TV-Adaption von Theaterstück

"Das Verhör in der Nacht": Kammerspiel über ein Terror-Dilemma

von Eric Leimann

In dem Theaterstück von Daniel Kehlmann duellieren sich ein Polizist und eine terrorverdächtige Professorin. Charly Hübner und Sophie von Kessel spielen nun die TV-Version.

ARTE
Das Verhör in der Nacht
Drama • 27.11.2020 • 20:15 Uhr

Bühnenstücke, die fürs TV aufbereitet werden, waren früher gang und gäbe. "Abgefilmtes" Theater sparte dem Fernsehen eine Menge Geld, ob nun anspruchsvolles Drama oder Schwänke aus dem Ohnsorg-Theater in Hamburg als Spiel in fixen Kulissen geboten wurde. Heute ist so etwas zumindest bei Mainstream-Sendern eher unüblich. Man darf es also schon besonders nennen, wenn mit "GOTT von Ferdinand von Schirach" (Montag, 23. November, ARD) und "Das Verhör in der Nacht", welches nach seiner Vorpremiere bei ARTE am Montag, 30. November, 20.15 Uhr, auch beim ZDF zu sehen ist, gleich zwei Theaterstücke hochprominenter Autoren in Kammerspiel-Inszenierungen die Primetime füllen.

"Das Verhör in der Nacht" basiert auf Daniel Kehlmanns Werk "Heilig Abend", das der Bestsellerautor 2017 auf die Bühne brachte. Philosophie-Professorin Judith (Sophie von Kessel, die das Stück auch auf der Bühne spielte) ist auf dem Weg zu ihren Eltern, um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Beim Verlassen des Hotels wird sie jedoch von Staatsschutz-Beamten abgefangen. Es beginnt ein abendfüllendes Verhör, bei dem sich mehr und mehr herausstellt: Polizist Thomas (Charly Hübner) weiß sehr viel über Judiths Leben – ihre Vergangenheit, ihre Beziehungen, ihre politische Haltung. Er konfrontiert die Intellektuelle mit dem Verdacht, sie habe einen Bombenanschlag geplant, der noch am selben Abend stattfinden soll. Dabei steht Judiths Ex-Mann im Verdacht, ihr Komplize zu sein. Die Professorin bestreitet, eine Bombe gelegt zu haben, macht aber aus ihrer Meinung, dass "das System" ebenso gewalttätig sei wie ein Bombenleger, keinen Hehl. Bekommt Thomas im Laufe des Abends ein Geständnis? Lässt sich der Anschlag noch verhindern oder handelt es sich um einen Fall von Sicherheits-Paranoia unter Beamten?

Bei Daniel Kehlmanns Theaterstück tickt in der Bühneninszenierung tatsächlich eine große Uhr die Zeit bis zur möglichen Explosion und damit einem möglichen, folgenschweren Terror-Anschlag am Heiligen Abend herunter. Regisseur Matti Geschonneck ("Unterleuten – Das zerrissene Dorf") inszeniert das ebenfalls von Daniel Kehlmann geschriebene Drehbuch etwas weniger reißerisch, sondern mit ruhigem Blick auf die Dialoge, also das Duell zwischen Polizist und Verdächtiger. Nach einer kurzen Anfangssequenz und der Verhaftung vor dem Hotel findet der Rest des Fernsehspiels ausschließlich im Hotelzimmer der Professorin und im Gang davor statt. Kehlmanns Stück wurde dafür gelobt, dass es beide Seiten der Medaille – die Argumente des Polizisten mit dem Auftrag, die Bevölkerung zu schützen, und die der Systemkritikerin – so zu beleuchten, dass es dem Zuschauer keinesfalls leicht fällt, sich für eine Seite zu entscheiden. Insofern hat Kehlmanns Theaterdilemma auch inhaltlich etwas mit dem Bühnenwerk Ferdinand von Schirachs zu tun, wo mit sehr ähnlichen Mitteln gearbeitet wird.

Mit Charly Hübner und Sophie von Kessel sieht man zwei Filmstars, die auch die besten deutschsprachigen Theaterbühnen bespielen. Kessel hat gar ein festes Engagement am Wiener Burgtheater. Beide Schauspieler machen ihre Sache gut. In kleinen Blicken, versteckten Drohungen, Ausflüchten und subtiler Verunsicherung können sie zeigen, was sie drauf haben, wo ihre Rollen doch eigentlich vorsehen, dass man ein "kontrolliertes" Bild abgeben will. Es darf aber nicht verschwiegen werden: "Das Verhör in der Nacht" ist auch ein Zuhör-Marathon, eine Konzentrationsübung für den Zuschauer, der hier längeren Argumentationsketten folgen und sie reflektieren muss.

Alles in allem reizvolles Fernsehen für Liebhaber komplexer moralischer Gedankenketten und sogar mit Bezug zur Corona-Maßnahmendebatte. Warum? Daniel Kehlmann behandelt in seinem Terrorstück das Dilemma Sicherheit versus Freiheit im demokratischen System. Dem Zuschauer gibt er damit – ungeplant – auch in Hinblick auf die aktuelle Rolle des Staates bei der Organisation des Gemeinwohls ein paar Gedanken mit in die Nacht.

Das Verhör in der Nacht – Fr. 27.11. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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