Manfred Krug: Tagebücher geben neue Einblicke
Manfred Krug war ein unverbiegbarer Charakterkopf und ein brummiges Multitalent. Zum Anlass seines 85. Geburtstags werden nun Tagebücher des Schauspielers veröffentlicht.
"Auf der Sonnenseite" hieß sein erster, durchschlagend erfolgreicher DEFA-Film von 1962. Manfred Krug spielte einen gelernten Stahlschmelzer, der zum Schauspieler und Musiker mutieren will. Weil er aber ziemlich aufmüpfig ist, fliegt er von der Schauspielschule. Bei der Abschiedsfeier begegnet er einer jungen Frau, die ihn leider stehen lässt, und er beginnt sie zu suchen. Krug transportierte mit dem ziemlich autobiografischen Kinostück nach offizieller DDR-Meinung das Lebensgefühl der jungen Generation und diente wiederholt als Vorbildfigur. Bald gab es Brüche in seinem Leben, doch "auf der Sonnenseite" stand der 1937 in Duisburg geborene Sohn eines Eisenhütten-Ingenieurs, der 1949 in die DDR übersiedelte, lange Zeit.
85 Jahre alt wäre Manfred Krug am 8. Februar geworden. Ein wenig überraschend war es schon, dass nun zu diesem Anlass seine Tagebücher aus den Jahren 1996 und 1997 erscheinen (Kanon Verlag, 220 Seiten). Aus zwei durchaus anstrengenden Jahren für den Schauspieler also. Zeit seines Lebens war Krug sicher niemand, der sein Innerstes in die Öffentlichkeit trug. Zur Presse hatte er ein eher schwieriges Verhältnis. Sein Publikum jedoch schätzte er, und umgekehrt liebte es ihn. Ob seiner Authentizität, seines Talents, seiner Geradlinigkeit und sicher auch ob seiner Fehler.
"Manfred Krug: Ich sammle mein Leben zusammen" sind die Tagebücher überschrieben, die seine Nachkommen jetzt freigegeben haben und die von Krugs langjähriger Lektorin Krista Maria Schädlich herausgegeben werden. Weitere Bücher sollen folgen. Geradezu schonungslos offen wirken die Texte. Da ist die Krise der Familie. Manfred Krug ist noch einmal Vater geworden. Mit seiner Ehefrau Ottilie, mit der er bis zu seinem Tod verheiratet war, hatte er drei Kinder. Doch dann trifft Ottilie auf die Geliebte Krugs, mit der er ein Baby namens Marlene hat. Sie wohnte quasi nebenan. Ausführlich beschreibt Krug in seinen Aufzeichnungen, was nun geschah, wie sie alle rangen um einen Weg. Krug schob seiner Ehefrau ein paar Zeilen unter der Tür durch: "Meine liebe Otti, wenn Du es über Dich bringen kannst, dann laß uns wenigstens zwei Tage Schweigen bewahren. Dann können wir ja drüber reden und gemeinsam entscheiden, was das vernünftigste Verhalten wäre." Sie blieben ein Paar.
Im März 1997, stirbt sein Freund, der Autor, Jurek Becker. Ein dramatischer Einschnitt. Und wieder ein paar Monate später erleidet Manfred Krug einen schweren Schlaganfall. Am Krankenbett begegnen sich Ehefrau und Geliebte samt Tochter wieder.
In den Tagebüchern geht es darüber hinaus um die nachlassende Qualität der "Tatort"-Drehbücher, um seine Erinnerungen an Zeiten in der DDR und auch um den Alltag nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus. Es war das Jahr 1997, Manfred Krug hatte noch fast 20 Jahre vor sich. Er starb am 21. Oktober 2016 in Berlin.
Mit 21 bekam er eine Glatze
Überraschend kam die Nachricht für Außenstehende damals allemal. Auf der Website seiner Künstleragentur fanden sich noch Termine zu Bühnenauftritten. "Manfred Krug liest und s(w)ingt, mit Uschi Brüning und seiner Band", hieß es da. Vor Filmkameras trat der Star seit Anfang des Jahrtausends nicht mehr. Dafür arbeitete der sonor sprechende Charismatiker an seiner Diskografie als Musiker. "Auserwählt" hieß 2014 sein letztes Jazz-Album, aufgenommen im Verbund mit Uschi Brüning. Auch Autobiografisches sowie Kurzgeschichten verlas er dieser Tage vor Publikum. "Mein schönes Leben", lautete der Titel seiner Memoiren, 2003 erschienen. Wohl dem, der so resümieren kann.
