30.01.2023 Weltkrebstag

Normal leben trotz Krebs

Von Annette Schneider
Prof. Dr. Bastian von Tresckow, Stellvertretender Direktor der Klinik für Hämatologie und Stammzellentransplantation, Leiter des CAR-T-Zell-Programms und des Schwerpunkts Lymphome an der Universitätsmedizin Essen.
Prof. Dr. Bastian von Tresckow, Stellvertretender Direktor der Klinik für Hämatologie und Stammzellentransplantation, Leiter des CAR-T-Zell-Programms und des Schwerpunkts Lymphome an der Universitätsmedizin Essen. Fotoquelle: Universitätsmedizin Essen

Die Diagnose Krebs bedeutet oft eine harte Zäsur im Leben der Betroffen. Früher riss sie die Patienten meist komplett aus ihrem Alltag. Das gilt heute zum Glück oft nicht mehr. Denn Krebsfrüherkennung und moderne Therapieformen ermöglichen immer häufiger ein weitestgehend normales Leben – trotz Krebs. Lesen Sie das große prisma-Interview anlässlich des Weltkrebstages 2023 mit zwei der führenden Krebsexperten Deutschlands über die neuesten Therapien und Heilungschancen.

Prof. Martin Schuler und Prof. Bastian von Tresckow arbeiten beide am Westdeutschen Tumorzentrum der Universitätsmedizin Essen. Schuler gehört zu den führenden Krebsexperten in Deutschland auf dem Gebiet der Präzisionsonkologie und Immuntherapie. Von Tresckow gilt als Top-Experte in der Gen- und Zelltherapie.

Onkologen betrachten Krebs mittlerweile als Erkrankung der Gene und jeden Tumor als einzigartig, setzen deshalb zunehmend auf individuelle, zielgerichtete Therapien. Doch nur wenige Patienten wissen um die Möglichkeiten dieser "Präzisionsonkologie". Grundlage dafür ist das sogenannte "Tumorprofiling". Dazu wird Tumorgewebe mittels einer Biopsie oder während einer Operation entnommen. Im Labor kann dies auf sogenannte Biomarker getestet werden, die eine Auswahl möglichst zielgerichteter und effizienter Therapien ermöglichen.

Bei Krebstherapie kommen den meisten Chemotherapie, Strahlentherapie und Operation in den Sinn. Auch die Immuntherapie ist vielen mittlerweile geläufig. Noch nicht so bekannt ist hingegen die CAR-T-Zell-Therapie, eine relativ junge Behandlungsoption, die Eigenschaften der Immun-, Zell- und Gentherapie vereint.

Was versteht man unter der CAR-T-Zellen-Therapie?

Prof. Bastian von Tresckow: CART-T ist die Abkürzung für „Chimäre Antigen-Rezeptor-T-Zellen“. Bei der CAR-T-Zellen-Therapie werden T-Zellen aus dem Blut des Patienten gewonnen und sozusagen mit einem Rezeptor „bewaffnet" (chimärer Antigenrezeptor = CAR), der bestimmte Eiweißmoleküle auf Krebszellen erkennt und bekämpft. T-Zellen sind Bestandteil des menschlichen Immunsystems und dafür verantwortlich, krankhafte Veränderungen der Körperzellen, wie beispielsweise Krebszellen, zu erkennen und diese je nach T-Zellart zu zerstören. Die CAR-T-Zell-Therapie kann durch gentechnische Methoden die T-Zellen so modifizieren, dass sie die Krebszellen zielgenau nach dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip" binden und zerstören können.

Was unterscheidet sie von anderen herkömmlichen Methoden?

Prof. Bastian von Tresckow: Chemo-, Strahlentherapie und Operation kommen den meisten beim Gedanken an eine Krebstherapie sofort in den Sinn. Auch die Immuntherapie ist vielen geläufig. Noch nicht so bekannt ist hingegen die CAR-T-Zell-Therapie, eine noch relativ junge Behandlungsoption, die Eigenschaften der Immun-, Zell- und Gentherapie vereint. Die Besonderheit ist, dass quasi mit „lebenden Medikamenten“ therapiert wird, da Patienten mit den eigenen modifizierten T-Zellen behandelt werden.

Ist sie für alle Patienten geeignet?

Prof. Bastian von Tresckow: Die Therapie ist mittlerweile zugelassen für mehrere Krebserkrankungen des lymphatischen Systems. Das heißt, konkret zur Behandlung von B-Zell-Lymphomen, einem Lymphdrüsenkrebs, der zu den häufigsten Krebsarten in diesem Bereich gehört. Außerdem ist sie zugelassen zur Therapie der akuten Lymphatischen Leukämie, des Mantelzelllymphoms und des Plasmazellmyeloms beziehungsweise Multiplen Myeloms.

