Axel Beyer im Interview

"Immer ausschlafen ist auch keine Lösung"

22.02.2021, 06.03 Uhr
von Felix Förster
Axel Beyer war jahrelang Programmchef beim WDR.
Axel Beyer war jahrelang Programmchef beim WDR.  Fotoquelle: privat

Axel Beyer ist Rentner. Der ehemalige Programmchef des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in Köln ist Jahrgang 1950 und genießt seinen Unruhestand. Mittlerweile, muss man sagen, denn anfänglich fremdelte der Workaholic a.D. mit seiner neuer Rolle als Pensionär. Diese Erfahrungen hat er jetzt in ein Buch gepackt.

"Immer ausschlafen ist auch keine Lösung" heißt es. prisma hat sich mit Axel Beyer über das "schwarze Loch" des Ruhestands, das Seniorendasein während Corona, die aktuelle Fernsehlandschaft und "Umweltsäue" unterhalten.

Sie schreiben in Ihrem Buch "Der Kindergarten bereitet uns auf die Schule vor, die Schule auf die Ausbildung, die Ausbildung auf den Beruf. Und wer bereitet uns auf die dritte Lebenshälfte vor, auf den Ruhestand?" Jetzt sind Sie selbst im Ruhestand, wie bereitet man sich denn darauf vor?

Axel Beyer: Das ist ja genau das Problem, dass es eine Vorbereitung nicht gibt. Es gibt Volkshochschulkurse für alles Mögliche, dafür aber nicht. Der Ruhestand ist ja für viele ein Sehnsuchtsort, sie denken dann: "Ich habe ja nur noch zwei Jahre" und dann bekommen sie diese neue Lebensphase locker gewuppt. Doch die meisten bekommen es nicht hin, und das ist das große Problem dabei. Alles, was man sich vorher vornimmt, was man dann machen könnte, ist vielfach einfach Augenwischerei. Man ist dann ja quasi von 100 auf null und muss sein Leben umstrukturieren, hat dann auf einmal häufig nicht mehr viel zu tun.

Muss man sich als Rentner neu strukturieren, muss man sich vorher Gedanken machen?

Ich glaube wirklich, dass man das tun muss. Das Problem ist dieses berühmte schwarze Loch, das sich dann öffnet. Das gibt es wirklich. Natürlich hängt es auch davon ab, was man vorher gemacht hat. Bei mir war es dann wirklich so, dass ich klassische Entzugserscheinungen hatte. Der Druck des Berufs, der für mich selbstverständlich war, war auf einmal weg, und mein Körper hat mir dann gesagt: "Hallo, Fehler, Fehler!" Zwei Wochen war es das Gefühl "Urlaub" und ab der dritten begannen dann die Fehlermeldungen.

Sie selbst arbeiten ja wieder und sind heute Leiter der Media School in Köln.

Die Betonung liegt auf "wieder". Ich habe ein Jahr wirklich Pause gemacht und das nicht ausgehalten.

Jetzt sind die Senioren von heute ja nicht mehr mit denen von vor 20, 30 Jahren zu vergleichen. Stichwort Internet, soziale Medien et cetera. Viele suchen sich neue Hobbys. Welche Beobachtungen haben Sie da gemacht?

Das ist schon richtig, die Menschen sind heute viel agiler und aktiver. Sie sind häufig nicht mehr die klassischen Rentner, die sich in den Lehnsessel setzen und die Beine hochlegen. Aber das ist auch genau der Ansatz, der notwendig ist: Man muss sich etwas suchen! Und damit meine ich nicht diese Sachen, die man immer so vor sicher her geschoben hat, wie "Das mache ich alles, wenn ich einmal Rentner bin"...

...Keller aufräumen oder so etwas, aber das ist ja auch maximal nach einer Woche erledigt.

Genau, das ist ruckzuck gemacht. Und irgendwann denkt man sich dann trotzdem wieder "Ach, ich könnte doch mal den Keller aufräumen", geht runter und sieht, dass das längst gemacht ist. Der ist immer noch aufgeräumt. Vielmehr braucht man als Rentner Ideen, um nicht von 100 auf null zu gehen, sondern langsamer, von 100 auf 80, 70, 60, 50 und so weiter. Und das ist ein ganz entscheidender Punkt meines Buches, unabhängig von dem komödiantischen Ansatz. Ein zweiter Punkt, der mir extrem aufgefallen ist: Wie viel ist eigentlich an einem vorbei gerauscht in den letzten Jahren, weil man sich damit ja nicht beschäftigen musste. Beispiel Internet: Ganz viele ältere Menschen mussten erst einmal lernen, was Facebook oder Whatsapp ist. Man kennt zwar diese Begriffe, weiß aber gar nicht, was das überhaupt ist. Warum heißt das Smartphone Smartphone? Wir haben alle ein Handy, aber viele Senioren wissen gar nicht, was man alles damit machen kann. Und warum manches davon völlig überflüssig ist. Das musste ich auch alles erst einmal lernen. Das ist vorher an mir vorbei gegangen. Ich selbst habe mit dem Ding immer nur telefoniert und vielleicht mal ein Foto gemacht.

Welche Reaktionen erhalten Sie von Senioren zu Ihrem Buch?

Ganz viele Leute sagen mir, dass sie sich darin wiedererkannt haben. Das freut mich natürlich sehr. Nicht in jedem Kapitel, nicht bei jeder Geschichte, aber bei ganz vielen Sachen sagen sie mir "Das kenne ich". Das ist für mich das größte Kompliment. Es ist natürlich auch mit einem Augenzwinkern geschrieben, das Buch soll aufheitern. Denn als Senior muss man schon ein wenig Humor haben und mit den eigenen Unzulänglichkeiten klar kommen. Dass man dann nicht mehr ganz so gut hört beispielsweise, damit muss man umgehen können.

