23.08.2021 Arzt-Kolumne

Was ist dran am Mythos "Alkohol schützt das Herz"?

Von Heinz-Wilhelm Esser
Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser ist Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie am Sana-Klinikum Remscheid und bekannt als "Doc Esser" in TV und Hörfunk sowie als Buchautor.
Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser ist Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie am Sana-Klinikum Remscheid und bekannt als "Doc Esser" in TV und Hörfunk sowie als Buchautor. Fotoquelle: WDR/Herby Sachs

"Ich tue täglich etwas Gutes für mein Herz: Jeden Abend trinke ich ein Glas Rotwein", berichtete mir ein 56 Jahre alter Patient kürzlich in meiner Sprechstunde. "So werde ich bestimmt 100 Jahre alt", fügte er scherzhaft hinzu.

So wie der 56-Jährige argumentieren viele meiner Patienten. Sie sind der Auffassung, dass sie sich regelmäßig ein Glas genehmigen "dürfen", weil Rotwein eine herzschützende Wirkung habe. Und wer kennt den Spruch nicht: "Ein Gläschen in Ehren kann keiner verwehren".

Tatsächlich ist in Rotwein Resveratrol enthalten, ein Stoff, der sich unter anderem günstig auf die Herzgesundheit auswirken soll. Dieser sekundäre Pflanzenstoff kommt hauptsächlich in der Traubenschale und in geringeren Konzentrationen in den Traubenkernen, Stielen und Reben vor. In den 1990er Jahren standen die Forscher vor dem Rätsel, warum die Rate der Herzinfarkte in Südfrankreich deutlich geringer war als in vergleichbaren europäischen Ländern. Und das, obwohl die Menschen dort häufiger rauchten und einen sehr hohen Rotweinkonsum hatten. Das Phänomen wurde das "Französische Paradoxon" getauft – als Ursache galt Resveratrol. So wurde lange Zeit Rotwein zur Herzprophylaxe empfohlen.

"Mittlerweile gibt es allerdings keine ärztliche Empfehlung mehr für das Gläschen Rotwein am Abend. In einer aktuellen Übersichtsstudie wird sogar sehr deutlich nachgewiesen, dass Alkohol bereits ab dem ersten Glas schädliche Auswirkungen auf die Herzgesundheit hat", klärte ich meinen Patienten auf.

Der Grund: Alkohol weitet die Gefäße und sorgt für einen Anstieg des Blutdrucks. Deshalb können Bluthochdruck-Patienten allein durch den Verzicht auf Alkohol bereits bessere Blutdruckwerte erreichen. Zudem bringt Alkohol das Herz aus dem richtigen Takt. Denn durch Alkoholgenuss schlägt das Herz schneller. Im schlimmsten Falle kommt es zu Herz-Rhythmusstörungen wie beispielsweise Vorhofflimmern. "Sie müssen sicherlich nicht komplett auf ein gutes Glas Wein oder ein Glas Bier verzichten. Aber denken Sie daran: Hier macht wirklich die Dosis das Gift. Genießen Sie, aber bitte sehr maßvoll", empfahl ich meinem Patienten.

 

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