Sind die Erfolgschancen auf Heilung im Vergleich zu anderen Therapien höher?

Prof. Bastian von Tresckow: Auch in therapeutisch schwierigen Situationen können Krebserkrankungen häufig noch kontrolliert werden. Aktuelle Studien zur Therapie des B-Zell-Lymphoms zeigen, dass 30 bis 40 Prozent der Patienten nach der CAR-T-Zell-Therapie als krankheitsfrei eingestuft werden können. Mit konventionellen Methoden sind es hingegen weniger als zehn Prozent. Die Ergebnisse geben Grund zur Hoffnung, auch wenn diese Therapieerfolge aktuell erst für die Dauer von drei bis vier Jahren nachgewiesen werden konnten.

Herr Prof. Schuler, was sind nach Ihrer persönlichen Einschätzung die großen Meilensteine in der Krebsbehandlung in den letzten Jahren?

Prof. Martin Schuler: Ich beziehe meine Antwort auf medikamentöse Therapieverfahren, das ist meine Kernkompetenz. Es gab auch große Meilensteine in der Krebschirurgie, Strahlentherapie und Diagnostik.

In längeren Zeiträumen betrachtet, waren die großen Meilensteine die Einführung der Chemotherapie, zunächst bei Leukämien, später auch bei häufigen Krebserkrankungen. Durch Kombinationstherapien und optimierte Protokolle können manche weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen mit Chemotherapie geheilt werden, wie zum Beispiel Leukämien, Hodentumore, Ewing-Sarkome, aggressive Lymphome.

Der nächste Meilenstein war die Entwicklung von Medikamenten, die gegen eine bestimmte Zielstruktur gerichtet sind. Also die Übertragung des biologischen Erkenntnisgewinns in Behandlungsansätze. Das erste Beispiel ist das Medikament Tamoxifen, das die Wirkung des Östrogenrezeptors, somit das Wachstum vom Brustkrebszellen, die diesen Rezeptor tragen (70% der Fälle), hemmt.

Ein ähnliches Beispiel sind GnRH-Analoga, die die Wirkung von weiblichen und männlichen Geschlechtshormonen auf Brust- und Prostatakarzinomzellen hemmen. Monoklonale Antikörper, die entweder die Übertragung fehlgeleiteter Signale in Krebszellen hemmen (Beispiel: Trastuzumab bei HER2-positivem Brustkrebs) oder bösartige und gutartige B-Lymphozyten abtöteten (Beispiel: Rituximab bei B-Zell-Lymphomen), gehören ebenfalls in diese Gruppe. Die dritte wichtige Medikamentengruppe sind niedermolekulare Substanzen, die in die Zelle eindringen und dort gestörte Wachstumssignale hemmen (Beispiele: Imatinib bei gastrointestinalen Stromatumoren und chronischer myeloischer Leukämie; Erlotinib und Osimertinib bei EGFR-mutierten Lungenkarzinomen; wichtiges aktuelles Beispiel: Sotorasib bei Tumoren, die eine spezifische KRAS p.G12C-Mutation tragen – das ist eine große Patientengruppe bei verschiedenen Tumoren).

Ein ganz wichtiger Meilenstein der vergangenen sieben Jahre war die Einführung sogenannter Immun-Checkpoint-Hemmer. Das sind Antikörper, die bei vielen Patienten mit ganz unterschiedlichen Krebserkrankungen die Hemmung der körpereigenen Immunabwehr aufheben und somit eine nachhaltige, immunologische Kontrolle auch fortgeschrittener Krebserkrankungen erreichen.

Dies gelingt insbesondere bei Patienten mit schwarzem Hautkrebs, Lungenkrebs, aber auch besonderen Formen von Darmkrebs, Magenkrebs und Brustkrebs. Derzeit wird intensiv daran geforscht, diese Behandlung für möglichst viele Patienten wirksam zu machen und vorherzusagen, welcher Patient davon profitiert.

Heute werden neun von zehn Krebspatienten ambulant behandelt und „nicht mehr mit der Diagnose Krebs aus dem Leben gerissen". Wie funktioniert das und was bedeutet das für deren Lebensqualität?

Prof. Martin Schuler: Die Aussage triff zu auf medikamentöse Behandlungsverfahren sowie auch auf einige Strahlentherapien. Große Krebsoperationen sowie aufwändige, mehrtägige Chemotherapien, aber auch die Behandlung von älteren Patienten, die neben der Krebserkrankung häufig auch weitere Organerkrankungen und Beeinträchtigungen mitbringen, erfordern heute eine stationäre Behandlung und werden auch in Zukunft nur im stationären Umfeld möglich sein.

