07.03.2017 Medizin

MRT mit freier Sicht

Von Svenja Dahlhaus

Die offene Upright-MRT ermöglicht Kernspin-Untersuchungen ohne Platzangst und zudem in verschiedenen Körperpositionen.

Mehr als zwölf Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischen Schmerzen. Für vier bis fünf Millionen Betroffene bringt dies nach Angaben der Deutschen Schmerzliga deutliche Einschränkungen im Alltag mit sich. Um die Ursachen chronischer Erkrankungen und starker Rückenschmerzen zu erforschen, ist die Magnetresonanztomographie, kurz MRT, eine vielfach angewandte Untersuchungsmethode. Doch allein der Gedanke, in eine enge Röhre geschoben zu werden, löst bei vielen Patienten Beklemmung aus. Ganz neue Möglichkeiten bietet das in den USA entwickelte Verfahren der Upright-MRT, auch offene Sitz-MRT genannt. Schmerzpatienten werden dabei nicht liegend in einer Röhre, sondern sitzend oder stehend in einem offenen System untersucht. Die kernmagnetischen Felder sind vertikal angeordnet. Während das Gerät leise arbeitet, sorgt der freie Blick auf einen Fernseher für Abwechslung. Darüber hinaus bietet die Upright-MRT erstmals die Möglichkeit einer aufrechten Untersuchung unter der natürlichen Gewichtsbelastung. Die Methode setzt damit neue Maßstäbe in der bildgebenden Diagnostik und ermöglicht eine gezieltere Behandlung mit besseren Heilungschancen. In Deutschland wird das Verfahren derzeit in fünf Privatpraxen in Hamburg, Hannover, Köln, Frankfurt und München durchgeführt.

"Viele Patienten haben einen langen Leidensweg hinter sich, wenn sie zu uns in die Praxen kommen", sagt Holger Frey, Diplom- Ingenieur und Mitbegründer der Medserena AG, die die Upright- MRT-Technologie vor gut zehn Jahren nach Deutschland gebracht hat. Insbesondere Schmerzen bei bestimmten Bewegungen oder Körperhaltungen können mit herkömmlichen MRT-Systemen im Liegen nicht untersucht werden. "In der Röhre ist kein Platz, das Bein anzuwinkeln. Es gibt aber Menschen, die haben nur beim Treppensteigen Schmerzen. Diesen Winkel im Knie können wir mit unserer Methodik simulieren und exakt die Belastungspunkte im Gewebe erkennbar machen", erklärt Frey. So kommt eine aussagekräftigere und exaktere Diagnose zustande.

Untersuchung im Stehen

Die Möglichkeit, komplette Bewegungsstudien über Magnetfelder darzustellen, ist eine medizinische Innovation. Menschen mit Rückenleiden etwa können im Stehen, Sitzen und in verschiedenen Funktionsstellungen untersucht werden. "Im nach vorne gebeugten Sitz ist die Belastung auf die Bandscheiben zehn Mal höher als im Liegen", betont der Experte. Allein der Kopf und die Schulterpartie eines erwachsenen Menschen wiegen gut elf Kilogramm – ein Faktor, der bei der herkömmlichen MRT im Liegen nicht greift, obwohl er der natürlichen Körperhaltung im Alltag entspricht. Viele Pathologien lassen sich im Liegen nicht exakt nachweisen, da die Belastung durch das eigene Körpergewicht oder die Bewegung fehlt. Hier schließt die offene Sitz-MRT eine wichtige Lücke, da sie Radiologen eine detailliertere Diagnostik und entsprechende Therapie-Ansätze erlaubt.

Bei Platzangst zahlt meist die Kasse

"Etwa die Hälfte der deutschen Fachärzte, die mit Orthopädie oder MRT zu tun haben, kennen unser System und empfehlen es ihren Patienten", sagt Frey. Wer gesetzlich versichert ist, kann bei der Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Dafür muss neben dem Kostenvoranschlag der Praxis eine Bescheinigung des behandelnden Arztes über die Notwendigkeit der Upright- MRT vorliegen. Ein Indikator kann beispielsweise Klaustrophobie sein – Studien zeigen, dass gut 40 Prozent der MRT-Patienten die Behandlung in der Röhre abbrechen, weil sie Platzangst bekommen. Auch starkes Übergewicht ist ein Faktor, der für das innovative System spricht: Bis zu 250 Kilogramm schwere Patienten können untersucht werden. Darüber hinaus ist es für Menschen mit Metallimplantaten geeignet.

Eine gute Lösung ist die Upright-MRT auch für Säuglinge und Babys. "Bei der herkömmlichen Untersuchung bleibt nur die Möglichkeit, das Kind zu narkotisieren. In die Röhre kann eben kein Elternteil mit hinein", erklärt Frey. Das offene System hingegen bietet genügend Raum, dass Mutter oder Vater das Kind während der Untersuchung begleiten können. Dies ist ungefährlich, da anders als beim Röntgen oder einer Computertomographie keine Strahlung eingesetzt wird. Die Aufnahmen entstehen mithilfe magnetischer Wechselfelder.

Sportverletzungen werden untersucht

Die Schnittbilder des untersuchten Gewebes werden während der Untersuchung auf die Monitore des Radiologen übertragen, der direkt im Anschluss seinen Befund mitteilen kann. Die fünf Praxen in Deutschland sind gut vernetzt und stehen im ständigen Austausch. So können, die Zustimmung des Patienten vorausgesetzt, Problemfälle unter den Radiologen diskutiert werden. Die häufigsten Anwendungsfälle sind pathologische Veränderungen der Wirbelsäule, Schädigungen der Kopfgelenke, Schädelverletzungen wie etwa ein Schleudertrauma, aber auch Sportverletzungen, Beckenschiefstand, rheumatische Beschwerden, Arthrose, Inkontinenz oder Beschwerden des kleinen Beckens. Mit der MRT lässt sich die Struktur der Organe und sämtlicher Gewebe bis hin zu Nervensträngen und Gefäßen abbilden.

Eine bedeutende Rolle spielt in den Upright- MRT-Praxen der persönliche Kontakt. "Unsere Experten nehmen sich viel Zeit für jeden Patienten", sagt Frey. In einem ausführlichen Beratungsgespräch macht sich der Radiologe ein Bild vom Beschwerdeverlauf und von den bisherigen Maßnahmen. Zur Untersuchung kann eine Begleitperson mitgenommen werden. Dies ist insbesondere für Angstpatienten wichtig. Im Anschluss werden die Aufnahmen vom Spezialisten analysiert und der Patient erhält umgehend eine Diagnose, auf deren Basis die Therapie geplant werden kann.

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