25.02.2020 Besser hören

Was Hörgeräte heute alles können

Von Anne Richter

Wenn das Hören schwer fällt, können Hörsysteme Abhilfe schaffen. Moderne Hörgeräte sind längst keine auffälligen Kästen mehr, sondern kleine "Computer", die unauffällig im oder hinter dem Ohr getragen werden. Sie können dank Digitalisierung in vielen Bereichen optimal auf die Bedürfnisse des Trägers ausgerichtet werden.

Es gibt verschiedene Hörgeräte-Typen: Am weitesten verbreitet sind die Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte (HdO). Sie bestehen aus einem Ohrpassstück, das in der Ohrmuschel sitzt und in dem oft sogar ein kleiner Lautsprecher eingebaut ist. Das eigentliche Gerät, der Verstärker, wird hinter der Ohrmuschel getragen. Die beiden Teile sind mit einem transparenten Schlauch oder einem Kabel verbunden. "Etwa 93 Prozent der Hörgeräte hierzulande gehören in diese Gruppe", berichtet Horst Warncke, Audiologie-Experte des Bundesverbandes der Hörgeräte-Industrie (BVHI).

Eine weitere Option sind die In-dem-Ohr-Hörgeräte (IdO), die nahezu unsichtbar im Gehörgang getragen werden. "Viele Träger wünschen sich IdO-Geräte", sagt Warncke. Doch seien mittlerweile die HdO-Geräte oft sogar unauffälliger, insbesondere bei einem größeren Hörverlust. Dann nämlich werden die IdO-Geräte größer, um genug Leistung zu bringen. Die Standards für Hörsysteme sind schon heute hoch, sagt Warncke: Lästiges Pfeifen gibt es dank Rückkopplungsunterdrückung nicht mehr, die Systeme arbeiten volldigital, Störgeräusche werden ausgefiltert, verschiedene Hörprogramme sorgen für eine Anpassung an die jeweilige Hörsituation, etwa ein ruhiges Gespräch oder das Hören von Musik.

Modernste Geräte können auch heute schon mehrere Sprecher aus verschiedenen Richtungen erkennen und dabei störende Hintergrundgeräusche absenken. In der Forschung, so Warncke, wird daran gearbeitet, die Hörgeräte breitbandiger zu machen, also hohe und tiefe Töne noch besser zu übertragen. Außerdem soll mehr Dynamik ermöglicht werden, und die Hersteller möchten das räumliche Hören besser abbilden, als das heute möglich ist. "Die Geräte müssen aber nicht noch kleiner werden", sagt Warncke. Schließlich müsse es Platz für die Bedienelemente und hinreichend große Batterien geben.

Auf dem Vormarsch sind außerdem Hörgeräte mit Akkus. Diese sind inzwischen trotz ihrer geringen Größe so leistungsfähig, dass sie 16 bis 20 Stunden Laufzeit ermöglichen. Zahlreiche Hersteller bieten in Zeiten der Digitalisierung auch Funktionen an, bei denen die Hörgeräte den Ton von anderen Geräten direkt empfangen. So können viele Smartphones beispielsweise die Telefongespräche aber auch Musik direkt ins Hörgerät übertragen. Auch die Kopplung mit Fernsehgeräten ist möglich, ebenso Smart-Home-Anwendungen wie die Übertragung des Türklingel-Geräusches. Möglicherweise, so Warncke, können mit der neu - en Bluetooth-LE-Technik künftig auch im Öffentlichen Raum Informationen direkt ins Hörgerät gesendet werden. "Denkbar sind Durchsagen am Bahnhof oder die Tonspur des Kinofilms", gibt der Audiologie-Experte Beispiele.

REGELMÄSSIGE VORSORGE

Professor Dr. Martin Walger arbeitet in der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie an der Uniklinik Köln. Er hat die audiologische und pädaudiologische Leitung am Cochlear Implant Centrum Köln (CIK).

Woran erkennt man, dass das eigene Gehör nachlässt? Und ist das eine Frage des Alters?

Professor Dr. Martin Walger: Ein nachlassendes Gehör fällt in der Regel dadurch auf, dass Sprache besonders in schwierigen Hörsituationen schlechter verstanden wird, das Hören zunehmend anstrengen - der wird und es zu Missverständnissen kommt. In unserer modernen Kommunikation wird das Sprachverstehen besonders durch Hintergrundgeräusche, etwa den Straßenverkehr, Maschinenlärm oder Musik, "konkurrierende" Sprecher wie in der Cocktail-Party-Situation oder schlechter Raumakustik, etwa in großen, halligen Räumen, deutlich erschwert. Oftmals fällt es zuerst den Angehörigen auf, dass der Schwerhörige falsch versteht, öfter nachfragen muss oder das Radio und den Fernseher auffällig laut einstellt. Da die Hörfähigkeit mit dem Alter abnimmt, verstärken sich damit auch die Kommunikationsprobleme. Von dieser Altersschwerhörigkeit sind bereits 40 Prozent der über 65-Jährigen betroffen, und angesichts unserer immer älter werdenden Gesellschaft ist die Tendenz steigend. Die frühzeitige Diagnose, Therapie und Rehabilitation – zunächst Hörgeräteversorgung, bei hochgradigen Schwerhörigkeiten kommt auch das Cochlea-Implantat infrage – ist daher nicht nur bei Kindern, sondern auch im fortgeschrittenen Alter von großer Bedeutung.