Wie gehen Sie als Senior persönlich mit der Situation rund um Corona momentan um?

Ich bin mit meinen 70 Jahren auch vorsichtig, aber ich mache mich nicht verrückt. Wichtig ist es, sich so viel Normalität wie möglich zu erhalten. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wenn man anfängt, alle Eventualitäten und Risiken einzubeziehen, verschwindet die Lebensfreude.

Ein anderes Thema: Sie waren selbst lange Jahre Unterhaltungschef beim WDR. Wie bewerten Sie die aktuelle Fernsehlandschaft mit ihren ganzen Trash-Formaten?

Nun ja, Trash-Formate sind sozial durchaus notwendig, weil sie den Menschen helfen, sich abzugrenzen oder sich gegebenenfalls selbst zu definieren. Also sich auch in der Ablehnung zu definieren. Insofern finde ich, dass diese Formate eine ganz wichtige gesellschaftliche Funktion haben. Aber natürlich hat sich das Fernsehen – auch durch Corona – erheblich verändert. Man hat am Anfang ja versucht, "Corona-Fernsehen" zu machen. Ich erinnere mich da an diese grauenhafte Sendung auf RTL mit Gottschalk, Jauch und Oliver Pocher. Da merkt man dann doch, so einfach ist Fernsehen nicht.

Da sind dann natürliche Grenzen gesetzt. Auch qualitativ...

Ja, aber dann gibt es auf der anderen Seite gelungene Formate wie "The Masked Singer", bei denen man das Publikum im Studio gar nicht vermisst. Das ist eine Show wie jede andere. Super fand ich auch die Silvestershow in der ARD mit Jörg Pilawa, wo man den Mitwirkenden gesagt hat, ihr bleibt einfach da im Studio und macht Stimmung mit Abstand. Und es hat funktioniert.

Viele der Stars, mit denen Sie im Laufe der Zeit zusammen gearbeitet haben, sind jetzt selbst Senioren, wie Gottschalk, Biolek, Schmidt etwa. Sehen Sie da momentan Nachfolger, die in diese großen Fußstapfen treten können?

Man darf natürlich nicht vergessen, dass sich das Fernsehen und seine Sendungen auch verändert haben. Diese großen, bunten Abende à la "Wetten, dass…?", wo einer die Treppe herunter kommt und sagt "Herzlich willkommen in der Freiheitshalle Hof!", die haben sich ja überlebt. Und ehrlich gesagt, die braucht auch keiner mehr. Dieses bunte Programm finde ich mit einem Klick auf Youtube.

Das ist ein Anachronismus, wenn Sie sich diese Shows heute anschauen, dabei ist da ja noch gar nicht so lange her. Daran sieht man auch, wie sich die Haltung bei den Zuschauern geändert hat.

Das stimmt, aber wenn dann eine gute Idee kommt – und da kann ich nur wieder "The Masked Singer" als gutes Beispiel nennen – dann versammeln sie sich dann doch noch vor dem Bildschirm. Auch ich gucke mir diese Sendung gerne an, auch wenn ich die meisten Musiktitel überhaupt nicht mehr kenne – auch so ein Punkt des Alters. Wenn ich mal in die Charts gucke, dann muss ich mir die Augen reiben "Wer ist das alles?" Ein netter Spruch, den ich gerne nutze: "Früher war WDR4 der Sender für die alten Leute. Inzwischen spielen die nur noch aktuelle Hits – aus meiner Jugendzeit!". Es ist einfach eine andere Medienwelt geworden und damit muss man sich auseinandersetzen.

Sie gelten als Freund der Idee eines öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Jetzt sind da ja etwas irritierende Videos aufgetaucht mit "Oma ist eine Umweltsau" oder ganz aktuell "Meine Oma 2.0", wo das Originallied des WDR-Chors von Jan Böhmermann wegen Corona aktualisiert wurde. Was sagen Sie zu so etwas, vor allem in Hinblick auf die Senioren, die ja eine große Zuschauerschaft der Öffentlich-Rechtlichen sind?

"Meine Oma ist ne Umweltsau" habe ich das erste Mal in einer Satiresendung des WDR gehört und habe mich schlapp gelacht, eben weil es Satire ist. Natürlich darf ich das nicht einfach eins zu eins nehmen, aber so war es ja auch nie gedacht. Wenn man jetzt sagt, alle Senioren sind Umweltsäue, ist das natürlich falsch. Aber so war das ja auch nie gemeint. Ich fand die ganze Aufregung extrem künstlich und plädiere für mehr Gelassenheit. Wir älteren Herrschaften können es uns leisten, Gelassenheit an den Tag zu legen, wir haben ja genug Zeit (lacht).

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*0,50 Euro/Anruf a. d. dt. Festnetz/Mobilfunk abweichend. Die Preise wurden prisma vom Kooperationspartner unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Keine Barauszahlung der Preise möglich. Rechtsund Postweg sind ausgeschlossen. Das Mindestalter beträgt 18 Jahre. prisma-Mitarbeiter und deren Angehörige dürfen nicht teilnehmen. Teilnahmebedingungen auf www.prisma.de/agb. Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Erhebung von Daten erfolgt ausschließlich zur Gewinnerziehung. Informationen zum Datenschutz unter www.prisma.de/datenschutz.

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