Mit "sprühendem Witz" (Buchkritiker Denis Scheck) berichtet Manfred Krug darin auf 450 Seiten über Kindheit und Jugend, bis zum Eintritt in die Ost-Berliner Schauspielschule 1954, aus der er dann wegen "disziplinarischer Schwierigkeiten" nach eineinhalb Jahren bereits wieder entlassen wurde.
"Meine Mutter kam morgens im Nachthemd ins Zimmer, umarmte den warmen Ofen und fragte ihn: Liebst Du mich noch?", so erinnert sich Krug. Der Vater soll, der eigenen Erzählung zufolge, "mit der besten Freundin der Mutter" am Rosenmontag des Jahres 1937 zugange gewesen sein, als diese mit Manfred "in den Wehen" lag. Oma Krug nannte Manfred immer ihren "kleinen schwarzen Zigeuner" – wegen seines dichten, schwarzen Haars. Mit 21 bekam er dann aber die Stil prägende Glatze: "Die Haare blieben einfach auf dem Kopfkissen liegen, ich habe sie weggefegt. Das war's."
Der lapidare, leicht patzige Singsang zeichnete den 100-Kilo-Mann in all seinen berühmten Film- und Serienrollen aus – egal, ob (ab 1985) als Rechtsanwalt Liebling in Jurek Beckers legendärer Serie "Liebling Kreuzberg" oder als Kommissar Stoever neben Charles Brauer im Hamburger "Tatort" (ab 1984, letzte Ausgabe im Januar 2001). Sein berühmter verbotener "Giftschrank"-Film "Spur der Steine" von 1966 (Regie: Frank Beyer) wurde 1989 im Ost-Berliner Kino "International" wieder aufgeführt. Der anwesende Krug bekam gerade noch rechtzeitig zum Untergang der DDR den Preis der DDR-Kritik.
Als Sänger wiederentdeckt
Krugs Ost-Karriere (60 große Filme) endete 1976 nach einer Protesterklärung gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann abrupt, seine Filme wurden nicht mehr gezeigt, bereits abgesprochene Rollen wurden ihm wieder abgenommen, Konzerte des beliebten Jazz-Sängers wurden abgesagt. Nach der Ausreise in die Bundesrepublik mit Frau Ottilie und den drei Kindern etablierte er sich dort allerdings sehr schnell, auch im Westen wurde er alsbald zum Star.
Mit der Schauspielerei schloss Krug aber Ende der 90er nach seiner schweren Krankheit leicht beleidigt ab. Immerhin: Dafür, dass man ihn als Sänger (ausgerechnet) im "Tatort" wiederentdeckte, dafür bedankte er sich bei seinem Publikum. In der DDR war Krug als Jazz- und Schlagersänger einst schließlich jedermann bekannt. Nun sang er auch im Westen mit Erfolg – fromme Weihnachtslieder sogar. Schließlich habe er schon im katholischen Kindergarten mitgekriegt, "dass Nonnen auch nur verkleidete Menschen sind". Auch seien ihm "christliche Werte" keineswegs fremd: "Ich klaue nicht, gebe dem Finanzamt alles, was es will, und helfe den Armen, ohne groß darüber zu reden", so definierte er seine Liebe zum Nächsten.
Darüber, dass er nicht mehr drehte, konnte sich "sein" Publikum glücklicherweise ganz gut hinwegtrösten. Krug machte bis zuletzt CDs, ging auf Gesangs-Tournee und las eigene Texte vor. Ein brummiges Multitalent, das seinesgleichen suchte und das über sein rückblickend recht unglückliches Engagement als Werbeträger für die alsbald eingebrochene Telekom-Aktie herzlich zu spotten wusste: "Wenn man aus der Zone kommt und keine Ahnung hat von Aktien, sollte man das lassen. Ich würde eher Werbung machen für reißfestes Toilettenpapier als für Aktien." Eine ehrliche Haut mit einer ganz besonderen Biografie. Menschen wie ihn wird man ewig vermissen.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH