21.08.2018 Organspende

"Man kann helfen wollen und Angst haben"

Von Claudia Kook

Nach einem historischen Tiefpunkt ist die Zahl der Organspenden 2018 wieder leicht gestiegen. Doch immer noch fehlen Spender. Warum fällt diese Entscheidung vielen so schwer?

Laut Deutscher Stiftung für Organtransplantation konnten hierzulande in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 Herz, Lunge, Niere, Leber oder andere Organe von 484 hirntoten Patienten entnommen werden. Das waren 72 mehr als im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres, doch 2017 erreichte die Zahl der Organspenden auch einen historischen Tiefpunkt – diesen Rückgang allein auf die Skandale um gefälschte Krankenakten vor einigen Jahren zurückzuführen, ist der Psychologin Dr. Sylvia Kröncke zu kurz gefasst. Sie arbeitet mit dem Schwerpunkt Transplantationspsychologie am "Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie" des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. "Leider werden von Krankenhäusern nicht alle Spender gemeldet", sagt sie. Verantwortlich seien außer finanziellen und organisatorischen Hindernissen auch emotionale und zwischenmenschliche Gründe.

Wie entscheidend ist die Angst vor Missbrauch für die Spendenbereitschaft?

Sicherlich gibt es sie. Aber die grundsätzliche Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung ist, wie Umfragen zeigen, gleich geblieben– mit rund 70 Prozent. Als Gründe nennen Befragte, dass sie anderen helfen könnten, ihrem eigenen Tod einen Sinn geben könnten und sie selbst wollen würden, dass jemand ihnen hilft. Allerdings kann man helfen wollen und Angst haben. Wenn beides gleich wiegt, das wissen wir aus der Forschung, entscheiden sich Menschen dagegen.

Warum haben Menschen Angst und entscheiden sich gegen eine Organspende?

Es gibt viele Gründe. Selbstverständlich gibt es die Ablehnung aus religiösen Motiven, obwohl sich alle großen Religionen für Organspende aussprechen. Grundsätzlich befassen wir Menschen uns alle nicht gerne mit unserem Tod oder dem unserer Angehörigen. Manche befürchten, dass ihnen nicht ausreichend medizinisch geholfen wird, wenn sie einen Spendeausweis besitzen. Andere verwechseln Hirntod und Koma und fürchten, die Maschinen könnten zu früh abgestellt werden. Wissen könnte die Angst nehmen. Aus dem Hirntod gibt es keine Rückkehr.

Dieses Wissen könnten die Klinikmitarbeiter im Gespräch mit den Angehörigen vermitteln, oder nicht?

Ja, aber bei Klinikmitarbeitern gibt es den größten Wandel. In Umfragen ist ihre Meinung zu Organspenden negativer als die der Bevölkerung allgemein. In Krankenhäusern ist anscheinend wesentlich, wie die Chefetage eingestellt ist und auch welche Ressourcen zur Verfügung stehen. Zum Beispiel muss in Häusern mit wenigen Intensivbetten entschieden werden, ob diese für eine Organentnahme belegt bleiben oder für andere Patienten benötigt werden. Psychologisch verständlich, finde ich, wenn Mitarbeiter sich mehr mit ihrem Patienten solidarisieren, dem sie helfen wollten, als mit möglichen Empfängern. Die persönliche Auffassung zu Organspenden kann die Gespräche mit Angehörigen beeinflussen. Manchmal ist auch einfach die Gesprächsführung ungeschickt oder die Frage nach einer Spende wird gar nicht gestellt, weil es unangenehm ist. 27 Prozent der Angehörigen, das ist etwa gleichbleibend, sagen Nein. Sie sollen den mutmaßlichen Willen des Patienten mitteilen, obwohl selten vorher darüber gesprochen wurde. Im Zweifel neigen sie zum Nein, wollen nichts falsch machen. Mein Appell: Jeder sollte einen Ausweis ausfüllen, auch wenn er darin eine Spende ablehnt. Das würde allen helfen.

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