Durch den Darm wandern permanent unterschiedliche Stoffe. Einige von ihnen können ernste Beschwerden auslösen, wenn sie ihre vorgegebene Bahn verlassen.
Ist die Darmflora nicht mehr intakt, kann es sich um das Leaky-Gut-Syndrom (englisch für "löcheriger Darm") handeln: ein vergleichsweise junges Phänomen, das eher einen Zustand als eine Krankheit beschreibt, wie Marco Soltau, Hamburger Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, sagt. "Die Zellverbindungen in der Darmwand sind dann nicht dicht genug. So können Stoffe aus dem Darminneren unkontrolliert in den Körper gelangen." Die möglichen Folgen sind vielfältig, individuell verschieden und umfassen unter anderem diverse Immunreaktionen. "Die meisten Patienten haben reizdarmähnliche Beschwerden, zu viel Luft im Bauch, leiden unter einer diffusen Abgeschlagenheit, Müdigkeit und häufig einer Infektanfälligkeit", sagt der Arzt. Letztere äußere sich zum Beispiel in häufigen Hals-Nasen-Rachen-Entzündungen oder in wiederkehrenden Harnwegsinfektionen. Andere Patienten litten unter Gelenkbeschwerden. "Auch schwer einstellbare Neurodermitis taucht immer wieder auf", sagt Soltau.
Diffuse Symptome
"Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer an Betroffenen aus", sagt Soltau. Viele Fälle blieben unentdeckt, da Patienten ihre im Zweifel diffusen Beschwerden in Kauf nähmen oder der Hausarzt sie nicht zu einem Gastroenterologen überweise, der auf die Behandlung der Darmflora spezialisiert sei. Bis solche Patienten an den richtigen Mediziner gerieten, vergehe viel Zeit. Bei der Behandlung sei vor allem das Wissen um das Syndrom entscheidend, sagt Soltau. "Standarduntersuchungen wie etwa ein regulärer Stuhltest, eine Magen- oder Darmspiegelung geben keinen Hinweis auf ein Leaky-Gut-Syndrom." Nur die Analyse der Darmflora und eventuell eine Untersuchung auf bestehende Nahrungsmittelallergien führe in Kombination mit einer gründlichen Anamnese zu einer verlässlichen Diagnose. Habe der Hausarzt nach einem gründlichen Check-up andere ernste Erkrankungen ausgeschlossen, sollte demnach die Aufmerksamkeit auf die Darmflora gelenkt werden.
Das Darm-Mikrobiom steht nach neuesten Forschungsergebnissen im Zentrum der Behandlung. "Das Syndrom entsteht unter anderem durch ein Ungleichgewicht der Bakterienpopulationen im Darm. Unter anderem liegt das an zu kohlehydratreicher Ernährung", erklärt Soltau. Müsse sich der Patient dann noch einer Antibiotikatherapie unterziehen, steige das Risiko enorm, sofern keine Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Darmflora getroffen würden. „Mit einer Ernährungsumstellung und dem Wiederaufbau des Darmflora-Gleichgewichts lässt sich das Leaky-Gut-Syndrom gut therapieren.“ Bis zur vollständigen Genesung vergingen meist sechs bis 18 Monate.