Der Vorteil der ambulanten Therapie ist, dass der Patient nicht aus seinem Umfeld gerissen wird, sondern die Krebsbehandlung lediglich einen Teil des normalen Lebens darstellt. Durch die genannten Fortschritte der medikamentösen Therapien können viele Krebserkrankungen für längere Zeit in ein „chronisches Stadium“ überführt werden oder die Behandlung ist – zum Beispiel bei adjuvanten Therapien zur Reduktion des Rückfallrisikos nach Operation – nur für einen begrenzten Zeitraum erforderlich. Ziel ist, dass der Krebs und dessen Behandlung nicht zu sehr das Leben der Patienten bestimmt.

Wie haben sich die Diagnostikmethoden weiterentwickelt? Was ist heute „state oft he art"?

Prof. Martin Schuler: Das Erstellen eines optimalen und individuellen Behandlungsplans erfordert eine möglichst genaue Kenntnis der biologischen Eigenschaften des Krebses, seiner Ausbreitung, aber natürlich auch des gesamten Patienten. Die biologischen Eigenschaften werden heute durch molekularpathologische Gewebediagnostik beschrieben. Diese umfasst neben der Mikroskopie den Nachweis von Eiweißstrukturen über Antikörperfärbungen und die Untersuchung von erworbenen Genveränderungen durch moderne Sequenziertechnologien, die auch an kleinen Biopsien und teilweise auch an Blutproben angewandt werden können. Genuntersuchungen sind bei vielen Krebserkrankungen, insbesondere in fortgeschrittenen Stadien, unbedingt erforderlich, da sie die Wirkungschance oder auch Unwirksamkeit sehr effektiver Medikamente anzeigen.

Moderne Therapien ermöglichen individuelle Behandlungen; es gibt effektive Alternativen zur Chemotherapie. Was erwarten Sie für die Zukunft der Krebstherapie? Wie schätzen Sie beispielsweise die weitere Entwicklung von Impfstoffen gegen Krebs ein?

Impfstoffe zur Vorbeugung von Krebserkrankungen sind sehr effektiv. Beispiele sind Impfungen gegen krebserregende Viren wie Humane Papillomaviren (Gebärmutterhalskrebs) oder Hepatitisviren (Leberkrebs). Ob Impfungen gegen bereits bestehende Krebserkrankungen helfen, ist eine offene Frage. Dies wird bereits seit Jahrzehnten erprobt, bislang ohne nennenswerten Erfolg. Ich persönlich kann mir vorstellen, dass Impfungen nach Operation eines Tumors helfen können, das Rückfallrisiko zu senken. Solche Ansätze befinden sich derzeit in Erprobung.

Welche Krebsarten haben heute eine viele höhere Heilungs- oder Überlebensrate als früher?

Prof. Martin Schuler: Am allerbesten ist es, wenn man Krebserkrankungen vorbeugt. Die moderne Krebsprävention ist ein Gebiet, das sich gerade erst entwickelt. Hiervon erhoffe ich mir langfristig einen großen Effekt auf Ebene der Gesamtbevölkerung. Allerdings wird dies auch Konsequenz bei der Umstellung von Lebens- und Ernährungsgewohnheiten erfordern. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Krebsfrüherkennung, die man gezielter einsetzen wird. Beim Lungenkrebs konnte man beispielsweise zeigen, dass eine Früherkennung mit strahlenarmer Computertomographie, die auf Menschen mit hohem Risiko (definiert durch die Anzahl der Zigaretten und Jahre, die geraucht wurden) fokussiert, tatsächlich Leben retten kann. Dies wird in den nächsten Jahren auch in Deutschland eingeführt werden. Die ungezielte Untersuchung aller Menschen in Deutschland (auch Nichtraucher oder „Wenigraucher“) mit strahlenarmer Computertomographie ist hingegen risikobehaftet und könnte sogar schädlich sein.

Die Fortschritte der vergangenen 20 Jahre bei der Behandlung von Patientinnen mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen betreffen glücklicherweise viele Krebsformen. Beispiele sind Brustkrebs, Prostatakrebs, bestimmte Formen von Lymphomen und Myelomen. Aber auch beim Lungenkrebs konnten große Fortschritte erreicht werden. So hat die Einführung der Immuntherapie den Anteil der Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs, die nach fünf Jahren Behandlung noch leben, verdoppelt.

Das könnte Sie auch interessieren