXA mit insgesamt 3324 Interviews aus dem gesamten Bundesgebiet kommt zu dem Ergebnis: Zwei Drittel der Ruheständler freuen sich, "machen zu können, was man will".

Und 56 Prozent finden es klasse, "mehr Zeit zur Verfügung zu haben". Beides kann sehr teuer sein. Beides kann aber auch in bescheidenem Rahmen glücklich machen.

Für denjenigen, der die Freiheit tun zu können, was man will, mit Luxus-Reisen, Spielcasinos und modischen Extravaganzen verbindet, könnte sich schnell herausstellen, dass die Jahre lang, die Mittel aber begrenzt sind.

Ruheständler (Rentner wie Pensionäre) sind mehrheitlich nicht auf Rosen gebettet. Sie sorgen sich, wiederum gemäß AXA-Report, um Rentenkürzungen (36 Prozent), Stabilitätsverlust in Deutschland (34 Prozent) und Verarmung (27 Prozent).

Sie dürften es eher halten wie der begnadete walisische Schriftsteller John Cowper-Powys (1872–1963), der nach einem langen und entbehrungsreichen Leben, das oft von Magengeschwüren und bescheidenen Einnahmen begleitet war, frohen Herzens in seine Achtzigerjahre marschierte. Auf seinen Spaziergängen, die er noch recht flotten Schrittes unternahm, begrüßte er "die knorrigen und verhutzelten Bäume meiner Heimat, wie ein stilles Signal von hohem Alter zu hohem Alter".

Am liebsten auf dem Land

Das Leben auf dem Lande scheinen Ruheständler ohnehin zu bevorzugen. Die Initiative "Deutschland – Land der Ideen" fand im Auftrag der Deutschen Bank heraus, dass "75 Prozent der Landbewohner glauben, dass ihr soziales Netz sie auch im Alter vor Einsamkeit" bewahre. Ein soziales Netz, das nichts mit Facebook zu tun hat.

Nimmt es Wunder, dass die meisten Deutschen ein Häuschen, vorzugsweise auf dem Lande, als finanzielle Alterssicherung im Sinn haben? Laut AXA-Report schwebt 34 Prozent der Deutschen eine Immobilie, ob eigengenutzt oder vermietet, als Anlage vor, klar vor Spareinlagen (11 Prozent) oder Aktien (8 Prozent).

Und das schöne ungebundene Reisen im Alter? Die viele Zeit, die zur Verfügung steht? Halb so wild. Es zieht nicht mehr jeden an den Amazonas, wenn er die 70 überschritten hat.

Der eigene Garten, ein gemütliches Zuhause, ab und an eine preiswerte Kreuzfahrt, mehr erträumen sich die meisten nicht. Und ein bisschen was muss übrigbleiben für Kinder und Enkel ...