Was sind die größten vermeidbaren Gefahren für das Gehör, die zu einem Hörverlust führen können?

Walger: In erster Linie sollten wir uns vor unnötiger Lärmbelastung schützen, das heißt, konsequent am Arbeitsplatz Lärmschutz tragen. Auch heute noch ist die Lärmschwerhörigkeit eine der häufigsten Berufskrankheiten. Auch durch laute Musik, sei es auf Konzerten oder in Diskotheken in der Nähe der Lautsprecher oder die zu laute Beschallung über Kopfhörer, insbesondere Einsteckhörer, können dauerhafte Hörschäden entstehen. Eine zweistündige Beschallung von 100 dB pro Woche kann bereits zu dauerhaften Schäden der empfindlichen Sinneszellen in der Hörschnecke führen und auch lästige Ohrgeräusche –Tinnitus – auslösen. Besonders schädlich für unser Gehör sind auch kurze Impulsschallbelastungen, die etwa im Schießsport oder durch Knallkörper und Silvesterraketen entstehen. Hier kann bereits ein einzelnes ohrnahes Schallereignis zu einem dauerhaften Hörschaden führen.

Was können Eltern tun, damit ihre Kinder ein gutes Gehör haben beziehungsweise entwickeln? Gibt es Kinderkrankheiten, die für das Hörvermögen gefährlich werden können?

Walger: Eltern können bereits im frühen Kindesalter dazu beitragen, dass sich das Gehör der Kinder möglichst gut entwickelt und unnötige Schädigungen verhindert werden. Bereits im Kindesalter kann man die große Bedeutung des Hörens spielerisch unterstützen und die Kinder dazu ermuntern, ihre empfindlichen Ohren zu schützen. Auf Musik- oder Sportveranstaltungen sollte spezieller Kinder-Hörschutz getragen werden. Auf unnötig laute Kinderspielzeuge sollte verzichtet werden. Die Lautstärke von Video- und Computerspielen, von Musikanlagen oder Kopfhörer sollten kontrolliert und so begrenzt werden, dass kein dauerhafter Hörschaden entstehen kann. Dabei sollten Pegel von 85 Dezibel nicht überschritten werden. Feuerwerkskörper sollten nicht in Ohrnähe abgefeuert werden. Hier ist auf ausreichenden Abstand zu achten. Da dauerhafte Hörstörungen – Schallempfindungsschwerhörigkeiten – bei zwei bis drei von 1000 Normalgeburten auftreten, sollten werdende Eltern unbedingt darauf achten, dass bereits auf der Geburtsstation ein Neugeborenen-Hörscreening durchgeführt wird. Dieser objektive Hörtest muss von allen Geburtseinrichtungen verpflichtend angeboten und, laut GBA Beschluss mit Wirkung vom 1. Januar 2009, durchgeführt werden. Bei einer Screening-Auffälligkeit ist unbedingt eine Kontrolluntersuchung durchzuführen, um eine frühzeitige Hörstörung zu erkennen. Auch nach der Geburt können während der kindlichen Entwicklung Schwerhörigkeiten durch Infektionen des Ohres, beispielsweise schwere Mittelohrentzündungen, durch toxische – wie hochdosierte Antibiotika oder bei Chemotherapie – oder traumatische Ursachen wie Schädelverletzungen entstehen.

Wie regelmäßig sollte man sein Hörvermögen überprüfen lassen und ab welchem Alter?

Walger: Im Kindesalter sollte ein bis zwei Mal jährlich eine Überprüfung des Gehörs stattfinden. Dies kann im Rahmen der vorgeschriebenen U-Untersuchungen erfolgen. Liegt ein konkreter Verdacht auf eine kindliche Schwerhörigkeit vor, sollten spezialisierte Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Fachärzte oder ausgewiesene pädaudiologische Zentren aufgesucht werden. Bei einer bereits diagnostizierten Schwerhörigkeit kann eine häufigere Kontrolluntersuchung sinnvoll sein. Bei Jugendlichen und Erwachsenen sollte einmal jährlich das Hörvermögen überprüft werden. Liegt der Verdacht auf eine Hörstörung vor, sollte dies nicht bagatellisiert, sondern umgehend abgeklärt werden. Im fortgeschrittenen Alter wäre es wünschenswert, wenn ab dem 60. Lebensjahr verpflichtend eine Überprüfung des Gehörs erfolgt.

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